© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
WIRTSCHAFT
Die Flucht aus AOK & Co.
Bernd-Thomas Ramb

Fast1,5 Millionen Beitragszahler haben die Allgemeinen Ortskrankenkassen und die ihnen gleichgestellten Ersatzkassen letztes Jahr verloren. Die Mitgliederstruktur bestimmen zunehmend die Alten, die chronisch Kranken und vor allem die Versicherten ohne Beitragsleistungen. Die zahlungskräftigen Mitglieder wechseln zu den Betriebskrankenkassen, die mit bis zu zwei Prozentpunkten niedrigeren Beitragssätzen locken. Aufwendige Werbemaßnahmen haben den AOK-Mitgliederschwund nicht bremsen können. Die Defizite zwischen Leistungen und Beiträgen konnten bislang durch das 1994 installierte System des Risikostrukturausgleichs (RSA) aufgefangen werden. Allein im letzten Jahr mußten die betuchteren Kassen 22 Milliarden Mark an die AOK & Co. abgeben. Nun wächst der Widerstand.

Die defizitäre Situation in der Krankenversicherung kennzeichnet ein allgemein ungelöstes Problem der staatlichen Sozialsysteme. Die staatliche Krankenkasse hat sich als allumfassende Solidargemeinschaft überlebt. Immer weniger sind die Versicherten gewillt, mehr einzuzahlen, als sie zurückerhalten, selbst zur Abdeckung des im eigenen Lebensablauf schwankenden Krankheitsrisikos. Umgekehrt nehmen viele Leistungsbezieher kaum wahr, daß die eigene Beitragszahlung nie zur Finanzierung der Versicherungsleistung ausgereicht hätte. Damit ähnelt die Situation der Krankenversicherung exakt der Malaise bei der Rentenversicherung. Volle Eigenvorsorge wollen die wenigsten treffen, Forderungen an die Allgemeinheit hat fast jeder. Bei bloßer Umlageregelung werden sich die Zahler tunlichst dem System entziehen, während immer mehr Nutznießer zuviel fordern. Konkurrenzfähigkeit und Kapitaldeckung sollten das K der AOK symbolisieren, wenn sie nicht zur reinen Sozialkasse mutieren will.


 
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