© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    44/00 27. Oktober 2000

 
Opulente Bilderflut
Kino III: "Goya" von Carlos Saura ist ein Film vor allem für Kunstliebhaber
Ellen Kositza

Francisco José de Goya y Lucientes lebt 1828, kurz vor seinem Tod, seit einigen Jahren im Exil in Bordeaux. Als sich 1823 unter Ferdinand VII. in Goyas spanischer Heimat eine neue absolutistische Herrschaft zu etablieren begann, war der Maler mit seiner Tochter und seiner letzten Geliebten Leocadia Zorilla de Weiss ins französische Nachbarland geflohen. 82jährig nun (beeindruckend dargestellt von Francisco Rabal) läßt der künstlerische "Vater der Moderne" sein turbulentes Leben noch einmal vorüberziehen: Vier gegensätzliche Monarchien hat er erlebt, den Niedergang des spanischen Königreiches, die napoleonische Zeit und immer wieder blutige Revolutionen. Eingebettet in diese politisch wirren Jahrzehnte und in die mondäne Szenerie einer Gesellschaft des ausgehenden Barock wird Goyas Kampf um künstlerische Anerkennung, seine Entwicklung als Maler sowie seine Affären und später seine Krankheit skizziert – dies alles weniger als biographisches Dokument denn als erzählte Bilderflut mit surrealen Anleihen.

Ein Dasein als Designer für Teppichmuster konnte dem jungen Goya (José Coronado) kaum genügen. Ehrgeiz und Genie machten ihn um die Jahrhundertwende zum ersten Hofmaler des Königs Karls IV., wo er hautnah die Wogen des von Adel und Klerus geführten Guerillakrieges erlebte. Das Dazwischen – der Weg an den Königshof – und das Danach verschwimmen in Goyas Rückblick, wobei sein zeitlicher Erzählstandpunkt gekennzeichnet wird durch das Beisammensein mit seiner jungen Tochter Rosario (Dafne Fernández), der er die Geheimnisse seines Lebens und Schaffens enthüllen will. Letztlich dominieren zwei Themen: die Liebe des Malers zur Herzogin von Alba, die dem Giftanschlag einer höfischen Intrige zum Opfer fiel, und die schon früh sich ankündigende Krankheit Goyas. Während ersteres mitunter gnadenlos banal mittels konventioneller Bettszenen umgesetzt wird, gelingt die Darstellung – meist in flammenden Farben – der Verbindung von Krankheit und Wahn. Die zeitweilige Taubheit Goyas, einhergehend mit Träumen, die seine Werke lebendig werden ließen, würde man heute als psychosomatisches Symptom fassen. Für den Künstler bedeutete dieser Verlust des Hörsinnes bei gleichzeitiger Überkompensation durch die Augen ein lebensbedrohendes Schrecknis, das ihn jedoch zu weiteren genialen, wenngleich immer düstereren Werken treibt.

Es ist für Regisseur Carlos Sauras, selbst gewissermaßen ein alter Meister seiner Zunft, möglicherweise konsequent, die Kunst als opulente Bilderflut, als üppige, feuerfarbene Leinwandästhetik derart in den Vordergrund zu stellen, daß sich geschichtliche Zusammenhänge nurmehr dem historisch Bewanderten oder einem Goya-Kenner erschließen. Verstärkt wird diese zeitweise inhaltliche Verworrenheit, die in gewissem Maße sicher eine vom Regisseur gewollte ist, durch das Ineinandergehen von erzählter Realität und Vision, bisweilen werden gar Goyas Gemälde einbezogen in die halluzinatorische Lebensrückschau des greisen Genies. Ganz sicher ist dies ein Film für Kunstliebhaber und weniger für Freunde spannender Stringenz.


 
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