© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000


"Das hat etwas von Popkultur"
Jungsozialisten: NRW-Landeschef Sebastian Jobelius über das geplante NPD-Verbot, die Heuchelei der Union und das Bemühen um die rechte Jugend
Moritz Schwarz

Herr Jobelius, vergangene Woche haben sich Bund und Länder auf einen Verbotsantrag gegen die NPD geeinigt. Betrachten Sie diesen Weg als richtig, oder halten Sie eine politische Auseinandersetzung für notwendig?

Jobelius: Wenn eindeutig ausreichend belastendes Material gegen die NPD vorliegt, in dem Sinne, daß die Partei klar diskriminierende und rassistische Ziele hat und sie als organisierendes Zentrum von Übergriffen etwa auf Ausländer begriffen werden kann, dann muß man dieses Verbot anstrengen. Sonst würde man den Kurs der NPD ja bestätigen.

Ihre Antwort reiht politische umd kriminelle Delikte unterschiedslos aneinander. Der entscheidende Punkt in der Sorge um die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist aber doch gerade dieser Unterschied:Wird die NPD nun als Systemopposition – also als politische Partei – oder als verantwortlich für Gewalt – also quasi als kriminelle Vereinigung – verboten?

Jobelius: Ich gehe davon aus, daß die vorliegenden Berichte über die NPD differenziert sind und nachweisen, daß die NPD in einigen Bereichen der Republik ein solches organisierendes Zentrum ist. Die Abwägung dieser Erkenntnisse in Hinblick auf unsere Demokratie ist nachher Sache der Juristen. Dafür haben wir ja das Bundesverfassungsgericht.

Dadurch, das die Entscheidung letztlich beim Bundesverfassungsgericht liegt, sehen Sie also die Legitimität des Vorgehens gegeben. Verdrängt diese Formalisierung des Vorgehens aber nicht die notwendige inhaltliche Auseinandersetzung? Denn die Vorstellung, die NPD wird verboten und alles wird gut, ist doch naiv.

Jobelius: Nein, die Auseinandersetzung wird dadurch nicht verdrängt, wohl aber muß man aufpassen, daß sich gewisse Personen nicht durch eine Konzentration auf diese Frage aus der Verantwortung stehlen. Man muß sich unbedingt darüber im klaren sein, daß der Verbotsantrag das eigentliche Problem in keiner Weise löst. Er wird Verwirrung stiften im rechten Lager, vielleicht Strukturen zerschlagen, er wird aber keine Überzeugungen ändern. Die drängende Frage, wie kann dieses Gedankengut auch nachhaltig zurückgedrängt werden, besteht nach wie vor.

Hat aber der Verbotsantrag nicht von Anfang an der Ablenkung von einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Problem gedient? So ist es doch bedenklich, daß die Verbotsforderung infolge des Bombenanschlages von Düsseldorf auftauchte, von dem nach wie vor völlig unklar ist, wer ihn überhaupt verübte.

Jobelius: Daß die Täter des Düsseldorfer Brandanschlags noch nicht gefaßt sind, ändert nichts an der Tatsache, daß es in den letzten Jahren einen unglaublichen Anstieg rechtsextremer Straftaten gegeben hat. Von daher ist die Frage des NPD-Verbots in der Sache getrennt zu betrachten von denjenigen, die sie vorgeschlagen haben, oder singulären Ereignissen. Doch zur Diskussion insgesamt: Wir haben in den letzten Wochen in der Tat eine hochgradig verlogene Diskussion zum Thema erlebt. Man hat sich mit populistischen Vorschlägen zu profilieren versucht. Für viele ist es ein Modethema geworden, sich gegen Rechtsradikalismus auszusprechen, auch wenn sie eigentlich eine andere Gesinnung haben. Wer verantwortlich mit dem Problem des Rechtsextremismus umgehen will, muß alle rechtsstaatlichen Mittel nutzen, um ihn zu bekämpfen. Verantwortungslos mit dem Problem gehen diejenigen um, die auf der einen Seite ein Verbot fordern, auf der anderen Seite durch ihre Politik rechtes Gedankengut erst befördern. Jeder weiß, daß nicht zuletzt etwa die Politik in Bayern ein Anlaß dafür ist, daß rechtsradikales Gedankengut in unserer Gesellschaft salonfähig wird. Ich nehme Herrn Beckstein nicht ab, daß es ihm um die Sache ging, das war für meine Begriffe ein klassisch populistischer Vorschlag. Allerdings ist das kein Argument, nicht dennoch grundsätzlich ein Parteiverbot zu betreiben. Aber als Beispiel für die Verantwortungslosigkeit, die hinter der Verbotsdiskussion steckt, nehmen Sie die von der CDU aktuell initierte Debatte um eine deutsche Leitkultur. Dieser Begriff impliziert die Ausgrenzung anderer Menschen und den Zwang, sich anzupassen. Diese Diskussion zeigt, daß hier geistige Brandstifter am Werk sind, die mit der Bekämpfung von Rechtsradikalismus nicht viel im Sinn haben.

Wenn Ihr Vorwurf gegen Unionsparteien so weit geht, dann kann Ihr "Kampf gegen Rechts" allerdings nicht bei der NPD enden, sondern muß konsequenterweise auch gegen diese Konservativen in der CDU/CSU geführt werden?

Jobelius: Eine Grundvoraussetzung für das gemeinsame Vorgehen gegen Rechts ist, daß man eine klare, deutliche Sprache spricht, damit man auch identifizierbar wird. Man muß gegenüber dem politischen Gegner deutlich machen, wo man an seinem Verhalten Ursachen für Rechtsextremismus sieht. Ich kann mich nicht mit Leuten, die eine Kampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft führen, ein Jahr später an einen runden Tisch setzen und uns dort gegenseitig versichern, daß man mit allen Mitteln den Rechtsextremismus bekämpfe.

Wie sieht denn die Antwort der Jusos auf dieses Problem über die Oberflächlichkeit eines Parteienverbotes hinaus aus?

Jobelius: Wir stellen uns die Frage, wie kann es kommen, daß in bestimmten Bereichen des Landes der Rechtsextremismus hegemonial geworden ist: Die Erscheinung auf den Straßen, die Musik, die gehört wird, die Ästhetik, die favorisiert wird etc. Das hat etwas von einer Popkultur. Da haben neue Leitbilder Gültigkeit errungen, denen man aus linker Perspektive erst mal wenig entgegenzusetzen hat. Hier hat in bestimmten Regionen und Milieus eine Verschiebung der Hegemonie stattgefunden. Das Subversive, Oppositionelle und aufrührerische wird in manchen Bereichen nicht mehr wie früher mit Links, sondern mit Rechts in Verbindung gebracht. In so einer Situation ist es schwierig, mit noch so gut formulierten politischen Beteiligungsangeboten Menschen vom Gegenteil zu überzeugen und für die eigene Sache zu gewinnen. Wir haben es mit einer viel tiefschichtigeren Problemlage zu tun. Der erste Schritt wäre die Gewinnung von Authentizität, wir müssen viel stärker aufnehmen, wie dort gedacht und gelebt wird, welche Probleme wahrgenommen und wie sie kulturell verarbeitet werden. Denn wir scheinen offenbar nicht nur nicht die richtigen Deutungsmuster angeboten zu haben, sondern diese auch jetzt nicht zu entwickeln. Wir kommen dieser Hegemonie bis jetzt nicht bei, und dort, wo das so ist, scheint man sich zunächst beinahe schon ohnmächtig zu fühlen. Doch zur Relativierung: Ohne das Problem kleinreden zu wollen, trifft diese Beschreibung nur auf einen insgesamt betrachtet kleinen Ausschnitt der Jugend zu. Groß genug jedoch, um sich sehr ernsthaft damit auseinanderzusetzen.

Ist denn das Problem sozialer Natur – die Jugendlichen haben keinen Halt – oder politischer Natur – gewisse Positionen werden in Deutschland von Demokraten nicht vertreten und können deshalb von Extremisten mißbraucht werden?

Jobelius: Letzteres glaube ich auf keinen Fall. Die Verkürzung auf die sozialen Probleme trifft die Ursachen allerdings auch nicht ganz, spielt aber immmerhin eine zentrale Rolle. Ich glaube, ganz wichtig ist, daß man die Möglichkeiten zur Selbstentfaltung und eigenen Betätigung gibt, ohne mit einem Heiligenschein um den Kopf vorzugeben, was denn nun das Richtige ist.

Um die dann von den Jugendlichen geäußerten politischen Meinungen ernst zu nehmen und zu demokratisieren oder um ihre politischen Ansichten durch soziale Integration auszuwechseln?

Jobelius: So ist diese Frage nicht statthaft, denn sollte es sich um eine undemokratische Position handeln, kann man diese auch nicht demokratisieren. Es muß ganz klar sein, egal was es für verständliche Gründe geben mag: wer Gewalt ausübt oder dazu aufruft, kann nicht mit Nachsicht rechnen. Unsere Projekte, etwa beteiligungsoffene Zukunftswerkstätten, dienen allerdings in der Tat nicht dazu, etwas vorzutragen, sondern in einen Diskurs zu treten mit diesen jungen Menschen, denn nur so kommt man überhaupt wieder ins Gespräch.

 

Sebastian Jobelius geboren 1976 in Bonn am Rhein. Er studiert Politikwissenschaft, Soziologie und neuere Geschichte an der Rheinischen Friedrichs-Wilhelm-Universität seiner Vaterstadt. Seit 1997 ist er Landes-vorsitzender der Jungsozialisten in Nordrhein-Westfalen.

 

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