© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
Eine keltische Brücke im Äther
Frankreich: Der bretonische Fernsehsender TV Breizh stärkt das regionale Selbstbewußtsein / Schritt zur Autonomie
Charles Brant

Im jakobinischen Panzer zeigt sich ein neuer Riß: In der Bretagne wurde ein privater regionaler Fernsehsender ins Leben gerufen. Daß er zweisprachig ist, ist kein Zufall, sondern ein Indiz dafür, daß sich die bretonische Identität im Aufschwung befindet.

Am 1. September dieses Jahres nahm ein neuer Digitalsender den Betrieb auf. TV Breizh ist das erste private Regionalprogramm auf französischem Boden. Das ist kein unbedeutendes Ereignis: Das allmächtige Medium Fernsehen beginnt die Existenz einer Kulturgemeinschaft zur Kenntnis zu nehmen. Im übrigen Europa geschieht dies schon längst. TV Breizh macht kein Hehl aus seinen Zielen. Es will die Bretonen in den fünf Départements der Bretagne ebenso erreichen wie diejenigen, die weit von ihrer Heimat entfernt leben. Insgesamt handelt es sich dabei um etwa sechs Millionen Menschen. Zugang zu TV Breizh hat jeder Fernsehzuschauer, der auf TPS oder Canal Satellite abonniert ist, aber auch die wichtigsten Kabelanbieter haben es im Programm. TV Breizh sendet von halb acht morgens bis halb eins nachts.

TV Breizh bietet einen attraktiven Fächer an: Kinderprogramme, Zeichentricksendungen, wöchentliche Dokumentarfilme, die Übertragung von Sportereignissen, großen Konzerten und Festivals. Sehr eifrig bemüht man sich um Kontakte innerhalb der keltischen Welt – Irland, Wales, Schottland, Cornwall –, um die kulturellen Bande zwischen den Bretonen und ihren keltischen Vettern zu stärken. Im Abendprogramm werden Filme gezeigt, die unmittelbar mit der Bretagne oder dem Keltentum zu tun haben. Hier kann man den schottischen Schauspieler Sean Connery erleben, der sich für die schottische Autonomie engagiert. Hier kann man aber auch die walisische Filmkunst kennenlernen, die die französischen Sender so beharrlich ignorieren.

Seinen Sitz hat TV Breizh in Lorient, wo seit dreißig Jahren jeden Sommer das Interkeltische Festival stattfindet. Der Sender bekennt sich zu einer Zweisprachigkeit, die freiwillig und programmatisch sein soll: "Die Unterstützung, Verbreitung und Bereicherung des Bretonischen ist alles andere als ein Anachronismus; sie ist die Pflicht jedes Bretonen. TV Breizh will ein zusätzliches Mittel sein, einer modernen und lebendigen bretonischen Sprache Anhänger und Schüler zu verschaffen. Wir knüpfen damit an eine Linie an, die von vielen Fürsprechern der bretonischen Bewegung seit Jahren verfolgt wird." Verwirklichen läßt sich eine solche Zweisprachigkeit auf freiwilliger Basis dank der Digitaltechnik, die es jedem Fernsehzuschauer ermöglicht, mit der Fernbedienung die französische oder die bretonische Sprache anzuwählen.

Vor allem in Wales hat sich das zweisprachige Fernsehprogramm als ein sehr wirkungsvolles Mittel erwiesen, das Interesse der Menschen am Lernen und Beherrschen ihrer eigenen Sprache zu wecken. So wird TV Breizh den "Diwan"-Schulen erhebliche Unterstützung leisten können. Dieser Verein wurde vor sieben Jahren von fünf bretonischen Familien gegründet und hat seine Schülerzahl und seine Wirkungsstätten seitdem kontinuierlich vermehren können. Das Bretonische, vor fünfzig Jahren als tote Sprache abgeschrieben, ist heute quicklebendig. Vorbei sind die Zeiten, in denen man sich über Menschen lustig machte, die es beherrschten. Und für all jene, die in Frankreich endlich eine Anerkennung der Minderheitensprachen fordern, setzt diese Renaissance ein wichtiges Signal: Das Schicksal einer Sprache hängt weniger von der Gunst des Staates ab als von der Dynamik und Handlungsbereitschaft ihrer Fürsprecher.

TV Breizh allerdings ist alles andere als eine Laientruppe. Sein jährliches Budget beträgt 80 Millionen Franc. Der Mann, der dahintersteht, ist kein geringerer als Patrick Le Lay, der Generaldirektor des Senders TF 1. Er übernimmt das Amt des Präsidenten von TV Breizh. Sein Vize ist der bekannte Fernsehjournalist und -moderator Patrick Poivre d’Arvor, ebenfalls Bretone. TV Breizh wird nicht nur vom Regionalrat der Bretagne unterstützt, sondern verdankt seine Existenz dem Interesse einer Gruppe von Investoren. Man kann davon ausgehen, daß diese nicht nur von ihrer Liebe zur Bretagne geleitet sind. Tatsächlich handelt es sich bei TV Breizh um eine Kapitalgemeinschaft, die zehn Millionen Franc wert ist. Ihre Aktionäre sind Francois Pinault (ein weiterer Bretone), TF 1, der australische Medienmogul Rupert Murdoch, die Landwirtschaftliche Kreditanstalt der Bretagne, der italienische Politiker und Medienzar Silvio Berlusconi, Jean-Claude Darmon und René Ruello.

Ein Fernsehsender im Dienste des Volksgeistes – die Jakobiner sehen so etwas gar nicht gerne. Sie haben eine weitere Schlacht verloren. Nicht zuletzt aus diesem Gefühl heraus erklären sich die Provokationen und Einschüchterung des letzten Frühlings. Der immer noch unaufgeklärte blutige Anschlag auf ein McDonald’s in Quévert an der Cote d’Armor, der der ARB (Armée revolutionnaire bretonne) zugeschrieben wurde (die JF berichtete), desavouierte die bretonischen Autonomiebestrebungen im richtigen Moment. Trotz einer spektakulären Verhaftungswelle scheint die Justiz jedoch bei der Aufklärung dieses Verbrechens kaum einen Schritt weiterzukommen.

Kurz darauf stand dann die "Affäre Roparz Hemon" auf der medialen Tagesordnung: Felix Leyzoux, der einzige kommunistische Abgeordnete der Bretagne, setzte mit Pseudo-Enthüllungen, die in Paris sofort von der kommunistischen Tageszeitung L’Humanité, Le Monde, Le Figaro und Libération aufgegriffen wurden, den Verdacht in die Welt, der Dichter und Linguist von Weltruf Roparz Hemon sei im Zweiten Weltkrieg ein deutscher Geheimagent gewesen. Mit dieser "Montage" wollte Leyzoux offensichtlich zweierlei bewirken: Roparz Hemons Vergangenheit in Zweifel ziehen, um dadurch die bretonische Sprache zu diskreditieren. Denn der inzwischen verstorbene Gründer der Zeitschrift Gwalarn gilt als Vater des modernen Bretonisch.

In der Bretagne verbindet sich die Gründung von TV Breizh – dessen Programme beim Publikum dank des mediokren Angebots der Pariser Sender um so besser ankommen – mit einem ständig wachsenden Identitätsbewußtsein. Dieses Bewußtsein, das sich in der Literatur ebenso ausdrückt wie in der Musik, geht weit über Folkloristisches und einen simplen Partikularismus hinaus.

Aktuelle Umfrageergebnisse zeigen, daß der Gedanke der Unabhängigkeit für viele Bretonen kein Tabu mehr ist. Olier Mordrel, Yann Fouéré und alle andern Aktivisten der bretonischen Unabhängigkeitsbewegung Emsav werden nun endlich für ihre Opfer belohnt – ein Beweis, daß man sich trauen muß zu träumen!


 
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