© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    45/00 03. November 2000

 
Kulinarische und andere Sinnlichkeiten
Kino I: "Woman on Top" von Fina Torres
Claus-M. Wolfschlag

Isabella (Penelope Cruz) und Toninho (Murilo Benicio) sind ein Paar. Von der Liebe auf den ersten Blick erwischt, heirateten sie rasch, um fortan ein unbeschwertes Leben als Restaurantbesitzer in der kleinen brasilianischen Hafenstadt Bahia zu verbringen. Doch das Leben ist kein Märchen und keine Ansammlung von Abziehbildern, auch oder schon gar nicht in Südamerika. Auch unter der ewigen Sonne des Südens sind Menschen nicht perfekt, und so gefällt sich Toninho in der ruhmvollen Rolle des strahlenden Gastronoms, während seine Frau eher unbeachtet von der Öffentlichkeit in der Küche ihre Kochkünste zelebriert. Auch Isabella hat ihre kleinen Fehler. Sie leidet unter dem ständigen Manko ihrer Seekrankheit, die sie bereits beim Fahrstuhlfahren, als Beifahrerin in Automobilen oder beim Geschlechtsakt in der Missionarsstellung ereilt. Aus diesem Grund muß sie – obwohl nicht zum Autofahren begnadet – immer selbst am Lenkrad sitzen, muß ständig Treppen steigen und bei der Liebe immer obenauf sitzen.

Im Grunde hat das Paar also keine sehr großen Probleme, aber wenn diese fehlen, werden die kleinen um so gewichtiger. "Was ist ein Mann wert, der nie das Lenkrad selber in den Händen haben darf, der nie nachts oben auf der Frau liegt, wie es sich gehört?" mag sich Toninho gedacht haben, als er sich eines Abends mit der freigiebigen Nachbarin auf eine Liaison einläßt. Das ganze fliegt allerdings auf, und die ohnehin etwas vernachlässigte Isabella zieht es vor, die Beziehung aufzukündigen und zu einem befreundeten Transvestiten nach San Francisco zu flüchten. Um sich seelisch von ihrem Mann lösen zu können, beschwört sie in alten Zauberriten die Seegöttin Yemanja, ihr dabei zu helfen. Der freien und mit einer magischen Anziehungskraft ausgestatteten Isabella fliegen bald die Männerherzen zu, und sie macht rasch Karriere in einer brasilianischen Fernseh-Kochsendung. Hier werden allabendlich die kulinarischen Köstlichkeiten Bahias dem der Begnadeten zu Füßen liegenden Publikum serviert ... Bis der reuevolle Toninho in Kalifornien auftaucht, um mit einer Gruppe südamerikanischer Troubadoure die Entflogene zurückzuerobern.

Daß Liebe durch den Magen geht, ist eine allseits bekannte Weisheit. Junge Paare treffen sich gerne in Restaurants und geben sich durch das jeweilige Kosten bzw. Füttern von des anderen Teller Liebesbeweise. Und so ist verständlich, daß eine überaus erotische Frau wie Isabella gerade als Köchin ausgesprochen sinnlich bereiteter Speisen ihre Profession findet. Die Regisseurin Fina Torres ("Haus der Erinnerungen", "Mecaniques Celestes") hat es verstanden, mit viel Zuneigung und Feingefühl brasilianisches Lebensgefühl darzustellen und zu überhöhen. Die Sinnlichkeit von Meeresrauschen, Salzwasser, den reichen Früchten des Landes (und ihrer Zubereitung fernab des Fast Food), die lebensfrohe Architektur Bahias, die Allgegenwart von Magie und Hexerei in der Auseinandersetzung mit den Naturelementen, das natürliche Verhältnis zur Sexualität, die Wärme der naiven Liebe, die sich in melancholisch-rhythmischen Balladen manifestiert, als wären sie soeben Marcel Camus’ "Orfeu Negro" entsprungen.

Torres bekennt hierzu: "Ich komme aus Venezuela. Unsere Kultur setzt sich ebenfalls aus afrikanischen, iberischen und indianischen Einflüssen zusammen. Unsere Küche und Musik hat ähnliche Ursprünge. Und doch kann man in Brasilien eine völlig andere, ganz neue Welt entdecken. Der Film gab mir die Möglichkeit, die Magie, den Spaß und die Kraft der lateinamerikanischen Kultur festzuhalten. (...) Der Wechsel in ein anders Land ist wie ein Initiationsritus, ein Startschuß. Wenn man eine neue Kultur hautnah kennenlernt, dann lernt man, daß die Realität viel komplexer ist, als man dachte, daß es immer andere Blickwinkel gibt, die Dinge zu betrachten. (...) Der Zusammenprall von Kulturen ist ein niemals endender Quell für kosmische Situationen."

In der Küche und der Musik manifestiert sich die besondere Verarbeitung der Liebe in dieser scheinbar weichen, blumigen Kultur Brasiliens. Passend dazu äußert Hauptdarsteller Benicio: "Romantik bedeutet für einen Mann, einen Teil von sich für seine Frau aufzugeben. Ich meine, Liebe erblüht wie eine Blume. Wenn ich allein in meinem Hotelzimmer bin, habe ich den Raum voller Blumen. Das macht mich jedoch nicht zu einem Romantiker. Echte Romantik hat nichts mit Blumen und Serenaden zu tun. Romantik bedeutet, sensibel zu sein, eine Frau voll und ganz zu verstehen."

Dieses – zum Glück nicht ausschließlich brasilianische – Bewußtsein zu erwecken ist Fina Torres mit ihrer musikalisch umrahmten Liebeskomödie trefflich gelungen. Sie vermittelt in den beginnenden Wintermonaten ganz anders als die schmalzige Hollywood-Massenkonfektion vom Schlage der Meg Ryan-Streifen einen Eindruck von praller Körperlichkeit, Sinnlichkeit und der Liebe zum Dasein.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen