© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
CD: Jazz
Prägnant
Michael Wiesberg

Wohl kaum jemand erregt an beiden Enden des politischen Spektrums so viel Anstoß wie der 1961 in Herford/Westfalen geborene Wiglaf Droste. Droste ist einer, der gerne austeilt und mit seiner Meinung, die keineswegs immer "politisch korrekt" daherkommt, nicht hinter dem Berg hält. Das hat ihm viele erklärte Feinde, aber auch eine eingeschworene Fangemeinde eingebracht. Wie man zu Droste im einzelnen auch stehen mag: unumstritten ist sein Sprachwitz. Kostproben davon sind auch auf seinem neuesten Coup zu hören, der den Arbeitstitel "Für immer" (Kunstmann-Verlag München) trägt.

Ausgangspunkt für diese CD ist das Essener "Spardosen-Terzett" gewesen, das in der Vergangenheit durch seine akustische Minimalbesetzung aufgefallen ist: Saxophon (Rainer Lipski), kleines Schlagzeug (Mickey Neher) und Kontrabaß (Kai Struwe). Ein weiteres Charakteristikum der drei "Spardosen": Sie treten immer in schwarzem Anzug auf. Spezialisiert ist das Spardosen-Terzett auf Jazz-Evergreens. Droste hingegen hat eine Vorliebe für das schottisch-irische Lied und für Cowboys. Daß diese nicht unbedingt kompatiblen Vorlieben dennoch eine ansprechende Melange ermöglichen können, beweist die gemeinsame CD von Droste, Lipski, Neher und Struwe. Neben den von Droste hingebungsvoll interpretierten Stücken von James Taylor ("Fire and Rain"), Bob Dylan ("One too many Mornings") oder Randy Newman ("Rider in the Rain") sind eine Reihe deutschsprachiger Titel zu hören. So zum Beispiel die Stücke "Nana Mouskouri" oder "Sag warum". Was sich hinter diesen Titeln verbirgt, möge der interessierte Hörer bitte selbst erkunden. Er wird von Droste und dem Spardosen-Terzett nicht enttäuscht werden.

In ganz andere Gefilde führt die CD der 1966 in Montevideo geborenen Gitarristin Adriana Balboa, die seit 1994 in Berlin lebt. Diese hat jetzt ihre erste CD für das Osnabrücker Label "Acoustic Music Records" vorgelegt. "Sur" (span. Süden) heißt dieses Album, in dessen Zentrum die Musik des La-Plata-Flusses mit seinen großen Hafenstädten Buenos Aires und Montevideo steht. Auf Balboas CD treffen alle Charakteristika zu, die lateinamerikanische Musik auszeichnen: Leidenschaft, Lebensfreude und Melancholie. Für letzteres steht eindeutig der Name Astor Piazolla, dessen "Cinco Piezas", die einzigen Werke, die Piazolla für Gitarre komponiert hat, Balboa meisterhaft interpretiert hat. Weitere Komponisten sind u.a. Anibal Troilo (der bekannteste Bandoneon-Spieler der Generation vor Piazolla), Agustin Barrios (von dem zwei Tango-Stücke zu hören sind) und Jaures Lamarque-Pons, dessen dreiteilige "Sonatina" traditionelle Rhythmen mit einer klassischen Form verbindet. Adriana Balboas beeindruckende Fähigkeiten an der Gitarre ermöglichen ein großartiges Stimmungsbild des La-Plata-Flusses, dem man viele Hörer wünscht.

Der Jazz-Gitarrist und -Vokalist George Benson sagte einmal über den legendären Gitarristen Barney Kessel, daß dieser immer so spiele, "als handle es sich um das letzte Konzert, das noch auf der Erde stattfindet". Mit dieser Einschätzung steht Benson nicht alleine. Der Bebop-Gitarrist Barney Kessel zählt heute zu den herausragendsten Gitarristen, die der Jazz bisher hervorgebracht hat. Jetzt ist ein Kessel-Album erschienen, das dieser 1969 herausgebracht hat, und das nun als CD wieder erhältlich ist: "Feeling Free" (Vertrieb: ZYX-Music Merenburg), auf dem der Vibraphonist Bobby Hutcherson, der Bassist Chuck Domanico und der Schlagzeuger Elvin Jones mitgewirkt haben. Auch dieses Album ist, wie alle Alben Kessels, durch seine inventiven, rhythmisch prägnant akzentuierten und auch in schnellsten Tempi beherrscht artikulierten Linien, eine ausgeweiteten Harmonik und einen originellen Begleitstil geprägt, die Kessel zum Inbegriff des vollendeten Jazz-Gitarristen gemacht haben.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen