© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    46/00 10. November 2000

 
Blick in die Medien
Testergebnis
Ronald Gläser

Das Thema Kokainkonsum läßt uns nicht mehr los. Seit der Haaranalyse von Christoph Daum hat der weiße Stoff einen festen Platz in jeder Sendung, von der Comedyshow bis zum Politikmagazin. Die erste Frage, die ein Personenschützer der Popgruppe Backstreet Boys vergangenes Jahr in Berlin einem Journalisten stellte, der sich plötzlich auf einer Party übergeben mußte, lautete: "Hast du schlechtes Koks genommen?" Das verdeutlicht, wie verbreitet das teure Aufputschmittel in diesen Kreisen ist. Die Verantwortlichen vor der Kamera oder in den Redaktionsbüros geben sich durch den Umgang mit dem Thema offen als Menschen zu erkennen, die sich selbst gerne die Nase pudern. Mal Hand aufs Herz, Herr Schmidt: Wer hätte ein Interesse daran, jeden Abend über Kokain zu reden, wenn er nicht selbst "betroffen" wäre? In der Berliner Morgenpost schreibt ein Autor, daß zwischen Potsdamer Platz und Hackeschem Markt mehr als je zuvor gedealt würde. Interessant. Dort liegen übrigens auch die Redaktionsräume der Berliner Morgenpost. Den Vogel abgeschossen hat die Sat1-Akte Redaktion. Mit der Veröffentlichung des Testergebnisses aus dem deutschen Bundestag haben sie eine Welle der Empörung über koksende Volksvertreter losgetreten. Die Boulevardpresse überschlägt sich vor Begeisterung: "Das Süchtigen-Parlament" oder "Wer kokst im Reichstag?" Wer aber würde jemals auf die Idee kommen, in einem Oktoberfestzelt oder im Reichstag Proben von den Toilettendeckeln zu nehmen? Jemand, der selbst sauber ist, oder jemand, der sich in einen koksenden Friedrich Merz hineinversetzen könnte?


 
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