© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000


Verdis grüne Arie
von Bernd-Thomas Ramb

Die Wahl des Hannoverschen Personaldezernenten Bsirske an die Spitze der zweitgrößten deutschen Gewerkschaft beeindruckt. Am wenigsten erstaunt jedoch dabei, daß Bsirske den Grünen angehört. Legt doch diese nach eigenem Bekunden nunmehr stinknormale Partei nach dem Wegfall ihrer umweltpolitischen Ambitionen ihren sozialistischen Kern zunehmend ungenierter bloß. Die Spitzenposition der ÖTV ist demnach in traditioneller Kontinuität des Klassenkampfes besetzt, jetzt vielleicht mehr noch als unter dem ausgeschiedenen Vorsitzenden Mai.

Dessen plötzlicher Abgang überrascht: Die Verärgerung über den Mangel an Gefolgschaft anläßlich der Abstimmung zur Selbstaufgabe der ÖTV zwecks Fusion mit anderen kleinen Gewerkschaften zur neuen Dienstleistungsgewerkschaft Verdi kann wohl kaum als ausreichende Begründung herangezogen werden. Immerhin will auch Bsirske die ÖTV zu Verdi wandeln, und die in KP-Dimensionen ragende Zustimmung zu seiner Wahl dürfte hinreichendes Signal sein, daß beim nächsten Wahlgang die kläglichen 65 Prozent, die Mai für seine Fusionsbitte in einer Probewahl erhielt, lässig übertroffen werden. Möglicherweise war der alte ÖTV-Boß über das schroffe "Basta" des Kanzlers verschnupft, als es um gewerkschaftliche Änderungswünsche in Sachen Rente ging. Der Ton zwischen SPD und Gewerkschaften ist ruppig geworden. Da paßt der Seitenhieb des BDI-Chefs Henkel wie die Faust aufs zweite Auge. Er sieht die Flucht in die Verdi-Fusion als Schwanengesang der letzten Arbeitskampfdinosaurier. Die Zufuhr von frischem grünen Blut hilft da auch nicht mehr, wird Mai erkannt haben.


 
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