© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    47/00 17. November 2000

 
WIRTSCHAFT
Vom Betrug zur "Unregelmäßigkeit"
Bernd-Thomas Ramb

EU-Haushaltskommissarin Michaele Schreyer vermeldet stolz im "Jahresbericht über den Schutz der finanziellen Interessen der Gemeinschaft": Die Betrügereien und "Unregelmäßigkeiten" haben 1999 im Bereich der Strukturhilfen um 70 Prozent zugenommen, das Schadensvolumen betrug 120 Millionen Euro, fast dreimal soviel wie 1998. Sie sieht darin ein Zeichen für eine erfolgreichere Kontrolle. Den Gesamtschaden aus EU-Betrügereien beziffert das EU-Amt für Betrugsbekämpfung mit 850 Millionen Euro. Damit wurde die gleiche Schadenshöhe wie im Vorjahr festgestellt. Dem höheren Betrug bei den Strukturmitteln standen geringere Verlustschäden (oder schlechtere Recherchen?) in der Agrarpolitik gegenüber. Diese Zahl wird gerne durch den Hinweis auf den Verlust durch Alkohol- und Zigarettenschmuggel relativiert, der auf mehreren Milliarden Euro pro Jahr geschätzt wird.

Die EU-Kommission wappnet sich mit solchen Zahlenspielereien gegen die Vorwürfe des EU-Rechnungshofes, der sich wieder einmal über die unglaubliche Verschwendungssucht in Brüssel heftig beschwert. Andererseits ist es tatsächlich fraglich, ob die Prügel in allen Fällen den richtigen trifft. Die EU-Kommission verwaltet nur 20 Prozent der Vergabemittel selbst. Der überwiegende Rest wird auf nationaler Ebene verpulvert. Dort aber ist der Hang, Betrugsfälle aufzudecken, sehr unterschiedlich ausgeprägt. Zunehmend werden Betrügereien als "Unregelmäßigkeiten" verharmlost oder überhaupt nicht mehr erfaßt. Das betrügerischste, aber genau kontrollierende EU-Land Italien meldet mit 43 Millionen Euro die größte Schadenssumme, während Spanien, das den höchsten Anteil an Strukturhilfen empfängt, nur zehn Millionen anzeigt. Entweder sind die Spanier extrem ehrlich, oder sie recherchieren schlecht.


 
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