© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Kolumne
Integration
Klaus Hornung

Begriffe wie "Leitkultur" und "Integration" schwirren durch die aktuelle deutsche Diskussion. Die politische Klasse und eine (allzu) gewisse veröffentlichte Meinung glauben, mit deren Beschwörung schicksalhafte Probleme der Deutschen und Europas lösen zu können. Allzu vollmundig gehen sie davon aus, daß Zuwanderer die "Integration" in die deutsche Gesellschaft und Kultur wollen, ja geradezu begehren.

Die Realität sieht jedoch anders aus. Die über zwei Millionen Türken in unserem Land etwa sind – gerade in der zweiten und dritten Generation– mehrheitlich zu Ghetto-Gemeinden geworden. Ähnlich ist es bei anderen Nationalitäten. Jeder Sozialpsychologe kennt dieses Phänomen, daß sich Menschen in der Fremde vor allem an die jeweils eigenen anschließen. Die Algerier-Ghettos in den französischen Ballungsgebieten demonstrieren das unübersehbar. In Deutschland kommt eine Sonderlage hinzu: Was soll an der heutigen deutschen Gesellschaft für Zuwanderer, besonders aus außereuropäischen Kulturen, so attraktiv sein, daß sie sich so rasch und gut wie möglich zu integrieren wünschen? Was soll etwa einen frommen Moslem veranlassen, die ihn umgebende hiesige voll säkularisierte, in manchen Teilen dekadente Gesellschaft als Hort seiner Lebensqualität zu begehren? Was kann nicht zuletzt Integration in einem Land heißen, wo große Teile des politischen und medialen Establishments von der eigenen Kultur und Identität wenig halten und von der Neurose eines nationalen Selbsthasses erfüllt sind?

Tag für Tag versuchen diese Establishments der breiten Bevölkerung Schuld- und Minderwertigkeitsgefühle, ihren eigenen nationalen Selbsthaß einzupflanzen. Angesichts dieser welteinmaligen deutschen Identitäts- und Traditionsvergessenheit können Begriffe und Programme wie Leitkultur und Integration wenig beruhigen. Ja, man hat den Eindruck, daß sie bei dem Unternehmen zur deutschen Selbstabschaffung vor allem den Zweck haben, die deutsche Bevölkerung zu beruhigen und zum Stillhalten zu veranlassen.

Mit anderen Worten: Integration und deutsche Canossa-Republik passen nicht zusammen. Eine erfolgreiche Integration setzt die Überwindung des "historischen Analphabethismus" (Alfred Heuß) und seiner Instrumentalisierung zu tagespolitischen Zwecken voraus. Ohnedies ist es ja ein anthropologisches Ammenmärchen, daß Identität und "Weltoffenheit" Gegensätze seien. Tatsächlich stehen sie zueinander in fruchtbarer Polarität. Aber von solcher Erkenntnis sind große Teile der deutschen "Elite" noch weit entfernt. Da sind Joseph Fischer und Hans-Olaf Henkel gleichermaßen Zeugen.

 

Prof. Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim.


 
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