© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Die Bedrohung aus dem Osten
Griechenland: Das gescheiterte Nato-Manöver "Destined Glory" offenbarte historische Rivalitäten
Gregor M. Manousakis

Beim Nato-Manöver "Destined Glo ry" im Oktober in der Türkei sind gravierende Unzulänglichkeiten der neuen Nato-Struktur aufgetaucht. Die Folgen dauern bis heute an. Da sicherheitspolitische Differenzen zwischen den USA und europäischen Nato-Mitgliedern zunehmen, kann das Scheitern des Manövers Folgen für die Allianz haben.

Die Reorganisierung der Nato wurde 1999 abgeschlossen. Ihr unausgesprochenes Ziel ist die Zementierung der sicherheitspolitischen Dominanz der USA in Europa; ihr ausgesprochenes Ziel ist die "Vereinfachung" der Befehlsstruktur durch Verminderung der nationalen Zuständigkeiten – bei Stärkung der "europäischen Verteidigungsidentität". Der neuen Nato-Struktur sind lange Verhandlungen vorausgegangen, bei denen auch die Rückkehr Frankreichs in das militärische Glied der Nato angestrebt, aber nicht erreicht wurde.

Aufgrund der neuen Befehlsstruktur wurde im vergangenen April das Manöver "Dynamic Mix" im Südosten erfolgreich absolviert. Griechische und türkische Streitkräfte arbeiteten einvernehmlich zusammen. Euphorisch glaubte man danach, nun seien die griechisch-türkischen Differenzen überwunden und die Funktionsfähigkeit der Südostflanke hergestellt.

So war auch die allgemeine Einschätzung, als "Destined Glory" unter dem Befehl der "subregionalen Ebene" mit Sitz im türkischen Izmir begann, die dem US-General Kiss untersteht, zumal detaillierte Vereinbarungen über alle seine Phasen getroffen worden waren. Außer den türkischen, griechischen und US-Streitkräften sollten auch Einheiten aus anderen Nato-Ländern teilnehmen. Merkwürdigerweise reiste aber der General Kiss zu Beginn des Manövers nach Amerika ab und delegierte – vorschriftsmäßig – seine Zuständigkeiten an seinen türkischen Stellvertreter.

Der türkische General änderte sofort die Manöverpläne und verbot die Teilnahme griechischer Flugzeuge, die aus Hellas kommend zum Manövergebiet in die Türkei flogen. Sein Argument: Sie überflogen griechische Inseln, die nach türkischer Ansicht entmilitarisiert sind. In manchen Fällen schickten die Türken Flugzeuge, die nicht an dem Manöver beteiligt waren, um die Griechen abzufangen, wobei Scheinluftkämpfe entstanden.

Die Griechen stellten sofort ihre Manöver-Teilnahme ein und verlangten von den übergeordneten Befehlszentralen der Nato in Neapel und in Brüssel die Klärung der Lage. Da die Nato die Haltung Ankaras mißbilligte, bemühte sie sich tatsächlich darum, jedoch erfolglos. Vielmehr sperrte Ankara den türkischen Luftraum für alle Nato-Flugzeuge ab, die aus Athen kamen – ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der Allianz.

Die Griechen verlangten den Abbruch der gemeinsamen Manöver, andernfalls würden sie sich zurückziehen, was sie auch taten. Da trotz vorheriger Zusagen außer den USA, den Griechen und den Türken sich kein anderes Nato-Land an dem Manöver beteiligt hat, kann es als gescheitert angesehen werden. Nach dem Rückzug der Griechen veröffentlichte die Regierung in Ankara Karten der Ägäis, in denen die griechischen Inseln türkische Namen erhielten. Prompt teilte der griechische Verteidigungsminister Tzochatsopoulos mit, die Bedrohung seines Landes "aus dem Osten" bleibe bestehen. Athen ist dennoch der Ansicht, daß das Scheitern des Manövers kaum mit den griechisch-türkischen Problemen zu tun habe. Vielmehr habe die Türkei gegenüber Washington ihrem Mißfallen Ausdruck verliehen. Schon vorher hatte sie davor gewarnt, daß die Anerkennung des türkischen Genozids an den Armeniern (1915) durch den US-Kongreß die Beziehungen zwischen beiden Ländern ernsthaft belastet würde.

Noch in den Tagen des Manövers konnte US-Präsident Bill Clinton die Abstimmung darüber im Kongreß abwenden. Dazu wirft aber Ankara Washington vor, daß es bisher nicht gelungen sei, die Türkei in die europäische Verteidigungsplanung einzubeziehen. Darauf besteht die türkische Regierung und wiederholt stets, anderenfalls werden ihre Beziehungen zu der EU ernsthaft belastet.

  Da Washington ebenfalls massiv hinter den Kulissen die Europäer mit dem gleichen Ziel unter Druck setzt, wird es wohl beim kommenden Nato-Gipfel im Dezember äußerst kontrovers hergehen.
 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen