© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
BLICK NACH OSTEN
Ein neues Volk ist nötig
Carl Gustaf Ströhm

Betrachtet man die Aktivitäten der internationalen Gemeinschaft in Bosnien, kommt einem Bert Brecht in den Sinn, der nach der Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 ironisch bemerkt hatte, der SED-Führung bleibe nichts anderes übrig, als sich ein "neues Volk" zu suchen.

Die Hoffnungen der internationalen Repräsentanten in Sarajevo, wonach die Bewohner Bosniens den "nationalistischen" Parteien den Laufpaß geben und statt dessen die groteskerweise vom Westen protegierten Postkommunisten wählen würden, haben sich als Flop erwiesen. Die jetzt als "Sozialdemokraten" firmierenden Ex-Kommunisten der SDP kamen über ein Viertel der Wählerstimmen nicht hinaus. In der moslemisch-kroatischen "Föderation" Bosniens liegen sie mit der Moslempartei SDA zwar gleichauf – mit 27,3 gegen 27,1 Prozent. Zählt man aber die von der SDA abgefallene "Partei für Bosnien" des Moslem-Politikers Haris Silajdzic mit 15,6 Prozent hinzu, haben die moslemisch orientierten Kräfte 42 Prozent der Stimmen errungen. Addiert man dann noch die 20 Prozent Stimmen für die nationalkroatische "Demokratische Union" (HDZ), gewinnen die national en Parteien die absolute Mehrheit. Um die Ironie auf die Spitze zu treiben: In der "Republika Srpska" siegte mit über 40 Prozent der Stimmen die Serbische Demokratische Partei (SDS) des als Kriegsverbrecher untergetauchten Serbenführers Radovan Karadicic.

Der EU-Außenpolitiker Javier Solana sprach bereits sein Bedauern darüber aus, daß die "Nationalisten" auf der ganzen Linie gesiegt hätten. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), in Sarajevo vertreten durch den Amerikaner Robert Barry, reagierte noch schärfer: Zur "Strafe" strich sie aus den Listen mehrere Spitzenkandidaten der Kroaten-Partei, die mit großer Stimmenmehrheit ins Parlament entsandt worden war. Wie man hört, sollen die "aus dem Verkehr gezogenen" Kandidaten auch noch mit einem fünfjährigen Verbot jeglicher öffentlicher Tätigkeit belegt worden sein – eine Maßnahme, die bisher nur von der Tito-KP gegen mißliebige Oppositionelle angewendet wurde. Barry meinte, man könne die Staatsmacht in Bosnien auch ohne die HDZ – also ohne die Kroaten – installieren. Dabei haben über 70 Prozent der in Bosnien lebenden Kroaten der HDZ ihre Stimme gegeben!

Könnte man einem Amerikaner noch nachsehen, daß er von der komplizierten Struktur Bosnien-Herzegowinas nicht viel Ahnung hat, so ist aber unfaßbar, daß der EU-Bevollmächtigte, der österreichische Diplomat Wolfgang Petritsch, sich mindestens ebenso hochmütig gegenüber den "Eingeborenen" verhält – obwohl Petritsch aus der slowenischen Minderheit in Kärnten stammt und eigentlich Verständnis für Nationalitätenprobleme im Blut haben sollte. Auf die Ankündigung des HDZ-Chefs in Bosnien, Ante Jelavic, die Kroaten würden die Zusammenarbeit mit den internationalen Repräsentanten einstellen, weil diese die kroatischen Rechte mißachteten antwortete der von niemandem gewählte Petritsch, die Erklärungen des vom kroatischen Volke gewählten Jelavic seien "nicht ernst zu nehmen".

Die FAZ bezeichnete eine von den bosnischen Kroaten veranstaltete Volksabstimmung, mit der die Gleichberechtigung der Kroaten in Bosnien eingefordert werden sollte, als "illegal". Aber: Können in einer Demokratie friedliche Willensäußerungen des Volkes "illegal" sein? Vielleicht sollte man Barry und Petritsch wirklich empfehlen, sich ein anderes Bosnien zu suchen.


 
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