© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Ein Gipfel der Ohnmacht
Klimakatastrophe: In Den Haag versuchen sich 160 Staaten an einer Schadensbegrenzung
Volker Kempf

Gegen die Lebenslügen unserer Menschenwelt scheinen die UN-Klimakonferenzen ohnmächtig zu sein. Einerseits klagt die Versicherungsbranche, daß die durch die Klimaveränderung entstandenen Kosten in den letzten Jahren derart in die Höhe gegangen sind, daß sie immer weniger noch versichert werden könnten. Den Klimaschutz klagt die Versicherungsbranche daher besonders ein. Andererseits soll aber der Luxus in der nördlichen Hemisphäre und damit das Wirtschaftswachstum gesteigert werden. Dazu sind möglichst geringe Energiepreise notwendig, welche die Schäden aber gerade verursachen, die eigentlich vermieden werden sollen.

Während von der Reduktion des Treibhausgases Kohlendioxyd allerorten gesprochen wird, werden die Flughäfen, etwa in Frankfurt am Main oder in Düsseldorf, ausgebaut. Ein bescheidenerer Lebensstil wäre vonnöten. Doch statt dessen wartet beispielsweise das Massenblatt Bild am 2. November 1999 auf der Titelseite in großen Lettern mit dem Lockvogel auf: "New York 299 Mark!". Nicht bescheidene Philosophen oder Dichter wollen die Menschen werden, sondern nach immer höheren Einkommen zur Befriedigung ihrer unersättlichen materiellen Bedürfnisse schielen sie. Der Vordenker des Umweltschutzes, Dennis L. Meadows ("Die Grenzen des Wachstums", 1973) weiß um diesen Sachverhalt. Er wurde nach der ersten UN-Klimakonferenz für Umwelt und Entwicklung in Rio de Janeiro 1992 gefragt, ob er seinen Lebensstandard schon verändert habe. "Ein bißchen, ja. Ich heize mein Haus mit Holz, das auf meinem eigenen Grundstück wächst. Und ich bin Vegetarier geworden. Aber ich muß zugeben: Das reicht bei weitem nicht aus." So Meadows gegenüber einem Journalisten für ein Sonderheft der Zeit zur Rio-Konferenz 1992.

Die Reduktion des materiellen Lebensstandards in unseren Breiten ist ein zentraler Faktor für einen wirksamen Klima- und Ressourcenschutz, woran der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, die Delegierten zur Eröffnung der nun laufenden UN-Klimakonferenz in Den Haag denn auch erinnerte. Aber auch die Bevölkerungszahl ist entscheidend. Nimmt sie ab, entlastet das die Umwelt. Jenseits der Grenzen von Deutschland wächst die Bevölkerung allerdings an, von der sogenannten Dritten Welt gar nicht erst zu reden. Und der Widersprüche nicht genug, wird hierzulande allerorten auch noch beklagt, daß die Bevölkerung nicht zunehme. Noch einmal Meadows: "An erster Stelle müßte eine konsequente Bevölkerungspolitik stehen." Doch davon ist auf den zahlreichen Klimakonferenzen der letzten Jahre noch nicht einmal die Rede gewesen.

Die grundlegenden Trends zur Verschärfung der Klimakatastrophe bleiben folglich unangetastet, auch bei der UN-Klimakonferenz in Den Haag. Überschriften von Zeitungsberichten wie "Klimaschutzgipfel kann auch ohne USA ein Erfolg werden" oder "EU will hartes Ergebnis auf Klimagipfel" sind daher stark zu relativieren. Der zu verabschiedende Rahmenplan zur Reduzierung der Kohlendioxyd-Emissionen von Industrie und Verkehr kann also nur auf eine Schadensbegrenzung dessen hinauslaufen, was ohnehin geschieht. Die 1997 in Kyoto aufgestellte Forderung umzusetzen, den Kohlendioxyd-Ausstoß bis 2012 auf fünf Prozent unter das Niveau von 1990 zurückzuführen, wird mehr als nur schwierig. Der Trend war in den letzten Jahren denn auch genau gegenläufig zur erklärten Absicht. Da wird es auch nicht allzu viel nützen, wenn sich die Europäer in der jetzt laufenden heißen Verhandlungsphase gegen die US-Amerikaner durchsetzen.

Die USA wollen die Aufforstung von Wäldern als Klimaschutzbeitrag anerkannt wissen. Umweltschützer erblicken darin aber nichts anderes als eine Option fürs Nichtstun. So wird in Den Haag zur Stunde bestenfalls so getan, als ob ein Klimaschutzziel auf der Grundlage von Wirtschafts- und Bevölkerungswachstum realisiert werden könnte.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Im Schlußwort der 1999 – leider nur in englischer Sprache – erschienenen Umweltstudie "Global Environment Outlook", an der mehrere hundert Wissenschaftler gewirkt haben, schreibt Dennis L. Meadows: "Da sich der Zustand der globalen Ökosysteme bereits unter der Last der gegenwärtigen Menschenzahl und unseres gegenwärtigen Wirtschaftens derart verschlechtert hat, ist es eine Illusion zu glauben, eine nachhaltige Entwicklung [die Wirtschaftswachstum und Umweltschutz verbinden will] ließe sich ... in der heute anvisierten Form verwirklichen. Wir gehen einer Zukunft entgegen, in der die Weltbevölkerung und wichtige Wirtschaftssysteme über ein erträgliches Maß hinausschießen und zusammenbrechen werden."

Der nächste Gipfel müßte so gesehen ein Gipfel des Krisenmanagements sein. Doch schönen Heilsprophezeiungen wird mehr Gehör geschenkt als der Unheilsprophezeiung, wie bereits Hans Jonas 1984 in seinem offenbar nicht hinreichend beachteten Buch "Das Prinzip Verantwortung" bemängelte. Die Karawane der Blinden und Ohnmächtigen zieht weiter – auf ihrer "Himmelfahrt ins Nichts" (Herbert Gruhl).


 
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