© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Geisteselefanten
Zeitschriften: Die "Fünfzehnte Etappe" ist endlich erschienen
Angelika Willig

Alles wird besser, doch nie wieder gut", heißt es beim Gesangsduo "Rosenstolz". Die Etappe wartet mit einem Motto auf: "Früher war schöner. Heute ist besser." Der Klappentext stammt aus einer Schriftreihe "Die Familie" von Hermann Muckermann, erschienen 1938 und dazu auffordernd, "daß man vor allem die erbgesunde Familie pflegt, um die Entstehung von erblichen Belastungen von ihr fern zu halten". So schaltet man sich in die aktuelle biotechnische Diskussion ein. Überhaupt glaubt man bei der Etappe immer, daß ein bißchen etwas anderes gemeint ist, als was eigentlich dasteht. Was dasteht, ist ähnlich akademisch wie beim Merkur, nur eben mit einem Schuß rechter Subversion. Nach diesem Schuß süchtig, schaufelt man sich durch das akademische Gestrüpp und findet auch tatsächlich hier und da eine Mohnblume. Ähnlich muß es auch bei den Autoren selbst verlaufen. Was nach verinnerlichter Leistungsethik aussieht, ist in Wirklichkeit eine politische Strategie. Kein anderes Blatt hat wie die Etappe sporadisch, aber mit Durchhaltevermögen bewiesen, daß es hochintellektuelle Rechte in diesem Land gibt. So hochintellektuell, daß es der Rest der Truppe kaum versteht, aber das macht nichts, man schreibt ja für den Gegner. Im Fall Mario Tronti schreibt ein italienischer Kommunist über Carl Schmitt und Karl Marx. Er kommt zu dem Schluß: "Es gibt eine Krise der Strategien, Krise des Denkens, Krise der Theorie, Zusammenbruch der Grundlagen, klassische und neo-klassische, der Politik. Eine Politik ohne Grundlage ist die adäquate Technik, um den Krieg zu schlagen und gleichzeitig den Konflikt zu retten." Was soll das heißen? Keine Ahnung, aber ein Kommunist, der über Schmitt schreibt, wer präsentiert das sonst schon?

Zumindest für Akademiker pikant ist auch ein abgelehnter Beitrag für eine Festschrift, wie ihn Manfred Lauermann präsentiert. Geschrieben zum 60. Geburtstag des Bielefelder Philosophen Jürgen Frese wurde die "Freiheit als zivilreligiöses Formular bei Spinoza: diverse Bielefelder Dekonstruktionen" von den Herausgebern abgelehnt wegen ihrer Länge sowie wegen eines "selbststilisierenden" und "polemischen" Tons. Es geht in dem Text nicht bloß um Spinoza, was schon schwierig genug wäre, sondern ebenso auch um Luhmann, der auch in Bielefeld wirkte, natürlich um Carl Schmitt, Panayotis Kondylis, der sich sowieso immer lohnt, und einen gewissen Manfred Walther, der "seit Jahren eine konsistente Spinoza-Interpretation erarbeitet" hat. Was Lauermann auf den 50 Seiten eigentlich sagen will, bleibt dem philosophischen Laien sowieso und auch dem Nicht-Spezialisten verschlossen, wie das bei Festschriftbeiträgen im allgemeinen so ist. Um so ungerechter, wenn diese abgelehnt wurden.

Eher allgemeinverständlich ist Walter Seitter mit "Die fünfzehn Naumburger oder die versäumte Lektion". Der Text handelt, das ist eindeutig klar, vom Dom in Naumburg und den Figuren der Stifter, die kunstgeschichtlich gewürdigt und vom alten Kult, vor allem dem Uta-Kult, befreit werden. Auch das hätte man einer rechten Zeitschrift nicht zugetraut. Am Ende kommt dann noch eine eigenartige Nietzsche-Psychologie, nach der Nietzsches ganzes Übel in dem Versäumnis wurzelt, sich den Dom seiner Heimatstadt einmal gründlich anzusehen: "Das wäre die Lektion gewesen, die Nietzsche gebraucht hätte". Gut, daß wir sie jetzt wenigstens bekommen haben.

Historische Kostbarkeiten sind drei Briefe Ernst Jüngers "An die Freunde" von 1946, die Piet Tommissen in der Etappe erstmals vollständig veröffentlicht, nachdem es in deutscher Sprache bislang nur Auszüge gab. Er schlägt für die Briefe die Bezeichnung "Rundschreiben" vor, da Jünger sich eine Verbreitung auch ohne Druck erhoffte. Die Briefe zeigen die ganze gequälte und peinigende Stimmung bei denen, die weder emigriert noch tödlich verfolgt waren, sich aber auch nicht umgebracht hatten und nun irgendwie weitermachen mußten. Sich auch irgendwie eine Rechtfertigung geben mußten, warum sie weitermachten. Nach Rechtfertigung klingen diese Dokumente allemal, und selbst bei einem Jünger wirkt das peinlich. Man kann darüber auch unterschiedlicher Meinung sein, und so sind die Jünger-Briefe ein Beitrag, der Etappe-Leser im Gespräch zusammenführen könnte. Während sonst die Scheu vorherrschen dürfte, daß der andere mehr verstanden hat als ich. So bei den geist- und anspielungsreichen drei Seiten am Anfang , die schon beinahe klingen wie Patrick Bahners in der FAZ, für manche ein Leckerbissen, für andere zum Abgewöhnen, immer mit Geisteselefanten auf Spatzen schießend, hier auf Berlins neues Zentrum, das "Debisland". Da hat man eine Straße ausgerechnt Joseph-von-Eichendorff-Gasse genannt, was den Verfasser auf verschlungenen Wegen zur "Topographie des Terrors" bringt. Dabei wäre es viel einfacher, Berlins neue Mitte mitsamt ihren Politikern, Geschäftsleuten, Journalisten und Touristen als einen Ort des Terrors, des kommerziellen, intellektuellen, ästhetischen und emotionalen Terrors zu bezeichnen – mit dem Vorteil, daß keiner dorthin deportiert wird.

Mehr Klarheit tut gut, nur die Gedichte von Gregor Brand dürften etwas verschlüsselter sein: "Es gab einmal in Deutschland / die Lutherzeit /später die Goethezeit / Vater und Mutter erzählen / von der Hitlerzeit / Heute lebe ich / in der Keinezeit".

Das ist zwar ganz schön frech, aber nicht ganz richtig: oder leben wir etwa nicht im Computerzeitalter? Mit dem Menschen hört doch die Geschichte nicht auf. Noch ein Thema zum "Dischkutieren".

 

Etappe, hrsg. von Heinz-Theo Homann und Günter Maschke: Anschrift: Postfach 30 04 24, 53184 Bonn,Einzelpreis 15 Mark


 
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