© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Hier unten, in der Zeit
Zum 80. Geburtstag des Dichters Paul Celan
Tobias Wimbauer

Als Paul Antschel wurde Celan im bukowinischen Czernowicz (seit 1918 rumänisch, zuvor österreichisches Kronland) am 23. November 1920 geboren. Celan gilt als ein herausragender Dichter deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts, der einen bis dahin ungehörten Sprachklang in die deutsche Lyrik brachte. Ständig präsent in seiner Lyrik ist die Erfahrung der Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg, seitens beider Kriegsparteien. So wurden 1941 – Celan studierte nach einem einjährigen Frankreich-Aufenthalt in seiner Vaterstadt Romanistik – Tausende Bukowiner Juden von den Russen in dieser Zeit nach Sibirien verschleppt. Kurz darauf begannen die Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus: Ein Ghetto wurde errichtet, wieder aufgelöst, und ein halbes Jahr später setzten die Deportationen ein. An einem Wochenende traf Celan seine Eltern nicht mehr an, "so ohne Abschied ... weg, wahrscheinlich für immer".

Die Todesnachrichten erreichten Celan kurze Zeit später. Paul Celan blieb am Leben. Biographen sprechen von einem "Überlebensschuld-Syndrom". Ein Biograph, Wolfgang Emmerich, stellt sachlich fest, daß das Wort "Auschwitz" in keinem Gedicht Celans vorkomme. (War das nicht einer der Vorwürfe, die man jüngst Martin Walser machte?) "Sie, die Sprache, blieb unverloren, ja, trotz allem."

Nach dem Ende des Krieges siedelte Celan, nun wieder Student, nach Bukarest über und arbeitete dort als Lektor für russische Literatur. In Bukarest wurde er auch als Dichter gefördert – von Alfred Margul-Sperber. 1947 erschienen einige Gedichte, nun unter dem neuen Namen Paul Celan, ein Anagramm auf Antschel. Nach der Abdankung König Mihails I. verließ Celan das Land, den Stalinismus fliehend, und ging nach Wien; eine schwierige Flucht gen Westen, jüdische Emigranten wurden an der Grenze von Rumänen erschossen, andere lediglich verhaftet.

In der Wiener Zeit publizierte er zunächst in Zeitschriften. Neue Förderer wurden Otto Basil und Max Rychner. Ein Gedichtband, "Der Sand aus den Urnen" (1948), war bereits gedruckt, Celan ließ ihn einstampfen, es waren darin zu viele sinnstörende Druckfehler.

Im gleichen Jahr siedelte Celan nach Paris über, wo er bis zu seinem Tode wohnte. In Paris lernte er auch das Ehepaar Claire und Yvan Goll kennen, eine verhängnisvolle Bekanntschaft, wie sich zeigen sollte. Nach dessen Tod wurde Celan mit der Übersetzung von Golls Gedichten betraut. 1953 wandte sich der amerikanische Germanist Richard Exner an Claire Goll wegen "erstaunlicher Parallelen" von Golls "Traumkraut" (1951) zu Celans "Mohn und Gedächtnis" (1952). Allerdings wußte der Amerikaner nicht, daß Celans Gedichte in diesem Band, mit wenigen Ausnahmen, allesamt vor 1948 entstanden waren und in dem zurückgezogenen Band "Der Sand aus den Urnen" gedruckt worden waren. Der Vorwurf des Plagiats war unhaltbar.

Claire Goll aber schickte eifrig Briefe an Redaktionen und Verlage, in denen sie ihre Anschuldigungen ausführte. Später ging sie gar zu anonymen Schreiben über. Im April 1960 veröffentlichte sie in einer Münchner Zeitschrift "Unbekanntes über Paul Celan". Darin behauptete sie, daß Celan ihr Vertrauen mißbraucht habe, die Gedichte ihres verstorbenen Mannes schlecht übersetzt und diese überdies in eigenen Texten plagiiert habe. Dieser Brief zeitigte Wirkung, Celans Ruf als Lyriker von Rang drohte Schaden zu nehmen. Doch waren auch Verteidiger zur Stelle: Ingeborg Bachmann, zu der Celan zeitweise eine enge Beziehung unterhielt, Peter Szondi, Klaus Demus, Hans Magnus Enzensberger, Armin Mohler und andere. Zwei Vertreter der Plagiatsthese, Reinhard Döhl und Rainer Kabel, nahmen später ihre Bezichtigungen zurück, Kabel entschuldigte sich.

Ein weiterer Tiefschlag erfolgte in der Zeitschrift Monat: Unter dem wahrscheinlich fiktiven Verfassernamen "R. C. Phelan" wurde die Geschichte eines erfolgreichen texanischen Autors erzählt, dessen Romane von einem Schreib-Automaten erstellt worden waren. Betitelt war das Machwerk mit der Frage: "Gibt es mich überhaupt?" Celan bezog diesen Text auf sich. Er empfand die Kampagne als einen antisemitisch motivierten geistigen Auslöschungsversuch tÓl sprach von seiner "affaire Dreyfus". Nicht ohne Dreistigkeit war auch die Äußerung Claire Golls, daß er, Celan, die "traurige Legende" (!) – gemeint ist der Tod seiner Eltern – "so tragisch zu erzählen" wisse. Dabei widerte Celan der Anti- ebenso wie der Philosemitismus an. In seiner Dankesrede anläßlich der Verleihung des Büchner-Preises 1960 sagte Celan, dies sei ein "Alibi", das nur dazu diene, ihn "um so besser heruntermachen zu können". Ein knapp tausend Seiten starker Dokumentationsband zu der Plagiats-Affäre, besser: Claire-Goll-Affäre, ist soeben bei Suhrkamp erschienen, vorzüglich ediert von Barbara Wiedemann.

In den letzten Jahren machte Celan schwere Krisen durch; Klinikaufenthalte wurden nötig –"man hat mich zerheilt". 1969 reiste Celan nach Jerusalem, kurz nach der Rückkehr nach Paris stellten sich erneut Depressionen ein. Trotzdem hielt Celan wie gewohnt seine Seminare an der Elitehochschule ENS. Am 20. April 1970 bemerkte Giséle Celan-Lestrange das Verschwinden ihres von ihr seit 1967 getrennt lebenden Mannes. Am 1. Mai wurde Celans Leichnam in der Seine außerhalb von Paris aufgefunden, einen Abschiedsbrief hatte er nicht hinterlassen. Auf Celans Schreibtisch lag aufgeschlagen eine Hölderlin-Biographie, darin eine Stelle von ihm angestrichen: "Manchmal wird dieser Genius dunkel und versinkt in dem bitteren Brunnen seines Herzens."

Häufig wird von einer "irritierenden Verrätselung" gesprochen, die Celans Gedichte nahezu uninterpretierbar machten. Celansche Wendungen werden als Beispiel für absolute, gleichsam undeutbare Metaphern genannt. Meist wird hier die "schwarze Milch der Frühe" (Todesfuge, 1944/45) angeführt. Rasch sind Begriffe wie "hermetisch" oder "kryptisch" zur Hand. Celan: "Ich stehe auf einer anderen Raum- und Zeitebene als mein Leser; er kann mich nur ’entfernt‘ verstehen, er kann mich nicht in den Griff bekommen, immer greift er nur die Gitterstäbe zwischen uns" – das Sprachgitter.

Für Diskussionen sorgten Celans Begegnungen mit Martin Heidegger, das Treffen zweier Geister, die "ebenbürtig" (Gadamer) waren. 1957 lernte Celan Martin Heidegger am Rande einer Lesung in Freiburg kennen und besuchte ihn tags darauf in Todtnauberg. Um diese Begegnung ranken sich zahlreiche Spekulationen. Celan schrieb in Heideggers Hüttenbuch: "mit einer Hoffnung auf ein kommendes Wort im Herzen" – "Ermunterung und Mahnung zugleich" schrieb Heidegger ihm kurz darauf. In Gesprächen äußerte Celan, er habe "Rechenschaft" erwartet; später trafen sich Celan und Heidegger zwei weitere Male.

Gänzlich unbekannt ist bislang, daß Celan sich 1951 – unterstützt von Klaus Demus (damals Kunststudent in Wien, Freund des Dichters, "der einzige", wie Celan ergänzt) – "in Dankbarkeit und Verehrung" an Ernst Jünger wandte, in der Hoffnung, daß dieser ihm zu einer Buchpublikation verhelfen könne. Ob Jünger Anteil an der Veröffentlichung von "Mohn und Gedächtnis" kaum ein Jahr später hatte und welchen, bleibt noch zu klären; wohl aber begründete dieser Brief die Bekanntschaft Celans mit Armin Mohler.

 

Tobias Wimbauer, 24, studiert Germanistik und Philosophie in Freiburg. Im vorigen Jahr veröffentlichte er das "Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers".


 
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