© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Besinnen auf die eigenen Kräfte
Karlheinz Weißmann: Alles was recht(s) ist
Angelika Willig

Alles was recht(s) ist". Hat nicht jeder Rechte seine eigene Definition, die gilt, solange keine andere erfolgreicher ist? Das soll Karlheinz Weißmann mal versuchen, die jeweiligen Lieblingsbücher und Lieblingstheorien auszustechen. Nicht "Alles was rechts ist", aber alles, was Weißmann für rechts hält, das ist auch schon ganz interessant. Sogar sehr interessant. Denn Weißmann hat eine einerseits spezielle, andererseits auch typische Auffassung vom rechten Wesen.

Zunächst: Es handelt sich um eine Aufsatzsammlung. Bis auf einen unveröffentlichten Text sind alle in den letzten zehn Jahren bereits erschienen, überwiegend in der Zeitschrift Criticón, damals noch unter Caspar von Schrenck-Notzing. Dieser Erscheinungsort gibt bereits einen Hinweis auf das Typische an Weißmanns Position. Es handelt sich nämlich um eine entschieden konservative Position, wie sie eben auch vom (alten) Criticón gepflegt wurde.

Was heißt "konservativ"? Auf jeden Fall nicht dasselbe wie "rechts". Auf diese Unterscheidung kommt es Weißmann an, und daher handelt sein Buch auch nicht nur von Konservativen. Allerdings kommen die nicht-konservativen Rechten darin eher schlecht weg. Ein Teil sind schlichtweg "Häretiker", also eigentlich schon gar keine Rechten mehr, sondern geben sich nur dafür aus – wie die Ketzer sich als Christen ausgeben und vielleicht sogar dafür halten. Die These, daß Nationalsozialisten und Faschisten eigentlich "Linke" seien, hat man auch schon woanders gehört, auch daß sie eine "moderne" Erscheinung sind. Wenig bekannt erscheint die These von Zeev Sternhell, nach der die Wurzeln des europäischen Faschismus in Frankreich, und zwar bei dem Autor Maurice Barrès im ausgehenden 19. Jahrhundert liegen. Die hier entstandene Mischung soll aus Antirationalismus, Antimaterialismus, Antiliberalismus und Antiindividualismus bestehen und im Antisemitismus ihre Synthese haben. Nimmt man hierzu den Beitrag "Maurice Barrès und der Nationalismus im Frühwerk Ernst Jüngers", so heißt das noch nicht, daß Ernst Jünger ebenfalls zu den "Häretikern" gehöre. Nein, Jünger gehört – trotz allem – zu den "Konservativen" und damit zu den "guten" Rechten. Denn "Jünger hatte auch während der nationalistischen Phase immer wieder deutlich gemacht, daß sich der einzelne notfalls auf sich selbst zurückziehen müsse".

Das "Sich-auf-sich-selbst-Zurückziehen" ist die typisch konservative Verhaltensweise, die Weißmann immer wieder begeistert. "Einzelgänger" wie Ewald von Kleist, Eliteschwärmer wie Edgar Julius Jung und "Sonderbare" wie Friedrich Hielscher sind Gestalten eines Olymp, der nicht Gefahr läuft, irgendwann auf der Erde anzukommen, um politisch etwas zu verändern. Das ist bei Weißmann den "kleinen Leuten" vorbehalten, deren "Unmut" die Basis eines zukünftigen Konservatismus sein soll. Weil sie nichts haben, worauf sie sich "zurückziehen" können, weder ein Landgut noch eine ausgewählte Bibliothek, sind die Proletarier zum revolutionären Subjekt bestimmt. Das klingt gar nicht so dumm, doch warum handelt dann "Alles was rechts ist" nicht von den "kleinen" Vorpreschern, sondern statt dessen immer von den großen Rückziehern? Offenbar besteht zwischen "zukünftigem" und gegenwärtigem bzw. bisherigem Konservatismus ein erheblicher Unterschied. Den einen kennt und liebt Weißmann, den anderen ist er gezwungen zu postulieren.

Das "Sich-auf-sich-selbst-Zurückziehen" ist nicht nur die adäquate Reaktion auf den Nationalsozialismus, sondern auch auf die harmloseren Spielarten der Moderne. Der "Anarchismus von rechts" zum Beispiel beginnt bereits mit dem Kampf der Aristokratie gegen die Macht der Krone, findet seinen Höhepunkt im Dandyismus des 19. Jahrhunderts und reicht bis zu Henry de Montherlant und schließlich dem "Anarchen" im "Waldgang". Bei allen geht es um eine "Haltung" bzw. eine "Geste", nicht um ein politisches Handeln. Denn dabei wäre man ja auf jene "kleinen Leute" angewiesen, die bisher offenbar noch nicht die Notwendigkeit des Konservatismus erkannt haben.

Haltung und Geste sind Fragen des Stils. Im Stilistischen sind die Konservativen immer groß gewesen. Heute kann man statt Stil auch "Kult" sagen und statt stilvoll "kultig". Kultig in diesem Sinne ist das sogenannte "Geheime Deutschland", das Weißmann auf Kantorowicz und sein Buch über den Staufer Friedrich II. zurückführt. Bekanntlich hat sich die daher stammende Haltung bis in den Kreis des 20. Juli hinein erhalten. Sich-auf-sich-selbst-Zurückziehen und in strammer Haltung Untergehen sind offenbar die tragenden konservativen Tugenden. Sind es auch die preußischen Tugenden? Eine Überschrift wie "Potsdam oder Der preußische Traum" legt es schon nahe. Preußen ist nicht in erster Linie ein Staat, sondern ein Traum, heute zumindest ist es ein Traum – selbst wenn das alte Stadtschloß wiederaufgebaut würde. Aber auch Preußen hat einen hohen Kult-Faktor: "durch Einfachheit vornehm zu wirken" zitiert Weißmann Arthur Moeller van den Bruck für "das Geheimnis Potsdams".

Der einzige unveröffentlichte Beitrag "Die ‚Ideen von 1848‘ und die ’Ideen von 1871‘" enthält eine hochinteressante Bemerkung, der einer mal ein ganzes Buch widmen sollte. Es heißt da über die Linke: "Ihre Erfolge in den vergangenen Jahrzehnten lassen sich mit mangelndem Wirklichkeitssinn eigentlich nur schwer erklären, vielleicht aber mit einer höheren Täuschungsfähigkeit, mit der verglichen der ganze Realismus der Rechten etwas lächerlich wirkt. Möglicherweise sind gerade die die Meister des struggle for life, die dessen Existenz oder Berechtigung in der Menschenwelt immer in Abrede gestellt haben, möglicherweise sind diejenigen allein feindfähig, die das Freund-Feind-Denken immer bekämpfen, möglicherweise will die Welt betrogen sein – möglicherweise." Das klingt beinahe schon nach Nietzsche, der auch ohne Nazismus unbedingt zu den "bösen" Rechten zählt.

Von den Linken spricht Weißmann sonst kaum, was schade ist von wegen der Abgrenzung. Doch wenn wir raten dürfen, was ein Rechter dieses konservativen Schlages den Linken vorwirft, dann ist es sicher der "Kollektivismus". "Kollektivisten" sind immer die anderen, und wenn Rechte auch einen Hang zum "Antiindividualismus" haben, dann sind es entweder die "Häretiker" oder Fehlgesteuerte wie Friedrich Hielscher, der bei den Nationalrevolutionären landete, aber "sein Denken blieb immer prinzipieller und ’theologischer‘". Man selbst bleibt bürgerlicher Individualist – und läßt sich seinen Individualismus nicht von denen verderben, die nie begriffen haben, daß "der Gewährung von Freiheit immer etwas vorausgehen muß, das sich weder von selbst versteht noch mit Hilfe der Freiheit gewonnen werden kann". Mit anderen Worten: daß das Individuum sich erst innerhalb schützender Mauern entfalten kann.

Diese "Mauern" hat Arnold Gehlen "Institutionen" genannt. "Einen zu Unrecht Vergessenen" nennt der Autor den "kalten" Konservativen, der in dem eigenartigen Zoo offenbar sein Lieblingstier ist, und spricht ihm eine "unterirdische Wirksamkeit" zu. "Es wächst die Einsicht in die Sachzwänge", das ist sicher richtig, und es wächst die Einsicht in den Preis, den der Individualismus die Gesellschaft kostet. Gehlen nennt es "Kristallisation", und sein Schüler nennt uns "die Asiaten" als Vorbild mit ihrer "Zähigkeit, Geduld, Starrsinn, List und einer geistigen Grausamkeit". Irgendwie fällt einem dabei das grausame Lächeln von Niklas Luhmann ein. War der auch ein Rechter? Wohl kaum, aber ein Konservativer. Das gibt es also auch.

 

Karlheinz Weißmann: Alles was recht(s) ist. Ideen, Köpfe und Perspektiven der politischen Rechten, Leopold Stocker-Verlag, Graz/Stuttgart 2000, 284 S., geb. 39,90 Mark


 
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