© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    48/00 24. November 2000

 
Tunesien: Internationales Sahara-Festival findet alljährlich Ende November statt
In Douz lebt die Wüste
Günter Schenk

D as Publikum ist guter Laune. Ge rade hat sich ein Wüstenfuchs unter der Tribüne verdrückt. Gehetzt von einer Meute Sloughis, arabischen Hunden, die als pfeilschnelle Jäger gelten. Kurz vorher haben sie einen Hasen aufgebracht, allen demonstriert, wie gnadenlos das Leben in der Wüste ist. Aus der staubigen Sahara nahen acht Meharis. Große, weiße Rennkamele, jedes fast ein Jahreseinkommen wert. Genau betrachtet sind es einhöckrige Dromedare: hochgewachsene Trampeltiere, die einmal jährlich in Douz um die Wette laufen, dem kleinen Städtchen im Herzen Tunesiens.

"Tor zur Sahara" nennt es sich stolz, eine Bilderbuch-Oase mit gepflegten Palmenhainen. Ein Abenteuerland am Rand der Wüste, Herz der neuen tunesischen Ferienlandschaften. Moderne Asphaltstraßen durch trostlose Steppen haben Douz näher an die Küstenregion gerückt. Vor allem an die Insel Djerba, von der man jetzt in vier, fünf Stunden mitten in der Sahara ist. Vierzigtausend Touristen, heißt es im Verkehrsbüro, machen hier Monat für Monat Station. Deutsche die meisten, "Kartoffeln", wie sie die Tunesier wegen ihrer Eßgewohnheiten nennen.

Nach der Erschaffung des Menschen, erzählt man sich in Douz, habe Allah noch zwei Klumpen Lehm übrig gehabt. Aus dem einen formte er die Dattelpalme, aus dem anderen das Kamel. Von beiden leben die Menschen hier. So wie Ibrahim, der gleich drei weiße Rennkamele sein eigen nennt. Große Wüstenschiffe, mit denen er das Jahr über Urlauber durch die Dünen von Douz schaukelt.

Hunderte in Douz sind Gelegenheitsarbeiter. Männer und Frauen, die während der vier Festivaltage ihr Einkommen aufbessern. Als Statisten werden sie gebraucht, als verwegene Reiter auf schönen Pferden und schnellen Kamelen, als wilde Tänzer und Musiker. Als Kleindarsteller des Wüstenlebens wie Fauzi, der mit seinem Lieblingspferd erschienen ist. Knapp zwanzig Mark Tagesgage zahlen die Festival-Organisatoren dem Reitersmann umgerechnet. Verwegen galoppiert er dafür durchs Festival-Rund. Leicht verdientes Geld verglichen mit dem Knochenjob in der Oase, wo er dafür acht Stunden Datteln schleppen müßte.

Im Zelt nebenan backen Berberfrauen Brot. Sie gelten als Ureinwohner Tunesiens, als Nachfahren eines alten Nomaden-Volkes. Zum Fest haben sie ihren feinsten Schmuck angelegt. Gold glänzenden Zierrat, Status-Symbol einer Minderheit, welche die Araber aus den fruchtbaren Ebenen im Osten in die kargen Regionen der Wüste vertrieben haben. Zum Festival zeigen sie einen Hochzeitszug. Ein Stück Folklore, das mit dem Alltag der Berber freilich wenig zu tun hat. Die Zeiten, erzählt uns einer, wo junge Paare sich tagelang feiern ließen, sind auch in Douz längst vorbei.

Donnerstags ist Markt in Douz, auch während des Festivals. Auf dem zentralen Platz im Herzen der Stadt drängen sich die Händler. Gemüse und Gewürze bieten sie feil, Obst und Mehl, farbig bestickte Saharaschuhe aus Ziegen- und Kamelleder gibt es. Souvenirs, die über Nacht auf Wunsch in allen Größen und Farben gefertigt werden. Handeln gehört zum Geschäft. Auch bei den Teppichknüpfern, die in Douz weit billiger anbieten als in den großen Manifakturen entlang der Mittelmeerküste. Ein paar Schritte weiter ist Dattelmarkt, bringen die Beduinen ihre Ernte unters Volk. Die Viehhändler, die sonst hier feilschen, sind an den Stadtrand verbannt. Auf ein sandiges, fast schattenloses Plätzchen neben der Bus-Station. Auch die Louages halten hier, die vielen Dutzend öffentlichen Sammeltaxen. "Boites de mort" heißen die oft ramponierten Kombis, "Todeskisten", die den Spitznamen dem Fahrstil ihrer Eigner verdanken. Zum Festival kommen die Kleinbusse aus allen Teilen des Landes, trifft man sich zu Hunderten bei Freunden und Verwandten.

Auf dem Viehmarkt wechseln Ziegen und Pferde ihre Besitzer, Esel und Schafe. Ab und zu auch ein Dromedar, weshalb die Fremdenverkehrswerber vom größten Kamelmarkt Tunesiens sprechen, vom größten Viehmarkt im Süden des Landes. Reine Männersache ist er auf alle Fälle, ein buntes Treiben, das schon frühmorgens beginnt, wenn die Sonne den ersten Handel zuläßt. Kamele, klärt uns einer auf, sind Energiesparmodelle, geschaffen für den Einsatz in der Wüste. Bis zu 135 Liter Wasser, gespeichert im Gewebe des Körpers, reichen den Trampeltieren in kühlen Wintermonaten für ein- bis zweiwöchige Touren. Feine Membranen in den Nasenlöchern sorgen dafür, daß eingeatmete Feuchtigkeit nicht wieder ausgeatmet wird. Zudem hat die Natur alle Dromedare mit der Fähigkeit ausgestattet, ihre Körpertemperatur bis auf 46 Grad Celsius zu steigern, was den Wasserverbrauch spürbar drosselt.

Ein paar hundert Tiere stehen Tag für Tag an den El-Hofra-Dünen, warten auf Kundschaft, auf die klimatisierten Touristen-Busse, die zum Kamelritt nach Douz fahren. Zehn Mark umgerechnet kostet die einstündige Sahara-Tour. Zum Schutz vor Sonne und Wind schlingen die Treiber den Reitern noch schnell einen Chech um den Hals, einen langen weißen Schal. "In der Schule", erzählt einer der Beduinen, "wirst du mit Wissen gefüttert. Im Ernstfall nützt dir das wenig. Du kannst acht Jahre zur Schule gehen – und trotzdem keine Arbeit finden. Da ist es besser, wenn du weißt, wie man sich durch die Wüste schlägt." Auf dem Festivalplatz, ein paar Schritte weiter, bringen Treiber zwei Kamele in Stellung. "Sie werden kämpfen", freut sich der Kommentator auf der Tribüne. Die beiden seien auf Brautschau, will einer wissen. Zumindest statistisch scheint er sich auszukennen. "Auf jeden Hengst in der Wüste kommen rund hundert Kameldamen". Eine brisante Mischung, die Anfang Dezember zu heftigen Rangeleien führt, zu bissigen Machtkämpfen in der Natur. In Douz trägt mancher Hengst dann einen Maulkorb, heute aber bleiben die Tiere ruhig, fällt der Kampf flach. Auch beim großen Preis von Douz, dem Abschlußrennen der Meharis, läuft alles anders, als man glaubt. Den sicheren Sieg vor Augen hält es den Spitzenreiter nicht länger im Sattel. Im Spurt zerrt er sein Wüstenschiff am Zügel durchs Ziel. Für den Sieg ist ein guter Reiter auch mal zu Fuß unterwegs.


 
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