© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Kultur als Chefsache
Kunst sollte unter Schröder zu einer nationalen Aufgabe werden
Angelika Willig

Von Zeit zu Zeit kommt es einem vor, als ob sich etwas ändern würde in der Politik. Die Spendenaffäre war so eine Gelegenheit und der Umzug nach Berlin und der Kulturstaatsminister Naumann. Alles Zeugnisse für das Ende der Ära Kohl. Für Helmut Kohl stand die Kultur nicht an vorderster Stelle, an vorderster Stelle stand "Bimbes". Früher hatten die Sozialdemokraten ideologisch verblendet den Menschen verändern wollen mit Einrichtungen wie Gesamtschule und Regietheater und diese im ganzen Land zu verbreiten versucht. Nur die verfassungsmäßig garantierte Kulturhoheit erlaubte es den unionsregierten Ländern, sich diesen linken Vorstößen einigermaßen zu entziehen. Dann beendete die geistig-moralische Wende auch bundesweit jede revolutionäre Anwandlung, und Kultur wurde endlich wieder wie in den Fünfzigern zum Feierabendvergnügen Besserverdienender. Aber eines Tages könnte ja wieder ein Sozialdemokrat den Thron besteigen und irgendwelche Experimente in Richtung Fortschritt versuchen wollen, und dagegen brauchen die Bayern und die anderen ihre Kulturhoheit, auf die sie pochen.

Die Befürchtung trat ein, Kohl ging, Schröder kam, und Schröder kam mit einem fiesen Trick. Er erfand das Amt des Kulturstaatsministers – Kulturminister läßt die Verfassung nicht zu – und besetzte es mit einem Journalisten und Verleger, der aus New York kam und alle Kulturbürokraten an die Wand redete. Das Amt erforderte geradezu die Kompetenzüberschreitung, denn mit nur zehn Prozent der staatlichen Kulturausgaben kann die Bundeskultur keine glänzende Wirkung entfalten. Darauf aber ist der Neue aus. Daher fängt er gleich an zu planen: einen "Erinnerungspavillon" für das Mahnmal, eine Verlegung der europäischen Gemälde vom Kulturforum auf die Museumsinsel und der außereuropäischen Kunst von Dahlem in ein wiedererbautes Stadtschloß. Wo das Geld herkommen soll, ist noch die Frage. Dafür hat Naumann zum Schluß seiner zweijährigen Amtszeit noch schnell die Sammlung Berggruen und Daniel Barenboim für Berlin gesichert. Es gibt freilich noch viele andere Meister und Meisterinnen, die kriegen nun nichts. Folglich hassen sie Naumann. Genau wie die, die nicht das Glück haben, in der Hauptstadt zu wirken. Und alle, die zufällig oder mit Absicht nichts von dem Goldregen abgekriegt haben. Der Groll kann Naumann jetzt egal sein. Er geht zur Hamburger Wochenzeitung Die Zeit.

Was hat Michael Naumann verändert? Etwas sehr Wichtiges, wenn man Leuten wie Eckhard Fuhr in der Welt glaubt. Er hat "Lärm gemacht", er war ein "Blickfang", vor allem aber war er eine "Figur der Berliner Republik". Leuten wie Fuhr, die sich schon lange fragten, "was nationale Kulturpolitik in Deutschland bedeutet", hat Naumann – immerhin – den Eindruck vermittelt, daß diese Frage politisch eine Rolle spielt. Daß Kultur überhaupt wieder eine Rolle spielt nach den pubertären Entgleisungen von ‘68 – "Goethe ist Scheiße. Kunst ist Scheiße" – und nach der anschließenden penetranten Geistlosigkeit und Selbstzufriedenheit der Bonner Spätzeit. Naumann, der weltläufige deutsche Intellektuelle, war Zeichen einer Hoffnung, daß sich im neuen Berlin ein bißchen von der Spannung und vom Niveau des alten Berlin der zwanziger Jahre wieder einstellen würde. Optimisten wie Fuhr hoffen weiterhin und wünschen dem Nachfolger, Julian Nida-Rümelin, trotz parteipolitischem Hintergrund den Mut zur "effektvollen Inszenierung": "Man muß über Kultur reden."

Wer aber hat dazu Lust? Und wer hat Lust auf eine "nationale Kulturpolitik?" Doch nur die ganz Naiven, die da meinen, mit einem Hotel Adlon und einem Marlene-Dietrich-Platz hätte man auch bald einen Bert Brecht, Friedrich Hollaender oder Ernst Jünger. Realistisch gesehen, haben die Länder ganz recht mit ihrer Befürchtung, was aus Berlin kommt, werde nicht besser sein, als was aus Bonn kam. Und wenn die linken Weltverbesserungspläne schon Schaden anrichteten, dann soll wenigstens der schnittig-mittige Schröder-Kurs nicht die letzten Bedenken kappen. Eine geist- und kulturlose Gesellschaft ist zur "nationalen Kulturpolitik" oder auch nur dem "nationalen Diskurs" gar nicht in der Lage. Woher sollten Argumente und Kriterien dafür kommen? Bezeichnend ist, daß Naumann sich in Europa ausgerechnet für die Buchpreisbindung stark machte. Als nächstes wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk gekommen. Was immer man zu diesen "typisch deutschen" Einrichtungen meint, sie sind auf Dauer wohl nicht zu halten. Das einzige Argument auf nationaler wie auf europäischer Ebene ist – mit und ohne Kohl – "Bimbes", und Kultur wird in diesem Zusammenhang, ob man will oder nicht, zum Standortvorteil und zur touristischen Attraktion heruntergerechnet. Deshalb ist sie so weit wie möglich aus den Händen solcher Politiker zu befreien, so weit wie möglich zu dezentralisieren und zu privatisieren.

Sicher verstehen auch Banken und Großunternehmen nicht mehr von Kunst als Politiker und Bürokraten. Privatunternehmen kaufen und sponsern letztlich nach Werbe- und Gewinnmöglichkeiten. Die Kultur wird dabei Mittel zum Zweck. Und wer keinen Sponsor findet, wie die besonders Begabten, die nicht gleich und leicht konsumierbar sind, muß untergehen oder sich durchschlagen.Was soll daran gut sein? Gut ist, daß dann der "Warencharakter", so nannten es die Marxisten, von Kultur unübersehbar würde und die Illusion aufhörte, daß in der von oben verordneten subventionierten Kunst noch jener ursprüngliche Sinn von Kultur als Gemeinschaftserfahrung und Beschwörung irgendwie enthalten sei. Während der kommerziell arbeitende Künstler als eine Art Dienstleister zu erkennen ist, kann der subventionierte Kollege den Nimbus des Protests, der Kritik oder auch Verweigerung vor sich her tragen. Als ob nicht jeder wissen müßte, daß ein echter Protest und eine echte Verweigerung weder gesponsert noch subventioniert wird, sondern die allgemeine Ablehnung auszuhalten hat. Am besten wäre wahrscheinlich, wenn es nur noch Sonntagsmaler und Laienschauspieler, nur noch musizierende Rentner und dichtende Staatsanwälte gäbe. Dann würde sich wenigstens das nicht bilden, was der schlimmste Feind der Kultur ist, nämlich der Kulturbetrieb. Da sind schon viele Talente totgelobt worden. Denn Kultur ist kein "Beitrag zum guten Leben", wie der Philosoph Nida-Rümelin meint, sondern eher ein Ausdruck des schlechten Lebens, zu dem der Mensch mehr oder weniger verdammt ist. Und darum sind die Jahre nach 1918 so voller Geist gewesen, weil sie voller Angst und voller Sorge waren, voller Haß und voller Hoffnung, voller Scham und voller Stolz. Und voller Gefahren. Das wollen wir doch nicht wieder haben? Na also.


 
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