© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Die schwarze Troika ist noch viel zu zahm
CDU/CSU: Die Opposition verfolgt bislang die falsche Strategie zur Ablösung der Schröder-Regierung
Paul Rosen

Die CDU-Vorsitzende neigt zu Untertreibungen. Die Partei sei noch nicht wieder ganz auf dem Damm, verbreitete Angela Merkel beim Landesparteitag der Berliner Union und warnte davor, die CDU nur als Wirtschaftspartei zu verstehen. Eigentlich forderte sie, was nicht falsch ist: Die Opposition müßte eine breite gesellschaftliche Debette beginnen – so wie dies Friedrich Merz wenigstens einmal mit dem wenn auch von ihm eng verstandenen Begriff der deutschen Leitkultur gelungen war. Doch Frau Merkels Oppositionsstrategie erinnert auf fast allen Feldern an einen früheren CDU-Vorsitzenden; Auch Rainer Barzel stand für das Prinzip des "jetzt nicht und so nicht". Echte Alternativen zur Politik der rot-grünen Koalition mit Kanzler Gerhard Schröder an der Spitze hat Frau Merkel nicht. Ein bißchen Lebenspartnerschaft statt volle Homo-Ehe macht die CDU für den Wähler nicht zur echten Alternative.

Die falsche Strategie wird beim wichtigsten Zukunftsthema deutlich: Dem demographischen Problem. Der Generationenvertrag ist nicht nur in den 16 Jahren der Regierung Kohl falsch verstanden worden; schon Adenauer erlag einem Irrtum, als er bei der Diskussion um die Rentenreform in den fünfziger Jahren sagte: "Kinder kriegen die Leute von alleine." Folglich, und während der sozialliberalen Regierungszeit nicht weiter beachtet, setzte sich in der Bevölkerung der Eindruck fest, der Generationenvertrag, der nicht nur die Rentenversicherung betrifft, sondern alle sozialen Sicherungssysteme, bestehe ausschließlich darin, daß die Jungen einzahlen und die Alten kassieren – wenn die Jungen alt geworden sind, wiederholt sich dann der Vorgang.

Doch weit gefehlt: Zum Generationenvertrag gehört außerdem, daß die Jungen eine ausreichend hohe Zahl von Kindern in die Welt setzen. Dieser Bestandteil des Vertrages wurde von der SPD so stark ausgeblendet, daß es in den siebziger Jahren zur Kürzung der damals ohnehin bescheidenen staatlichen Kinderförderung kam. Erst das Bundesverfassungsgericht setzte in der Kohlzeit ein paar Zeichen für die Familien und setzte per Urteil durch, daß wenigstens das Existenzminimum eines Kindes steuerfrei bleiben müsse. Die Sprache war verräterisch: Mehr als das, was zum Essen, Trinken und Wohnen unbedingt notwendig war, waren selbst dem höchsten Gericht die Kinder nicht wert.

Erst CSU-Chef Edmund Stoiber läutete fiir den CSU-Teil der Union die Kehrtwende ein. "Ja, wir haben zu wenig Kinder", sagte er im Sommer in einem Interview. In einem familienpolitischen Papier fordert seine Partei monatliche Zahlungen in Höhe von 1.000 Mark pro Kind – wenigstens in den ersten Lebensjahren: Die Unionsfraktion brachte inzwischen einen Bundestagsantrag ein, in dem die Folgen der demographischen Entwicklung verdeutlicht werden. Doch hier, wo CDU-Politiker massiv mitwirken, verließ die Opposition wieder der Mut: Konkrete Maßnahrnen zur Bevölkerungspolitik, zur Erhöhung der Geburtenzahlen werden nicht verlangt. Gefordert wird statt dessen ein jährlicher Bericht der Bundesregierung zum Altersaufbau und zu den Kinderzahlen.

Es fehlt auch an Flankierung von politischer Seite. Frau Merkel versuchte zwar im Zusammenhang mit ihren erkennbaren Bemühungen, ihre Kanzlerkandidatur zu präjudizieren, Begriffe wie "Nation" und "Vaterland" in den Mund zu nehmen, doch geglaubt wurde ihr das kaum. Die Mehrheit der Bundesbürger sieht immer noch Stoiber als den glaubhafteren Kanzlerkandidaten an. Das Merkel als Frau eigentlich nähere Thema Bevölkerung und Kinderkriegen meidet die CDU-Vorsitzende vermutlich weil sie die Sorge hat, ihre Partei könnte damit in die rechtsextreme Ecke gestellt werden. Folglich finden sich in CDU-Papieren zur Familie zwar Bemerkungen, daß man homosexuelle Partnerschaften toleriere, aber praktikable Vorschläge für Familien werden nicht gemacht. Dabei machte es Frau Merkels alte Heimatregierung doch vor. In der DDR gab es Familiengründungsdarlehen, die man "abkinden" konnte (mit jedem Kind reduzierten sich die Schulden). Die Maßnahme brachte in der DDR nur deshalb nicht den gewünschten Erfolg, weil der Geldwert schlecht war.

Erst vor wenigen Tagen versuchte die Koalition das Thema Familienförderung wieder an sich zu reißen. Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel, kündigte für das Jahr 2002, immerhin das Wahljahr, eine Erhöhung des Kindergeldes um 30 Mark an. Diese Größenordnung muß auch SPD-Fraktionschef Peter Struck im Auge gehabt haben, als er eine "deutliche" Erhöhung ankündigte. Dabei handelt es sich allenfalls um die bescheidene Erhöhung eines Almosens. Bevölkerungspolitische Effekte sind von der leichten Erhöhung nicht zu erwarten. Aber die Union schwieg tagelang zu dem Vorstoß.

In diesem Zusammenhang steht auch die Debatte um die Rentenreform. Frau Merkel würde gerne einen Konsens mit dem sachlich und fachlich überforderten Sozialminister Walter Riester erreichen. Ihr Ziel: Das Rententhema aus dem nächsten Wahlkampf herauszuhalten. Ihr Problem: Schon jetzt sind viele maßgebliche Rentenversicherungsexperten davon überzeugt, daß Riesters Reform eine eng begrenzte zeitliche Wirkung hat. Nach wenigen Jahren könnte eine neue Reform nötig werden. Frau Merkel wären dann die Hände zur Kritik gebunden, weil sie an der Riester-Reform beteiligt gewesen wäre. Die Chance, mit dem wichtigen Thema Sicherheit der Renten den Wahlkampf 2006 bestreiten zu können, wäre vertan.

Auch in der Gesundheitspolitik zeichnet sich die Union durch Schweigsamkeit aus. Ärzte beklagen bereits, daß die Budgets erschöpft sind und wichtige Medikamente nicht mehr verordnet werden können. Doch die Union versteht nicht, das Thema Unterversorgung in eine Kampagne umzusetzen. Kein Wunder, denn selbst bei einem viel einfacheren Thema, der Ökosteuer und den damit verbundenen massiven Preiserhöhungen für Benzin und für das Heizen gelang dies nicht.

Bei einer anderen Kampagne war die Union jedoch mit von der Partie: Als SPD, Grüne, PDS und FDP gemeinsam zur Kundgebung gegen Rechts (offiziell bedeutete das natürlich "gegen Rechtsextremismus") aufriefen, saß Angela Merkel wie selbstverständlich im Vorbereitungskomitee fur die Demonstration am 9. November in Berlin. Während der Demonstration bekam die Union die Quittung: Auf dem Podium mußten Merkel und Stoiber anhören, wie Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, die Union wegen der Leitkultur geißelte. Zu einer Reaktion auf diese Bloßstellung (vorangegangen war schließlich eine Aussprache mit Spiegel über die Leitkultur) zeigte sich die Union ebenfalls nicht in der Lage.

So ist Frau Merkel anscheinend froh, durch ihre Beteiligung an der Anti-Rechts-Demo sich von allem Konservativen absetzen zu können. Dazu paßt auch die Diskussion um das Asylrecht. Langsam nähert sich die CDU der SPD an, die eine Änderung des Grundgesetzes ablehnt. Auch hier ist wieder der Versuch erkennbar, pauschalen Vorwürfen der Fremdenfeindlichkeit durch Annäherung an die Regierungslinie vorzubeugen. Angela Merkel wird es eines Tages so ergehen wie Barzel, der nicht mehr wurde als eine Fußnote der Nachkriegsgeschichte.


 
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