© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    49/00 01. Dezember 2000

 
Die Verachtung der Alltagstechnik
Verschollene Bilder des "Boot"-Autors Lothar-Günther Buchheim wieder aufgetaucht
Klaus P. Lücke

In einem kürzlich mit der Tageszeitung Die Welt geführten Interview bekannte Bestsellerautor Lothar-Günther Buchheim ("Das Boot"), daß er "das Internet .. überhaupt nicht ... verstanden" habe. "Da bin ich ein Verweigerer." Daß solche Ignoranz auch nachteilig sein kann, mußte Buchheim kürzlich im Zusammenhang mit einer von ihm vorbereiteten Ausstellung erfahren. So plant der Künstler für Januar 2001 im Schloßbergmuseum seiner Heimatstadt Chemnitz eine groß angelegte Präsentation seiner Kriegsmalerarbeiten aus dem Zweiten Weltkrieg, den er als Mitglied einer Propaganda-Kompanie erlebte. Den allergrößten Teil seiner Kriegszeichnungen konnte der Künstler, alliierten Beutezügen zum Trotz, wieder zusammenführen. Schmerzlich vermißte Buchheim aber zwei fast lebensgroße Kohle- und Rötelzeichnungen, die er 1941 von Besatzungsmitgliedern des legendären U-Bootes "U 96" – des "Boots" – angefertigt hatte. Bei der Vorbereitung des Chemnitzer Kataloges konnte er zwar auf exzellente Fotos dieser Zeichnungen zurückgreifen. Als "verschollen" sollten die Originale jedoch im Katalog bezeichnet werden.

In München, nicht weit von Buchheims Wohnsitz Feldafing am Starnberger See entfernt, veranstaltet ein international bekannter Historica-Auktionator jedes Jahr traditionell im Oktober seine Militaria-Versteigerungen. Für die Auktionen werden zahlreiche dickleibige Kataloge herausgegeben und in alle Welt verschickt. Der Auktionator stellt auch sämtliche Objekte im Internet vor. Kataloge und Internet-Angebot erscheinen mit einem Vorlauf von etwa ein bis zwei Monaten. Diesmal stach aus dem Angebot an künstlerischen Arbeiten aus der Zeit des Dritten Reiches ein umfangreiches Konvolut originaler Zeichnungen von Marine-PK-Malern hervor. Da wurden Kampfszenen, U-Boot-Kommandanten und Matrosen porträtiert, auch Seeleute verbündeter Marinen. Alle diese Kriegsmalerarbeiten sind im Katalog und im Internet eindeutig beschrieben, den signierenden Künstlern zugeordnet, und es wurde vom Auktionshaus bezüglich der Authentizität auf rückseitige Genehmigungsstempel der Pressestelle des Propagandaministeriums hingewiesen.

Aus dem Konvolut heraus stachen allein zwei großformatige, qualitativ hervorragende Kohle- und Rötelzeichnungen von U-Boot-Männern. Die Signaturen waren zwar mit "Buchheim 1941" angegeben, vom Auktionator allerdings mit einem dicken Fragezeichnen versehen: "Buchheim, Lothar-Günther?"

Nun ist bekannt, daß auch immer wieder Fälschungen bei Auktionen durchgeschleust werden. Sollte mit diesem Fragezeichen also schon eventuellen späteren Beschwerden der Bieter vorgebeugt werden? Auf der anderen Seite macht der Auktions-Interessent die Erfahrung, daß die Auktionatoren Herkunft und Umstände der eingelieferten Objekte tunlichst verschleiern, und regelmäßig wird bei Nachfragen harsch abgeblockt.

In diesem konkreten Fall war jedoch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen, daß der Auktionator Kontakt mit dem ihm wohl kaum unbekannten Lothar-Günther Buchheim bezüglich der Authentizität der Zeichnungen aufgenommen hatte. Immerhin ist Buchheim eine bekannte Persönlichkeit; weltberühmt wurde er durch die Verfilmung seines Romans "Das Boot". Kaum anzunehmen also, daß der Auktionator ihn nicht angesprochen hat. Das Fragezeichen konnte also nur bedeuten, daß der Künstler eine Authentizitätsbestätigung verweigerte. Daher vermutlich auch der verblüffend niedrige Preis: nur tausend Mark. Ebenfalls keinen Gedanken wert die Annahme, daß Buchheim, der auf den Parkettböden der großen Auktionshäuser dieser Welt zu Hause ist, nicht von diesem Angebot erfahren haben sollte.

Da die Qualität der Bilder, unabhängig von ihrer Echtheitsbestätigung, sehr ansprechend war, wurde in der Auktion auch geboten. Der Zuschlag erfolgte für 1.100 Mark, nur ganz knapp über dem Ausrufpreis. Keine Bietergefechte, nichts. Es blieb die Frage, was es denn nun tatsächlich mit den vermeintlichen Buchheim-Zeichnungen auf sich habe. Nichts lag näher als den Künstler direkt zu fragen. Die Kuratorin der Buchheim-Stiftung – der Professor selbst war nicht erreichbar – gab sich desinteressiert, erklärte sich aber mit einem Durchfaxen der Abbildungen einverstanden. Das Fax war noch nicht ganz durchgelaufen, schon klingelte das Telefon. Am Apparat diesmal Lothar-Günther Buchheim höchstpersönlich. Er erklärte aufgeregt, daß dies "genau die Zeichnungen sind, die mir in meiner Sammlung fehlen". Buchheim erzählte von der in Vorbereitung befindlichen Chemnitzer Ausstellung, für die die wieder aufgefundenen Gemälde "eine großartige Bereicherung" darstellen würden. Warum er nicht beim Münchner Auktionator mitgesteigert habe? "Nie gehört von diesem Auktionator!" Ob er nicht im Internet nach seinen verlorenen Schätzen recherchiere, dort seien sie ja immerhin jetzt fast zwei Monate zu besichtigen gewesen ( http://www.hermann-historica.de )? Vom Internet, so Buchheim, halte er gar nichts. Ob ihn denn nicht irgend jemand wegen der in München angebotenen Kriegsmalerarbeiten angesprochen habe? Nicht den leisesten Wink habe er erhalten.

Auf die abschließende Frage, wie ihm denn die Gemälde abhanden gekommen seien, trägt der Künstler die Version vor, er habe die Zeichnungen dem Bayerischen Armeemuseum in Ingolstadt als Dauerleihgabe zur Verfügung gestellt. Dort seien sie dann wohl entwendet worden. Daraufhin Rückfrage beim Auktionator in München. Der dementiert: "Bayerisches Armeemuseum? Völliger Unsinn!" Das Museum sei einer seiner besten Kunden, Beauftragte des Museums hätten die Buchheim-Zeichnungen besichtigt. "Und wenn die Buchheim-Gemälde gestohlen wären", so der Auktionator, "dann müßten es auch all‘ die anderen angebotenen mehr als 20 Marinezeichnungen sein. Denn alles stammt von ein und demselben Einlieferer!"

Nun wollte auch Buchheim nicht mehr auf dem Begriff "gestohlen" beharren. "Irgendwie früher abhanden gekommen" seien ihm die Bilder, genaues wisse er nicht mehr. Irgendwann Strafanzeige wegen des Diebstahls gestellt? Nein, er möchte in dieser Sache Polizei und Öffentlichkeit heraushalten. Der Einlieferer beim Münchner Auktionshaus, laut Buchheim ein Herr H. aus Kiel, habe sich bei ihm, offensichtlich aufgeschreckt durch den Auktionator, zwischenzeitlich gemeldet. Nach dessen Aussage habe dieser die Zeichnungen auf dem Flohmarkt für hundert Mark oder so erstanden. Aber einen Nachweis, daß er tatsächlich der rechtmäßige Eigentümer sei, blieb Lothar-Günther Buchheim schuldig. Wäre es nicht denkbar, daß er die Zeichnungen im Kriege etwa als Auftragsarbeiten angefertigt hat oder diese irgendwann verschenkte oder verkaufte? Derartige Beispiele sind nicht ungewöhnlich und von zahlreichen anderen Kriegsmalerkollegen bekannt. Aber keine klare Auskunft!

Und das Auktionshaus? Es lieferte trotz der ungeklärten Situation die Buchheim-Arbeiten nicht an den Höchstbieter aus, sondern schuf mit der Übergabe an Buchheim vollendete Tatsachen. Die spärliche Erklärung lautete: Die Bilder seien jetzt an Herrn Buchheim "zurückgegeben" worden. Keine weitere Erläuterung. Merkwürdig! Lothar-Günther Buchheim hatte seinen Diebstahl-Vorwurf praktisch zurückgenommen, den das Auktionshaus ohnehin vehement bestritt. Und jetzt doch eine "Rückgabe"? Bezeichnenderweise möchte das Auktionshaus aber die übrigen Marinezeichnungen des Kieler Einlieferers unverändert an die Ersteigerer ausliefern, soweit ohnehin noch nicht geschehen. Kein Diebesgut also!?

Auf massiven Druck des Ersteigerers der Buchheim-Gemälde, der das so nicht auf sich beruhen lassen wollte, tischte das Auktionshaus nach längerem Zögern eine Erklärung auf: Danach habe Lothar-Günther Buchheim in dieser Angelegenheit das Landeskriminalamt (LKA) eingeschaltet, das daraufhin ermittelt habe. Dabei sei festgestellt worden, daß die Bilder "nach dem Krieg dem Freistaat Bayern ... von den Amerikanern übergeben" worden seien. "Irgendwann sind einige der Zeichnungen abhanden gekommen und letztlich bei uns gelandet". Dramatisierend führt das Auktionshaus weiter aus: Das LKA habe erst dadurch "in letzter Minute ... von einer Polizeiaktion abgehalten werden" können, daß die Gemälde dann doch an Lothar-Günther Buchheim übergeben worden seien.

Das hört sich plausibel an, ist aber frei erfunden. Nach einer Rückfrage bei dem zuständigen Beamten des LKA stellte sich heraus, daß Buchheim in dieser Sache weder Strafanzeige gestellt hat noch vom Landeskriminalamt Ermittlungen aufgenommen worden sind. Es handele sich um eine rein privatrechtliche Angelegenheit, so das LKA auf Nachfrage. Von "Polizeiaktionen", die gegen das Auktionshaus vorbereitet oder gar angedroht worden seien, könne schon gar keine Rede sein. Auch stammten die fraglichen Gemälde keinesfalls aus den von den Amerikanern an den Freistaat Bayern zurückgegebenen Beständen.

Wie geht es weiter? Positiv ist, daß Buchheims Beute ab dem 21. Januar 2001 im Schloßbergmuseum in Chemnitz besichtigt werden kann. Es ist das erste Mal, daß ein Propagandakünstler aus dem Zweiten Weltkrieg in Nachkriegsdeutschland in dieser Geschlossenheit sein Werk zeigen wird. Die jetzt wieder aufgetauchten großformatigen Zeichnungen von den Offizieren des von Kapitänleutnant Heinrich Lehmann-Willenbrock geführten Typ VII-C-Tauchbootes "U-96" sowie das besonders eindrucksvolle Porträt des lässig im U-Boot-Turm kauernden Funkmaates Schrobach werden zweifellos die Höhepunkte der Ausstellung sein. Wen kümmern da noch zwielichtige Vorgänge auf dem Militaria-Markt?


 
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