© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Weihnachtszeit
Hauptsache, es macht Spaß
Angelika Willig

Die Zeiten ändern und die Konservativen ärgern sich. Das ist in der Weihnachtszeit nicht anders als im ganzen Jahr. Ein Pizza-Service verspricht "heiße Weihnachten", und im nächsten Jahr kommt dieser Wunsch vielleicht schon vom Porno-Laden, denn wer an den Feiertagen Pizza bestellt, kann auch gleich ein Video einlegen. Das gestiefelte blonde Weihnachtsfrauchen mit den West-Zigaretten weist auch in die Richtung. Man sehnt sich zurück nach Besinnlichkeit und Kerzenschein und Selbstgebasteltem, nach Liedern und Krippen und Freude im Herzen. Und weil es das nicht mehr gibt, behauptet man, es gäbe kein "richtiges Weihnachten" mehr.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Wer an den Adventssonnabenden in der Stadt unterwegs ist, fühlt sich von Weihnachtsmärkten geradezu umzingelt, von prallvollen Tüten überrannt und von Geschenkangeboten zugeschüttet. Die Zahlen belegen es: ein zweistelliges Umsatzplus haben die Händler gegenüber dem ersten Adventssamstag 1999 zu vermelden. Und im nächsten Jahr werden die Bundesbürger durch Steuerreform und Wirtschaftswachstum noch mal 1.500 Mark mehr ausgeben können.

Die Vorstellung, daß durch Arbeitslosigkeit und neue Armut die kollektive Kaufsucht irgendwann gebrochen werde, will nicht wahr werden. Und der Gefahr, daß irgendwann jeder alles hat, wird vor allem von der Elektronikindustrie entgegengearbeitet. Eine Play-Station gibt es für fast jedes Spiel extra, und noch immer sind einige Zehnjährige ohne Handy, das in diesem Jahr noch einmal ganz oben auf dem Wunschzettel steht. Bei den 14- bis 19jährigen sieht es schon anders aus, die wollen zu 80 Prozent lieber gleich einen Gutschein. Der Gutschein aber ist der erste Schritt zur Aktie, und Aktien kann man nie genug haben.

Manche Omas und Tanten schenken Geld, was den Sinn des Festes verfehlt. Es geht nicht um Aufwandsbegrenzung, es geht um die Umsetzung von Geld in Ware. Sonst könnte jeder gleich jedem 500 Mark überweisen und in der gewonnenen Zeit die Bibel lesen.

Weihnachten im Wandel. Einst bei den germanischen Vorfahren die Feier der Wintersonnenwende, in christlichen Zeiten die Geburt des Erlösers, ist Weihnachten nun unter der globalen Herrschaft des Marktes zur riesigen Kauforgie geworden, die von den meisten genauso genossen wird wie frühere Feste auch. Und – was ja gleich geblieben ist – die düstere kalte Jahreszeit ein wenig verkürzt. Einkaufen ist nicht gleich einkaufen. "Ein wichtiger Grund für die steigenden Umsätze ist der immer höhere Erlebniswert des Weihnachtseinkaufs", erklärt der Hauptverband des Deutschen Einzelhandels. "Dazu gehören Auftritte des Nikolaus, Livemusik, Punsch und Stollen."

Was sollen sie auch machen, die Leute? Schnee gibt‘s kaum noch, Gans ist zu fett, und singen tun die drei Tenöre besser. Doch kaufen kann man bald auch jederzeit: Der Einzelhandel fordert "Adventssamstage" bis 18 Uhr für das ganze Jahr.


 
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