© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000


LOCKERUNGSÜBUNGEN
Silly Money
Karl Heinzen

Dramatische Kurseinbrüche, nach unten revidierte Umsatz- und Ergebnisprognosen, die begründete Aus- sicht auf rote Zahlen und Liquiditätsengpässe. Die EM.TV Merchandising AG, dank der Entertainment-Qualitäten des Firmengründers Thomas Haffa immerhin noch vor wenigen Monaten der Liebling des Neuen Marktes, ist ins Schlingern geraten. Die unternehmerische Verantwortung dürfte in andere Hände übergehen. Die Vollendung, die diese Firmengeschichte damit zu finden scheint, stimmt optimistisch. Auch in einer Wettbewerbsökonomie sind abgefeimten Strategien, Wehrlose auszubeuten oder den Menschen Bedürfnisse erst zu suggerieren, um dann an deren Befriedigung zu verdienen, offenbar Grenzen gesetzt.

Die Anklageliste gegen EM.TV ist lang. Unter dem Deckmantel, ein einmaliges Angebot an Programminhalten für Jugendliche und Familien unter einem Dach zu versammeln, hat das Unternehmen weltweit die Rechte an TV-Serien eingekauft, deren Ausstrahlung überwiegend an psychischen Kindesmißbrauch grenzt. Mit seinen Merchandising-Aktivitäten hat EM.TV einen Beitrag zur ästhetischen Verwahrlosung von Kindern in unserem Land geleistet und sich dabei schamlos genau an jenen zu bereichern versucht, denen das, was die Marktideologie als Konsumentensouveränität zu bezeichnen wagt, am wenigsten unterstellt werden darf. Es ist bedauerlich, daß das Unternehmen nun nicht dafür abgestraft wird, sondern vor allem wohl für seine Kräfteüberschätzung hinsichtlich des Engagements bei der Formel 1.

Gegen EM.TV kann aber mehr eingewandt werden als bloß die implizite Menschenverachtung dem Verbraucher gegenüber – hier ist das Unternehmen auch alles andere als einzigartig. Thomas Haffa hat mit seiner Politik der verbrannten Erde die mit dem Schlagwort "New Economy" verballhornte Modernisierung und Neugewichtung in der Unternehmenslandschaft nachhaltig diskreditiert. Sein Stil, mit den Methoden der Yellow Press Anteile an heißer Luft als Blue Chips auszugeben, macht allen, die nach ihm um Investoren ringen, das Leben schwer. Das Mißtrauen in eine Wirtschaft, die auf Marketing und weniger auf Produktqualität setzt, ist dank seines Engagements gestärkt. Am Ruf deutscher Börsengänge, daß sie silly money rund um den Globus zum überteuerten Einkauf von Ladenhütern schwemmen, dürfte auch EM.TV nicht unbeteiligt gewesen sein.

Es sind also viele gute Seiten, die dem Absturz des Unternehmens abzugewinnen sind, auch wenn der Wohlstand von Thomas Haffa wahrscheinlich größer bleiben dürfte, als er zu Beginn des Abenteuers war. Es scheint zur allgemeinen Überraschung tatsächlich so zu sein, daß unternehmerischer Erfolg irgend etwas mit den Erträgen zu tun hat und sich dies langfristig offenbar auch in den Kursen widerzuspiegeln scheint. Den Preis für diese Auffrischung einer Erinnerung zahlt der "kleine Anleger", der zum Aktienkauf verleitet werden konnte. Dies ist aber durchaus systemkonform.


 
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