© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
"Das letzte an Gewinn rausquetschen"
Interview: Die Rinderseuche BSE ist die Folge industrialisierter Landwirtschaft und des grenzenlosen EU-Marktes
Moritz Schwarz

Herr Bünger, Sie sind Bauer auf einem alteingessenen Hof in Niedersachsen.Wie ist seit Ausbruch der BSE-Krise in Deutschland die Stimmung unter den Bauern?

Bünger: Schlecht! Was die deutschen Bauern ärgert, ist, daß die BSE-Problematik durch die Engländer verursacht und gezielt verharmlost worden ist. Man weiß seit über zehn Jahren, daß eine Gefahr besteht, und dennoch haben es die Briten zum Beispiel nicht zur Pflicht gemacht, nur noch hochdrucksterilisiertes Tiermehl zu verwenden, wie das in Deutschland etwa Pflicht ist. Dies wird die Briten Hunderte, wenn nicht Hunderttausende Tote kosten.

Wie schätzen Sie die Situation in Deutschland ein?

Bünger: In der Tat bedeutet diese Krise und die nun ergriffenen Maßnahmen einen bedeutenden Einschnitt für die Landwirtschaft. Allerdings war diese Entwicklung abzusehen.

Inwiefern? – Ist die Krise ein folgerichtiges Ergebnis der industrialisierten Landwirtschaft?

Bünger: Verantwortlich sind mehrere Faktoren, die sich langsam zugespitzt haben – insofern sage ich: vorhersehbar. Das läßt sich in einem Satz folgendermaßen zusammenfassen: Heute versucht jeder, das letzte bißchen Gewinn rauszuquetschen, und alles wird gemacht, was eben gerade noch legal ist. Die BSE-Krise sehe ich durchaus als Ergebnis der "industriellen Landwirtschaft", denn die typische Tiermehlverfütterung ist die Grundlage für die Ausbreitung von BSE. Ein echter Bauer verfüttert eigentlich nicht die Überreste toter Tiere. Aber durch die Zwänge der "industriellen Landwirtschaft" kann er ja gar nicht anders. Denn ein anderes, teureres Futter zu verwenden, kann er sich gar nicht leisten. Schließlich muß er im Kokurrenzkampf bestehen.

Wie ist der jetzt verordnete Verzicht auf Tiermehl zu verstehen? Schließlich ist dessen Verbot doch schon vor Jahren verordnet worden.

Bünger: Das stimmt zum Teil, schon vor Jahren wurde bei uns Tiermehl als Kuh- und Rindviehfutter verboten. Im Schweine- und Geflügelfutter war es noch erlaubt, das ist jetzt aber auch verboten worden. Allerdings hat sich gezeigt, daß es illegalerweise auch im Rindviehfutter noch hier und da enthalten war.

Kann man sich auch durch den Verzehr von mit kontaminiertem Tiermehl gefütterten Hühnern und Schweinen infizieren?

Bünger: Das weiß keiner so genau, ganz auszuschließen ist es nicht.

Wie kam bisher trotz des Verbotes Tiermehl ins Rindviehfutter?

Bünger: Weil in den Futtermittelfabriken geschlampt wird oder ausländisches Futter, das Tiermehl enthält, untergemischt wurde. Das ganze ist sehr undurchschaubar, deshalb gibt es auch so viele Schlupflöcher. Deshalb ist die jetzige Vereinheitlichung des Verbotes auch zu begrüßen, denn die vorherige Teils/teils-Regelung bot eben keine Sicherheit.

Warum wird Tiermehl überhaupt verwendet – ist es nicht unethisch, Tiere mit ihren eigenen Artgenossen zu füttern? Gemeinhin nennt man so etwas Kannibalismus, und der gilt als verabscheuungswürdig.

Bünger: Das sehe ich eigentlich auch so, in der Tat ist es auch eine ethisch Frage. Dazu kommt außerdem, daß Rinder von Natur aus gar keine Fleischfresser sind! Es ist genaugenommen schon absurd.

Jetzt muß das teurere Soja-Futtermittel gekauft werden.Wird darüber der eine oder andere Bauer seinen Hof verlieren?

Bünger: Vielleicht weniger wegen des teuren Futters als wegen des nicht mehr absetzbaren Rindfleisches. Alle Rindermastbetriebe sind existenziell getroffen.

Herr Sonnleitner, Chef des Deutschen Bauernverbandes, fordert 1,7 Milliarden Mark für die Bauern zusätzlich. Müssen wegen der BSE-Krise nun noch mehr Subventionen fließen?

Bünger: Ich tue mich ganz grundsätzlich schwer damit, nach Subventionen zu rufen, wenngleich das viele meiner Berufsgenossen gern tun. Wichtiger wären europaweit einheitliche Regelungen, damit wir Deutsche keine Wettbewerbsnachteile haben. Bisher ist es in fast allen Bereichen so, daß unsere Konkurrenz in den anderen EG-Ländern wesentlich laschere Auflagen und höhere nationale Hilfen hat.

Wenn nun ein neuer Markt für Futtermittel auf Pflanzenbasis entsteht, ist dann der Soja-Anbau nicht vielleicht eine neue Chance für unsere Bauern?

Bünger: Soja nicht, da das bei uns nicht wächst. Aber Erbsen und Ackerbohnen lassen sich auch gut zu eiweißhaltigem Tierfutter verarbeiten. Diese stünden jedoch frühestens im Sommer 2001 in größeren Mengen zur Verfügung. Bis dahin wird Soja benötigt werden, das importiert werden muß und in aller Regel gentechnisch verändert ist.

Ist die Futtermittel-Krise jetzt nicht die Chance für den Ökolandbau?

Bünger: Das ist in der Tat eine gewisse Chance. Nur hat der Ökolandbau seine Grenzen und wird die BSE-Krise nicht lösen.

Wäre es nicht Zeit für ein großes Öko-Agrar-Programm der Regierung, um diese Form der konservativen Landwirtschaft nach Kräften zu fördern?

Bünger: Das wäre sehr zu begrüßen. In Ansätzen wird er bereits gefördert, in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern sogar sehr stark. Auch die EG tut es, allerdings sehr halbherzig. Allerdings bin ich skeptisch, daß entscheidendes passiert, denn wegen des gemeinsamen europäischen Marktes müßten solche Maßnahmen auch EG-weit verordnet werden. Dies würden unsere Nachbarn aber nicht mittragen, und auch die USA würden sich im Rahmen des GATT gewaltig wehren.

Warum sind Sie noch kein Öko-Bauer?

Bünger: Weil ich – gemäß dem gegenwärtigen Stand der Dinge – nicht idealistisch genug bin, um für die Hälfte des Einkommens die doppelte Arbeit zu verrichten.

Welche Schuld trifft die EU daran, daß der BSE-Erreger nun bis zu uns nach Deutschland vorgedrungen ist?

Bünger: Die Briten haben, wohl wissend, daß sie BSE nicht wirklich unter Kontrolle haben, per Europa-Recht die Einfuhr ihres Fleisches und Futters bei uns erstritten. Man kann durchaus formulieren, die Interessen der Bauern, wie auch der Verbraucher wurden da – und nicht zum erstenmal – auf dem Altar der EU geopfert.

Könnten Reformen innerhalb der EU so etwas künftig verhindern?

Bünger: Ich will das zwar nicht ausschließen, habe da aber leider keine wirklichen Hoffnungen. Denn die Agrarlobby ist in fast allen anderen europäischen Partnerländern stärker als bei uns, wenn wir jetzt andere Regeln verlangen, machen die das bestimmt nicht mit. Um unsere Interessen zu wahren, kann ich mir nur den EU-Austritt vorstellen.

 

Heiner Bünger, 36, bewirtschaftet den jahrhundertealten Bauernhof seiner Ahnen in Berel bei Wolfenbüttel.

 

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