© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    50/00 08. Dezember 2000

 
Wunder der Technik: Gemütlichkeit per Mausklick
Weihnachtsbäume auf CD-ROM
Klaus Britting

Wir hatten uns letztes Jahr keinen Weihnachtsbaum gekauft. Meine Frau hat sich immer so über die Nadeln im Wohnzimmer aufgeregt. Dann der Ärger mit dem tropfenden Wachs, die Flecken auf dem schönen Teppich, heruntergefallene Kugeln – nein, das wollten wir uns nicht mehr antun. Kenny hatte da nämlich eine tolle Idee.

Der Junge ist ja so begabt. Kaum kommt er von der Schule heim, sitzt er mit seinen zehn Jahren schon am Computer, den ich ihm zum Geburtstag geschenkt hatte. Gut, wir haben unsere letzten beiden Urlaube dafür geopfert, aber es hat sich gelohnt. Kenny hat uns Mallorca und Teneriffa dann im Computer auf einer CD-ROM gezeigt. Da konnten wir uns die teuren Urlaube wirklich sparen. Und als er vorschlug, den echten Weihnachtsbaum durch eine CD-ROM zu ersetzen, fiel uns die Entscheidung nicht schwer. Schließlich sind wir eine moderne Familie. Wer braucht schon einen Weihnachtsbaum den ganzen Tag? Zugegeben, für die 98 Mark, welche die CD-ROM "Der schön geschmückte Weihnachtsbaum" kostete, hätten wir auch eine echte Blautanne bekommen. Aber als Kenny an einem Dezemberabend die CD-Rom in seinen PC steckte und auf das Feld "Dekomaterial" klickte, bekam meine Frau glänzende Augen. Kein Wunder angesichts der über 200 Vorschläge von "Aluminiumengel, silbern glänzend" bis "Heinzelmännchen, rot-blau". Wie im Fieber begann sie, mit Kenny jedes Bild durchzugehen, alles wollte sie im Detail sehen. Sie kombinierte "Muschelkugeln, vergoldet" mit "Silberglöckchen, zweitonig" hinzu und als Krönung "Weihnachtsmann, Marzipanersatz". Mein Einwand, daß sie das auch morgen tun könne und wir jetzt lieber abendessen sollten, half nichts. Ich ging dann in meine Stammkneipe, wo ich mehrere Freunde traf.

Als ich das Lokal mit Gregor verließ, fuhr die Feuerwehr mit lautem Geheul an uns vorbei. "Wahrscheinlich wieder Alkohol am Steuer oder so was", sagte Gregor und meinte, daß der Notarztwagen, der kurz darauf im Renntempo vorbeiraste, bei der nächsten Kurve aus der Bahn fliegen werde. Grinsend fügte er hinzu: "Dann kann die Feuerwehr gleich alle zusammen ins Krankenhaus bringen." Unser Wohnblock liegt ein bißchen ums Eck und war noch nicht zu sehen, da spürte ich Rauch in der Luft. Der Autounfall wird doch nicht vor unserem Haus sein, dachte ich. Dennoch war ich besorgt, verabschiedete mich von Gregor und ging schneller zu meiner Wohnung. Als ich um die Ecke bog, sah ich gleich das Blaulicht des Notarztwagens und die Feuerwehrmänner, aber keine demolierten Autos. Ich wühlte mich durch die diskutierenden Menschen zu unserem Hauseingang, lief eine Etage hoch, da hielt mich ein Feuerwehrmann an. Ich dürfe nicht weiter, wegen der Rauchentwicklung. Da oben habe eine Frau ihren Braten auf dem Herd vergessen und die ganze Küche in Brand gesteckt. Gott sei Dank sei der Frau und ihrem Sohn nichts Schlimmes passiert. Der Junge stehe aber unter Schock, denn ständig rede er von seinem Weihnachtsbaum, der gar nicht brennen könne, weil er aus Ze-de-rom sei oder so ähnlich. "Dabei gibt’s in der Wohnung gar keinen Weihnachtsbaum! Die Kinder heute!", sagte der Feuerwehrmann und schüttelte den Kopf. Wir nehmen dieses Jahr wieder einen echten Weihnachtsbaum, aus Fichte oder Blautanne. Einer auf CD-ROM ist mir zu riskant – wegen der Brandgefahr!


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen