© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Rosinen aus dem Kuchen
Juristische Wege und Umwege über Florida ins Weiße Haus
Ronald Gläser

Die Gelassenheit, mit der die Republikaner dem Treiben der Gore-Anwälte zuschauen, ist wirklich erstaunlich. Das spricht dafür, daß sie sich ihrer Sache ganz sicher sind. Seelenruhig haben sie auf den Versuch der Demokraten reagiert, den Wählerwillen in das Gegenteil zu verkehren. Letztes Wochenende nun hat das Oberste Bundesgericht endlich den Neuauszählungen in Florida Einhalt geboten.

Etliche "letzte Fristen" sind bereits verstrichen, ohne daß die nachträglichen Auszählungen etwas anderes als einen Vorsprung George Bushs hervorgebracht hätten. Unter der Hand streuen die Demokraten immer wieder Gerüchte über "zufällig" gefundene Gore-Stimmen, die aber erst nach Ablauf von Gerichten gesetzter Fristen, wie beispielsweise in Palm Beach am 26. November, aufgefunden werden. Daß hier auf Zeit gespielt wird, ist leicht durchschaubar.

Palm Beach ist auch der Bezirk, in dem die außergewöhnlich hohe Zahl von Stimmen für Patrick Buchanan zu Lasten Al Gores zu gehen scheint. Der Konservative, der ansonsten ein fürchterliches Wahldebakel hatte hinnehmen müssen, kam in Palm Beach auf mehr als 3.000 Stimmen. In ganz Miami hatte er dagegen nur 500 Stimmen erhalten.

Buchanan hatte zunächst eingeräumt, daß die meisten der für ihn abgegebenen Stimmen tatsächlich Al Gore gehörten, weil der Wahlzettel mißverständlich gewesen sei. Nach genauer Klärung der Lage in Palm Beach hat er diese Aussage nun widerrufen. Zwar räumt er ein, daß einige "seiner" Stimmen eigentlich für Gore gedacht gewesen sein mögen, dennoch seien die Stimmen für ihn abgegeben worden.

Bei dem umstrittenen Wahlzettel mußte man ein Loch beim Kandidaten seiner Wahl machen. Es hatte eine große Zahl von Stimmkarten gegeben, die zwei Löcher (Gore und Buchanan) enthielten. Die Demokraten behaupten, dies betreffe bis zu 20.000 ungültige Stimmen. Doch Wähler, die ihren vermeintlichen Fehler nach dem Lochen festgestellt hatten, hätten sich neue Karten geben lassen können. Der umstrittene Wahlzettel war übrigens von einem Demokraten entwickelt und vor der Wahl veröffentlicht worden. Bei der Vorwahl 1996 schließlich hatte Buchanan in Palm Beach immerhin schon einmal 8.000 Stimmen erhalten, so daß er zumindest das Potential für ein so gutes Abschneiden hatte.

Glück im Unglück hatten die Demokraten, weil das Oberste Gericht von Florida in 4 : 3-Entscheidungen immer aufs neue ihre Anträge auf Auszählung bestimmter Stimmbezirke zuließ. Genau darum ging es in der Supreme-Court-Verhandlung am letzten Montag. Führende Republikaner hatten dem Gericht in Florida Parteinahme zugunsten Al Gores vorgeworfen.

Die Demokraten als Verlierer können laut Wahlgesetz die Stimmbezirke benennen, deren Neuauszählung sie verlangen. Dabei haben sie sich natürlich die Rosinen aus dem Kuchen gepickt. Die Neuauszählungen fanden immer in den demokratischen Hochburgen statt. Die dann Ende letzter Woche für den gesamten Staat angeordnete Auszählung war deshalb auch nicht in Gores Interesse, der sich immer gegen eine Auszählung in den republikanischen Hochburgen gewehrt hat. Und sie verstößt gegen das Wahlgesetz, was sogar der Anwalt Gores eingeräumt hat.

Nächsten Montag läuft nun wieder eine andere Frist ab. An diesem Tag müssen die Wahlmänner benannt werden. Steht dann kein Ergebnis fest, so wird das Parlament des Einzelstaats Florida die Wahlmänner bestimmen. Auch hier haben die Republikaner die Mehrheit. Es besteht kein Zweifel daran, daß das Parlament 25 Bush-Wahlmänner benennen wird. Vor diesem Hintergrund ist das vorsichtige Hissen der weißen Fahne seitens der Gore-Leute in den letzten Tagen zu verstehen.

Al Gore war schlecht beraten, diesen primär juristischen Kampf mit allen Mitteln und durch alle Instanzen zu führen. Es hat sich gezeigt, daß die Interessen von Anwalt und Mandant nicht immer die- selben sind. Jeder Amerikaner kennt jetzt David Boies, den Rechtsanwalt von Al Gore. Letzterer aber hat sich selbst vermutlich um die Chance gebracht, 2004 ein zweites Mal kandidieren zu können.

Andererseits kann man es ihm kaum verdenken, immerhin fühlte er sich schon am Wahlabend als Sieger. Er liegt ja auch landesweit eine Million Stimmen vor Bush. Wer würde sich in dieser Situation nicht als um den Sieg betrogen sehen? Wenn er nach der Wahl aber, wie in Washington kolportiert wird, wirklich privat die Stimmen noch einmal auszählen läßt, wird von ihm nichts in Erinnerung bleiben, außer daß er ein schlechter Verlierer ist.

Und George Bush? Der aller Voraussicht nach neue US-Präsident wird außenpolitisch hoffentlich ein wenig isolationistischer als sein Vorgänger und auch als sein eigener Vater sein. Innenpolitisch hat er für zwei Jahre fast freie Hand. Im Repräsentantenhaus verfügt seine Partei seit 1994 über die Mehrheit. Und im Senat kann Vizepräsident Dick Cheney das Patt zwischen Republikanern und Demokraten überwinden. Zwei Maßnahmen wird der junge US-Präsident vermutlich sogleich einleiten: Steuersenkungen mit sofortiger Wirkung und ein Verbot der Teilabtreibung, einer besonders grausamen Form des "Schwangerschaftsabbruchs".


 
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