© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Dem Druck nachgegeben
Parteien: Bundestag beschließt Verbotsantrag gegen die NPD / Nur die FDP stimmte dagegen / Union legte eigenen Antrag vor / PDS gibt sich staatstragend
Paul Rosen

Die Staatsorgane stehen auf gegen Rechts: Nach Bundesregierung und Bundesrat hat auch der Deutsche Bundestag beschlossen, beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe auf ein Verbot der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) zu klagen. Ein kleiner Schönheitsfehler bleibt: Im Bundestag wurde der Beschluß am vergangenen Freitag nur mit rot-grüner Mehrheit gefaßt, unterstützt von der sich besonders staatstragend und demokratiefreundlich gebenden PDS. Die Unionsparteien stimmten nur indirekt zu, indem sie einen Antrag vorlegten, in dem eine Klage begrüßt wurde. Die FDP-Fraktion lehnt Parteienverbote grundsätzlich ab.

Das höchste deutsche Gericht sieht sich nunmehr einer ungewöhnlichen Situation gegenüber: Parlament, Länderkammer und Regierung fordern vom Verfassungsgericht ein Verbot der NPD und treten in dem Verfahren gemeinsam als Kläger auf. Selbst der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Bosbach, befand, das Auftreten von drei Verfassungsorganen in Karlsruhe könnte bei den Richtern vielleicht den Eindruck erwecken, die Antragsteller seien ihrer Sache nicht so gewiß und wollten das Gericht eventuell unter Druck setzen.

Tatsächlich war gerade die Verfahrensweise des Deutschen Bundestages von einigen Merkwürdigkeiten gekennzeichnet. Für die Bundesregierung war die Sache dagegen recht einfach gewesen: Im Innenministerium wurde das belastende Material aus Bund und Ländern zusammengetragen und ein Bericht erstellt. Erste Gespräche der Referenten und Abteilungsleiter hatten bei Minister Otto Schily (SPD) noch zu dem Ergebnis geführt, das Material reiche für einen Verbotsantrag nicht aus. Der wachsende öffentliche Druck und Äußerungen von Kanzler Gerhard Schröder dürften Schily schließlich umgestimmt haben. Jetzt steht der Minister auf der Seite der Kläger, wohl wissend, daß er, wenn der Prozeß auf Hochtouren kommt und in einigen Jahren das Urteil ansteht, nicht mehr im Amt und für die Folgen nicht mehr verantwortlich zu machen sein wird. Die übrigen Kabinettsmitglieder dürften die mehrere hundert Seiten starke Unterlage – wie in anderen Fällen auch üblich – nicht gelesen, sondern nur zustimmend genickt haben.

Auch im Bundesrat war die Angelegenheit schnell geklärt: Nachdem die Ministerpräsidenten von Bayern und Niedersachsen, Edmund Stoiber (CSU) und Sigmar Gabriel (SPD), beim NPD-Verbot eine Große Koalition gebildet hatten, war der Beschluß nicht mehr aufzuhalten. Aber wenn man wie Bosbach argumentiert und sagt, die Beantragung von Parteiverboten sei eine klassische Aufgabe der Exekutive, dann ist gegen die Antragstellung durch den Bundesrat nichts einzuwenden. Denn der Bundesrat ist alles andere als eine zweite Kammer des Parlaments; die Länderversammlung ist das gemeinsame Organ der 16 Regierungen und nicht etwa der Parlamente.

Anders der Bundestag. Bosbach wies darauf hin, daß das Parlament in seiner gesamten Geschichte noch keinen Antrag auf Verbot einer Partei gestellt habe. Frühere Verbotsverfahren gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) waren von der Regierung betrieben worden. Viele Volksvertreter fühlten sich aus einem anderen Grunde unwohl: In der Öffentlichkeit könnte der Eindruck entstehen, daß sich die Bundestagsparteien einen unliebsamen Konkurrenten vom Halse schaffen wollen. Daß die NPD derzeit keine Chance hätte, in den Bundestag einzuziehen, ist natürlich allen Beteiligten bewußt. Aber gerade ältere Abgeordnete erinnern sich noch an 1969, als die Nationaldemokraten zwar an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, ihr aber mit einem Ergebnis von 4,3 Prozent doch verhältnismäßig nahekamen.

Ungute Gefühle hatten auch die Abgeordneten, die sich näher mit den Unterlagen beschäftigen wollten, zumeist Mitglieder des Innenausschusses. Sie waren gezwungen, sich in die Geheimschutzstelle des Parlaments zu begeben. Dort wurden ihnen Akten über die NPD zum Lesen zur Verfügung gestellt. Das Anfertigen von Notizen war nach Angaben von Politikern nicht erlaubt, das Kopieren wichtiger Unterlagen ohnehin verboten. Zudem mußten die Volksvertreter erfahren, daß ihnen das Material nur in Auszügen vorgelegt worden war. Alle Dokumente, die sich auf Angaben von in der NPD verdeckt tätigen Mitarbeitern des Verfassungsschutzes beziehen, wurden dem Bundestag nicht zur Verfügung gestellt. Das Parlament hatte abzustimmen, ohne daß es sich ein vollständiges Bild habe machen können, kritisierte der CSU-Landesgruppenvorsitzende Michael Glos.

Damit wird ein weiteres Problem deutlich: Um die verdeckt tätigen Ermittler zu schützen und um deren wahre Identität weiter verbergen können, will die rot-grüne Koalition Rechtsänderungen vornehmen. Falls es bei dieser Absicht bleibt und die Gesetzesänderungen beschlossen werden sollten, sollen Aussagen dieser Art vor Gericht verwertbar sein dürfen, ohne daß die Belastungszeugen in Erscheinung treten oder genannt werden müssen. Dies wäre in der Tat eine Zäsur in der deutschen Rechtsgeschichte: Der Staat würde Aussagen in einer politischen Verhandlung vorlegen dürfen, ohne daß die näheren Umstände durch Befragungen oder das Herbeibringen weiterer Zeugen geklärt werden können. Im Verfassungsgerichtsverfahren dürften solche Vorkommnisse der NPD kaum helfen. Zu stark erscheint der Verbotsdruck, dem auch das höchste Gericht kaum wird widerstehen können. Dennoch bleibt festzuhalten, daß der Grundsatz der Unschuldsvermutung immer stärker ausgehöhlt wird. Das betrifft nicht nur Parteiverbotsverfahren. Jeder, der mit einem größeren Geldbetrag in der Tasche zufällig in eine Kontrolle gerät, muß damit rechnen, den Nachweis des redlichen Erwerbs seines Geldes führen zu müssen. In einem Staat jedoch, in dem der Bürger beweisen muß, daß er unschuldig ist, sind Zweifel erlaubt, ob dieser Staat noch den Namen "Rechtsstaat" verdient.

Es gibt natürlich auch ein politisches Problem beim NPD-Verbot. FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle hat darauf aufmerksam gemacht: "Kein Schläger oder Volksverhetzer wird durch ein Verbotsverfahren bekämpft." Die rechtsextremistische Szene werde nur gestärkt, weil der NPD durch das lange Verfahren vor dem Verfassungsgericht zusätzliche Aufmerksamkeit zuteil werde, meinte der Liberale. In der Tat: Von der außerparlamentarischen NPD war in den letzten Monaten auf jeden Fall häufiger der Rede als von der FDP, die immerhin eine Fraktion im Bundestag stellt.

Interessant in der Debatte war, daß Schily sich nicht zu Wort meldete und die SPD nur die zweite Garnitur ihrer Redner ans Pult schickte. Der SPD-Abgeordnete Michael Bürsch griff die Stoibersche Argumentation auf und wies darauf hin, daß sich die NPD in den vergangenen Jahren von einem Altherrenverein zu einer kämpferischen Extremistenpartei gewandelt habe. Es sei nicht hinnehmbar, daß NPD-Anhänger den Rechtsstaat mit Springerstiefeln träten. Doch mit einem NPD-Verbot dürfte das immer größer werdende Problem der Gewaltbereitschaft in der Jugend nicht gelöst werden können.

Auf einen anderen Punkt wies die CDU-Abgeordnete Sylvia Bonitz hin: Viele der Zitate, die sie in den NPD-Akten gelesen habe, könnten genausogut von einer Partei aus dem linken Spektrum stammen, die Sitz und Stimme im Bundestag habe – der PDS.


 
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