© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Kolumne
Moralgesellschaft
von Klaus Hornung

"Die Moralgesellschaft – Vom Elend der heutigen Politik" lautet der Titel eines Buches von Josef Schmid, Professor für Bevölkerungswissenschaft an der Universität Bamberg. Man wünscht es sich auf den Gabentisch aller selbständig Denkenden im Land. Der Autor entwirft ein gestochen scharfes Bild von Deutschland nach 1992. Unsere seitdem in Medien und Politik überbordende Moralgesellschaft des beflissenen Gutseins gegenüber aller Welt bei gleichzeitiger Dauerverdächtigung der Eigenen diagnostiziert Schmid als historisch-politischen Realitätsverlust. Die Vergangenheitsfixiertheit wird zur Ursache gravierender Handlungsblockaden, von der Bildungs- bis zur Europa- oder Ausländerpolitik. Statt ein gleichwertiger und ernstzunehmender internationaler Partner zu sein, ergeht man sich lustvoll als "reparationswilliger, weltgeschichtlicher Sünder". In "negativer Germanozentrik" befleißigt sich die deutsche Politik einer Geducktheit ohne langfristige Interessenvertretung und Strategie. Von den Kommandohöhen in Medien, "Kultur" und Politik werden die gewachsenen kulturellen Grundlagen der Nation mit dem sattsamen Hinweis auf "unsere Geschichte" systematisch zerschlagen. Das Arsenal dieser Geschichtspolitik besteht aus der deutschen Alleinschuld an beiden Weltkriegen, der Faschismustheorie kommunistisch-stalinistischer Herkunft und dem angeblich "autoritären Charakter" der Deutschen aus der Hinterlassenschaft der Frankfurter Schule. Doch diese ganze "Selbstbezichtigungskultur" bleibt ohne wirkliche Befreiung und Heilung: Die hier vorherrschende politische Instrumentalisierung von "Schuld" streut immer neu Salz in die Wunde und erstrebt gar nicht erst die – christliche – Vergebung.

Nach dem Scheitern der sowjetkommunistischen Orthodoxie hat unsere linksliberal-antifaschistische Intelligenz in der Ausländer- und Asylpolitik ein neues Utopie-Reservat geschaffen, eine "moralisierende Gegenkultur". Mit diesem kulturrevolutionären Projekt der Auflösung der Kultur- und Schicksalsgemeinschaft des eigenen Volkes im Werterelativismus eines geschichtslosen "Menschenrechtsvereins" bedarf sie des pseudotheologischen Dämonglaubens des "Blickes nach Rechts". Josef Schmid dringt zu den Wurzeln des Elends heutiger deutscher Politik vor. Und er legt zugleich die Grundlagen für den Gegenentwurf einer deutschen Politik des Überdauerns und der Daseinsgewißheit. Wer dieses Buch liest und versteht, empfindet ein Gefühl der Befreiung von den Tabus des Tages und Marktes, der Befreiung für eine positive deutsche und europäische Zukunft.

 

Prof.Dr. Klaus Hornung lehrte Politikwissenschaft an der Universität Stuttgart-Hohenheim


 
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