© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    51/00 15. Dezember 2000

 
Das Mittelmaß regiert
Schweiz: Eine bemerkenswerte Ergänzungswahl in die Eidgenössische Bundesregierung
Thomas Meier

In der Schweizer Regierung, Bundesrat genannt, besteht seit mehr als dreißig Jahren das System der sogenannten "Konkordanz", eine große Koalition. Die vier großen Parteien Sozialdemokraten (SP), Christlichdemokratische Volkspartei (CVP), Freisinnig-Demokratische Partei (FDP) und Schweizerische Volkspartei (SVP) teilen die sieben Regierungssitze nach der sogenannten "Zauberformel" im Schlüssel 2 : 2 : 2 : 1 unter sich auf. Dieses traditionelle Übereinkommen hat zur Folge, daß nur Kompromißkandidaten, die allen Parteien genehm sind, eine Chance haben, in den Bundesrat gewählt zu werden.

Am 6. Dezember 2000 fand im schweizerischenParlament die Ersatzwahl für den nach dem Rücktritt von Adolf Ogi frei gewordenen Bundesratssitz statt. Unbestritten war, daß ein Mitglied der SVP gewählt werden würde. Die konservativ ausgerichtete SVP hatte sich bei den Parlamentswahlen vom Herbst 1999 zur wählerstärksten Partei emporgeschwungen.

Zur Wahl vom 6. Dezember 2000 traten nicht weniger als vier Kandidaten an. Um dem Parlament eine Auswahl zu ermöglichen, hatte die SVP-Fraktion zwei Kandidaten offiziell nominiert, nämlich Rita Fuhrer, die Regierungspräsidentin des Kantons Zürich, und Roland Eberle, den Regierungspräsidenten des Kantons Thurgau. Zusätzlich als Kandidaten zur Verfügung gestellt hatten sich ohne Unterstützung der Fraktion Samuel Schmid, Vertreter des Kantons Bern im Ständerat (kleine Parlamentskammer, vergleichbar mit dem deutschen Bundesrat), und Ulrich Siegrist, Parlamentarier aus dem Kanton Aargau.

Als am Vorabend vor der Bundesratswahl die Anhörungen der Fraktionen mit der Bundesratskandidatin und den drei Kandidaten abgeschlossen waren, war die Reaktion einhellig: Rita Fuhrer hatte sich blendend geschlagen. Der Zürcher Regierungspräsidentin wurden die mit Abstand besten Zensuren erteilt: In Sachbelangen lückenlos im Bild, das Wesentliche erkennend, schlagfertig in der Reaktion auch auf überraschende Fragen, solide Regierungserfahrung ausstrahlend.

Doch Kompetenz und Ausstrahlung nützten ihr nichts. Ja, gerade weil sie die beste Kandidatin war, wurde Rita Fuhrer am 6. Dezember nicht zur Bundesrätin gewählt. Nach Schweizer "Zauberformel"-System ist in Bern ja nie die eigene Partei für den Wahlerfolg ausschlaggebend. Die anderen Parteien, zusammen die Mehrheit bildend, mußten sie wählen. Und diese mochten der SVP auf keinen Fall eine Frau mit der Ausstrahlung einer Rita Fuhrer als Bundesrätin gönnen – auch wenn sie die eindeutig beste Kandidatin war. Für die Landesregierung, muß die Öffentlichkeit zur Kenntnis nehmen, ist guter Durchschnitt gut genug. Für außerordentliche Persönlichkeiten ist dort kein Platz.

Wie lange kann sich ein Land ein Regierungs-Wahlsystem eigentlich noch leisten, das herausragenden Figuren Regierungsmitarbeit verwehrt und nur Mittelmaß an der Staatsspitze zuläßt? Eines ist nämlich unbestritten: Hätte das Volk, nicht die Bundesversammlung wählen können, hieße die strahlende Siegerin Rita Fuhrer. Dies ergaben im Vorfeld der Bundesratswahlen alle Umfragen.

Rita Fuhrer trägt – das wußte das Bundeshaus – die zum "strategischen Ziel" erhobene Absicht des Bundesrats, baldmöglichst der EU beizutreten, nicht mit. Sie vertritt damit zweifellos eine Mehrheit des Schweizer Volkes. Und der seit zwanzig Jahren anhaltende Wählerzuwachs der SVP zeigt, daß der Widerstand gegen die undifferenzierte "Politik der außenpolitischen Öffnung" – von der SVP als einziger Partei konsequent bekämpft – im Lande tief verankert ist. Im Bundeshaus dagegen wurde am 6. Dezember einmal mehr klar: Einer Persönlichkeit, die den EU-Beitritt des Landes nicht ausdrücklich zu ihrem Ziel erklärt, verweigert das Parlament den Eintritt in die Landesregierung – Kompetenz hin oder her.

Das bedeutet nichts anderes als das Ende der Konkordanz. Wer der stärksten Partei des Landes die Regierungsteilnahme mit einer Persönlichkeit verbietet, die den Kernbereich des Programms dieser Partei mitträgt, begräbt die Konkordanz. Daß die SVP damit auch davon befreit wird, die Politik der Landesregierung unter allen Umständen mitzutragen, versteht sich von selbst.

Bemerkenswert war das SP-Manöver, mittels eines Sprengkandidaten die SVP aus der Regierung werfen zu wollen. Der Vorgang war eigentlich grotesk: Jene Partei, die SP, die zehn Tage zuvor in einer Volksabstimmung die Halbierung der Armee durchzusetzen versuchte, erkor – mangels überzeugender Persönlichkeiten in den eigenen Reihen – in der Person des SVP-Parlamentariers Ulrich Siegrist ausgerechnet den Präsidenten der Schweizerischen Offiziersgesellschaft zu ihrem Sprengkandidaten. Nicht minder bemerkenswert ist: Der Präsident der Schweizerischen Offiziersgesellschaft – der gegenüber seiner eigenen Partei, der Aargauer SVP, eine Kandidatur ausdrücklich ausgeschlagen hatte – war sich nicht zu schade, das dubiose Spielchen im Dienste der Sozialdemokraten mitzuspielen. Insgesamt: Am Verlauf und am Ergebnis der Bundesratswahl vom 6. Dezember läßt sich der Zustand, in dem sich das schweizerische politische System mit seinem eigenartigen Bundesrats-Wahlverfahren befindet, trefflich erkennen.

Samuel Schmid: Der 53jährige SVP-Politiker aus Rüti bei Büren (Kanton Bern) ist Jurist und Präsident und Mitglied von Wirtschaftsverbänden und Verwaltungsräten. Seit 1994 gehörte er dem Nationalrat an, seit 1999 dem Ständerat. Als sein Hobby gibt er "Schießen" an. Sein Motto lautet: "Zukunft ist nicht Schicksal".

 

Thomas Meier ist Redakteur bei der in Flaach (bei Winterthur) erscheinenden Wochenzeitung "Schweizerzeit".


 
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