© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Gute Vorsätze
Frühmorgens durch den Park
Angelika Willig

Früher nahm man sich an Silvester vor, mit dem Rauchen aufzuhören, und fing schon in der ersten Januarwoche wieder damit an. Heute raucht nur noch, wer die Gesundheitskampagnen und die bösen Blicke überstanden hat, und der lacht über Silvestervorsätze. Das heißt nicht, daß die guten Vorsätze überhaupt aus der Mode gekommen seien. Man könnte meinen, der Hedonismus lasse jeden in Ruhe seinem Laster frönen – zumindest wenn es nicht anderen schadet. Das Essen zum Beispiel schadet nur der eigenen Figur und ist trotzdem Vorsatz Nummer eins zumindest bei den Frauen und nicht nur zu Silvester, sondern immer, wenn das neue Brigitte-Heft mit der neuen Super-Diät erscheint. Es ist nun einmal nicht möglich, ungehemmt Lebkuchenherzen und Dominosteine zu genießen und zugleich die bewundernden Blicke der Männer, die neidischen der Freundinnen auf sich zu ziehen. Bei Epikur kann man nachlesen, was der moderne Hedonismus offenkundig macht: daß die Lebensfreude eine schwierige Kunst ist, die viel Verzicht erfordert. Und das sogar bei vollem Geldbeutel – oder gerade dann. Der Arme erfreut sich schon an kleinen Dingen, der Reiche muß sich das meiste aufsparen, um nicht bald enttäuscht zu sein.

Für eine liberale Gesellschaft wird die Disziplin bei uns erstaunlich groß geschrieben. Allerdings nur die selbstverordnete Disziplin. Da joggt man frühmorgens durch den Park (obwohl das zu den am meisten gebrochenen Vorsätzen zählt) und eilt am Abend noch zur Weiterbildung, am Wochenende geht es ins Zentrum für Zen-Buddhismus, um spirituell aufzutanken. Aber wenn ein Politiker von "Verpflichtung" und "Gemeinschaft" spricht, hört man gleich Krieg und Diktatur heraus und protestiert auf das Heftigste. Wenn schon geopfert werden muß im Namen eines höheren Zieles, dann wollen wir selbst opfern und vor allem das Ziel selbst bestimmen. Merkwürdig ist nur, wie ähnlich sie sich sind, die Selbstbestimmten, als ob die Freiheit ein unsichtbarer Herrscher wäre, dem jeder sich mit Freuden beugt.

Nach den Millenniums-Galas hielten sich die Feiern diesmal im Rahmen; ein gemütliches Käse-Fondue mit Freunden tut es schließlich auch. An der Wende zum 21. Jahrhundert hatte man den "großenCrash" erwartet, den Zusammenbruch komplizierter Systeme, die längst unser Leben regeln. Die Katastrophe blieb aus, das System hielt stand. Wenn etwas passiert, wird es nicht Silvester sein – und nicht am Brandenburger Tor. Wenn ein Vorsatz Tat wird, dann irgendwann und irgendwo.

Da fahren wir durch ein Land mit Pommes-Buden und Baumärkten zu jener grauen kalten schneelosen Jahreszeit. Das Radio plärrt, und zwischendurch gibt eine Stimme Nachrichten und Staumeldungen durch. Nur nicht im Stau stehen, Hauptsache vorwärts, egal wohin. Und dann in den Urlaub, das Land verlassen, wenigstens für ein paar Wochen. Dafür lebt man auch in diesem Jahr. Nach West Light und Marlboro kommt ein Plakat in Riesenbuchstaben: "Anhalten, aussteigen, alles anders machen." So einfach ist das? Worauf warten wir?


 
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