© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Wieviel Staatsloyalität ist nötig?
Zeugen Jehovas: Das Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte von Minderheitenreligionen
Martin Lohmann

Um den bevorrechtigten Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erhalten, mußte eine Religionsgemeinschaft bisher eine Reihe von formalen Voraussetzungen erfüllen. Dazu zählen Dauerhaftigkeit, eine gewisse Größe der Anhängerschaft und überhaupt das Vorhandensein eines ernsthaften religiösen Bekenntnisses. 1997 kam noch ein weiteres Kriterium hinzu, die "Staatsloyalität", ein Begriff, der nirgendwo im Grundgesetz steht und juristisch bislang nicht definiert wurde.

Damals verwehrte auf dem Höhepunkt einer vor allem von der Bundestagsenquetekommission "sogenannte Sekten und Psychogruppen" geschürten Sekten-Hysterie das Bundesverwaltungsgericht der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas diesen Status mit der Begründung, daß diese "unerläßliche Loyalität" nicht gegeben sei, da die Zeugen Jehovas durch ihre Glaubensgrundsätze jede Teilnahme an staatlichen Wahlen ablehnen.

Konsequent weitergedacht, hätte dieses Urteil auch für die Volkskirchen Folgen gehabt, denn wie loyal verhält sich zum Beispiel die Evangelische Kirche gegenüber dem Staat, wenn sie Kirchenasyl gewährt? In der damaligen Entscheidung sah der Prozeßbevollmächtigte der Zeugen Jehovas, der Kirchenrechtler Hermann Weber, eine Verstärkung der anhaltenden Entliberalisierungstendenz in der Freiheit von Minderheitenreligionen in Deutschland.

In den Medien wird vielfach der falsche Eindruck erweckt, den Zeugen Jehovas ginge es bei ihrem Einsatz für die staatliche Anerkennung weniger um den Prestigegewinn als vielmehr um Vorteile wie das Recht, von ihren Anhängern Kirchensteuern einzuziehen, sowie Sitze in den Rundfunkräten der öffentlichen Sendeanstalten. Tatsächlich würde aber die Entsendung von ZJ-Vertretern in die Rundfunkräte zu unvermeidlichen Konflikten mit den bereits dort vertretenen etablierten Volkskirchen führen, und auch die Praxis der Kirchensteuer geht an der Realität der Zeugen Jehovas vorbei. Erstens verfügen diese über kein namentliches Register der eigenen Anhängerschaft; der Status eines registrierten Mitgliedes, vergleichbar den Volkskirchen, existiert dort nicht. Zweitens würde die Einführung einer solchen Kirchensteuerpraxis bei den Zeugen Jehovas im massiven Gegensatz zu deren bisherigen biblisch begründeten Grundsätzen stehen, wonach jede Gabe eines "Verkündigers" (so bezeichnen die Zeugen Jehovas ihre aktive getaufte Anhängerschaft) freiwillig zu sein hat und die Höhe in seinem eigenen Ermessen steht.

Natürlich geht es aber auch um viel Geld, denn das Bundesfinanzministerium hatte schon vorsorglich für den Fall eines Scheiterns der Verfassungsbeschwerde damit gedroht, den Zeugen Jehovas auch die vereinsrechtliche Gemeinnützigkeit ihrer Versammlungsgemeinden zu entziehen. Diese Aberkennung war quasi als Strafmaßnahme gedacht für die "Mißachtung" des Staates durch die religiös bedingte Wahlenthaltung und hätte tiefgreifende Konsequenzen für das Werk der Zeugen nach sich gezogen, das sich neben freiwilligen Arbeitsleistungen nur durch freiwillige Spenden trägt.

Daneben spielt bei den Zeugen Jehovas aber auch der Gedanke eine wichtige Rolle, durch den neugewonnenen Status Kapazitäten für das Missionswerk freizusetzen. Denn bisher mußte jede Versammlung für sich selbst eine umfangreiche Steuererklärung abfassen, was durch den Körperschaftsstatus zentral zusammengefaßt werden könnte.

In der Beschwerdeverhandlung fällte das Bundesverfassungsgericht nun am 19. Dezember eine grundsätzliche Entscheidung, die teilweise zugunsten der Zeugen ausgefallen ist. Darin wurde das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Verhandlung zurückgewiesen. Es sah die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes als nicht stichhaltig an und erkannte darin den nicht zulässigen Einstieg in eine Qualitätsprüfung religiöser Bekenntnisse durch den Staat, was nachder verfassungsgemäßen Trennung von Religion und Staat nicht zulässig sei. Eine Religionsgemeinschaft sei nicht nach ihrem Glauben, sondern nach ihrem tatsächlichen Verhalten zu beurteilen. Zudem sei der Körperschaftsstatus nicht dazu gedacht, dem Staat Einfluß bei den Religionsgemeinschaften zu sichern, sondern um diesen in Eigenständigkeit und Unabhängigkeit die freie Entfaltung ihres Bekenntnisses zu ermöglichen.

Selbstverständlich, so das Gericht, müsse sich eine Religionsgemeinschaft rechtstreu verhalten. Darüber hinaus sei aber keine besondere Loyalität erforderlich, und auch die praktizierte Wahlenthaltung der Zeugen Jehovas stehe dem nicht entgegen, denn diese begründet sich in deren religiösen Überzeugung. Weiter führt das Bundesverfassungsgericht aus, daß die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Kooperation zwischen Religionsgemeinschaft und Staat nicht zwingend sei. Sie sei zwar wünschenswert, aber nicht erforderlich. Den Religionsgemeinschaften stehe es in ihrer Glaubensfreiheit nach wie vor zu, sich auch als Körperschaft des öffentlichen Rechts dem Staat gegenüber neutral zu verhalten. Im Konfliktfall räumt das Bundesverfassungsgericht allerdings den Religionsgemeinschaften im Einzelfall einen gewissen Freiraum der Gewissensentscheidung ein.

Dem Bundesverwaltungsgericht wurde auferlegt, erst einmal zu überprüfen, ob die Zeugen Jehovas tatsächlich Grundrechte Dritter verletzen, indem sie angeblich Austrittswillige behindern oder extreme Erziehungsmethoden bei ihren Kindern anwenden, wie es gerne von den berufsmäßigen Sektenbeauftragten der etablierten Großkirchen verbreitet wird. In diesem Zusammenhang fiel in der Berichterstattung der Medien auch wiederholt der Begriff "Stock und Rute", welcher im Urteil gar nicht enthalten ist. Er wurde unkritisch vom Prozeßgegner der Zeugen Jehovas, dem Land Berlin, übernommen. Deren Vertreter behaupteten in der mündlichen Anhörung, es existierte ein gleichnamiges Lehrbuch der Zeugen, in welchem zur Anwendung extremer Erziehungspraktiken aufgerufen wurde. Obgleich es ein solches Buch gar nicht gibt, war der Beauftragte der Zeugen Jehovas so verwirrt, daß er antwortete: "Das verabscheuen wir", anstatt die Vorlage des Buches zu verlangen.

Die Zeugen Jehovas sehen der neuen Etappe in diesem seit zehn Jahren andauernden Rechtsstreit gelassen entgegen. Sollte ihnen kein Erfolg beschieden sein, wird es aller Voraussicht nach zu einer endgültigen Entscheidung vor dem Europäischen Gerichtshof kommen.


 
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