© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Pankraz,
Ch. Thielemann und der Musi-Gnom aus Zürich

P arfümierter Unrat ist wohl der stinkendste. So kürzlich eine Musikkritik von Peter Hagmann, die in der Neuen Zürcher Zeitung erschien und einem Tonhallen-Konzert des Philharmonia Orchestra London unter Christian Thielemann gewidmet war.

Gegen die Qualität der Aufführung war beim besten (schlimmsten) Willen nichts einzuwenden, im Gegenteil, sie war ein sensationeller Erfolg, das verwöhnte, stupend sachkundige Tonhallen-Publikum jubelte, ja, tobte vor Begeisterung. Aber da war eben der Dirigent, Thielemann, der als Rechtskonservativer abgestempelt ist und den die PC-Aufseher inklusive Hagmann gerne weghaben möchten. Wie schreibt man dem seinen Triumph zum Nachteil aus? Wie hängt man dem etwas an, gegen das auch allerhöchste Könnerschaft nichts ausrichten kann?

Nun, man erfindet einfach einen "faschistischen Dirigierstil", dessen bisher einziger Vertreter Thielemann ist und mit dessen Hilfe sich dieser als Unhold und anstößiger Fremdkörper im Musikleben der Moderne darstellen läßt. Thielemann mag sich noch so geschickt tarnen (indem er z.B. auch Schönberg dirigiert), mag sich noch so intensiv der Herausarbeitung jeweiliger Werkintentionen hingeben – sein "Stil" entlarvt ihn, reißt ihm die Maske des Biedermanns vom Gesicht.

Das geht schon damit los, wie er den Dirigentenfrack zu tragen pflegt. Hagmann: "Gern rückt ihm in der Emphase des Dirigierens die Hand ins Kreuz: an jene Stelle, wo der auf ein Uniformstück zurückgehende Frack eine Naht trägt und wo bei der Pose des Heerführers die Linke zu ruhen hat".

Aber damit nicht genug. Thielemanns Haar ist "scharf gescheitelt und irritierend in die Stirn gezogen". Und er geht in seinem dirigentischen Klangrausch immer wieder "an die Grenzen des Saales". Das irritiert Herrn Hagmann, denn "davon geht eine narkotisierende Wirkung aus, der man sich schwer entziehen kann".

A m anstößigsten er scheint ihm freilich, daß Thielemann den Komponisten, deren Werke er dirigiert, voll die Treue erweist, daß er ihnen "dient", sich nicht von ihnen absetzt, sie nicht ironisiert oder gar in irgendeine Richtung denunziert, nicht einmal bei solchen "belasteten" Meistern wie Wagner, Richard Strauss, Pfitzner.

Da ist etwa das Vorspiel zum ersten Aufzug der Meistersinger, bei besagtem Tonhallenkonzert als Zugabe gespielt. Jeder moderne Dirigent sollte, so Hagmann, "etwas gegen die Partitur tun" (denn es kommen da ja ausdrücklich "deutsche Meister", die sich von "welchem Tant" abwenden wollen). Doch was tut Thielemann? Er weitet die Partitur "ins Grandiose", er "reizt alle Effekte bis zum Letzten aus".

Und immer noch nicht genug. Thielemann vermeidet, bei aller Emphase, jegliche die Strukturen verwischende Überlautstärke, er meißelt die von Wagner geforderte Polyphonie im Mittelteil des Spiels scharf und genau heraus – und wie schafft er das? "Indem er die alte deutsche Orchesteraufstellung vornimmt, mit den Ersten Geigen links und den Zweiten rechts vom Dirigenten". Vor so viel Nationalismus bleibt dem Eifernden schlicht die Spucke weg. Er kann nur noch röcheln. "Unzulässig", röchelt er, "unzulässig, seit Ende des Zweiten Weltkrieges unzulässig ...".

Hagmann hat auch einen historischen Übervater ausgemacht, an dem sich Christian Thielemann unheilvollerweise ein Vorbild genommen habe: Wilhelm Furtwängler. Was bei Daniel Barenboim und Guiseppe Sinopoli leider ebenfalls zu konstatieren sei, wenn auch nur in Ansätzen, das habe Thielemann frech "radikalisiert" und "zugespitzt", nämlich den Furtwänglerschen "Irrationalismus".

Und das sei nun mal die Quintessenz des faschistischen Dirigierstils: der musikalische Irrationalismus. In diesem Irrationalismus "verwirklicht sich restauratives Denken, ein Entwurf, der seine Wurzeln jenseits von interpretatorischer Avantgarde mit ihrem aufklärerischen, den Zuhörer emanzipierenden Impetus hat".

O ffenherziger haben wir es noch nie vernom men: Avantgarde und Aufklärung bestehen, zumindest bei den Dirigenten, darin, daß man den Komponisten, den Werkschöpfern, etwas unterschiebt, was sie gar nicht gemeint haben, daß man sie, bevor man sie zu reproduzieren beginnt, zunächst einmal auf ein Streckbett wirft, wo sie daraufhin vermessen und zurechtgehackt werden, ob sie und daß sie ins "Projekt der Moderne" passen. Die Moderne ist zwar unschöpferisch, unergiebig, aber sie verfügt über die "Ratio", und das gibt ihr angeblich das Recht, die Schöpfer anzuklagen oder, besser noch, sich über sie in fader Weise lustig zu machen.

"Guten Appetit!" kann man da nur sarkastisch wünschen. Aber die Konsumenten von Kunst werden sowieso nicht mehr gefragt. Sie werden "emanzipiert", und die Doofen unter ihnen lassen sich das nicht zweimal sagen und schlagen sich hohnlachend in die Büsche der puren Kunst- und Vernunftferne.

Die Anspruchsvollen jedoch (siehe Zürcher Tonhallenpublikum) wollen sich gar nicht emanzipieren lassen. Sie wissen, was Kritiker à la Hagmann zu ihrem eigenen Schaden nicht mehr wissen (oder nie gewußt haben): daß die Logik der Kunst und speziell der Musik sich völlig jenseits von Rationalismus oder Irrationalismus entfaltet, daß sie in erster Linie eine Logik der Herzen und Sinne ist und daß sie ihr Spiel haben will, allen selbsternannten Aufklärern und Avantgardisten zum Trotz.

Künstler wie Thielemann, die das wahre Spiel endlich wieder zu spielen verstehen und eine konkrete Vorstellung vom Glanz und von der Kraft der alten, ewigen Melodien und ihrer Meister vermitteln, sind deshalb hochwillkommen. Man wird nicht dulden, daß sie durch billige politische Rankünen außer Gefecht gesetzt werden, auch wenn die Rankünen einmal aus Zürich kommen.


 
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