© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    02/01 05. Januar 2001

 
Zeitschriftenkritik: Graswurzelrevolution
Ideologisch bekümmert
Werner Olles

Libertäre Bewegungen haben – anders als in den romanischen Ländern, in der Ukraine oder in Rußland – in Deutschland keine große Tradition. Es gibt ein paar berühmte Namen: Karl Korsch, Gustav Landauer, Erich Mühsam, Rudolf Rocker, aber ihren ideologischen Erben ist es trotz vielfältiger Bemühungen bis heute nicht gelungen in die Fußstapfen dieser "Väter des Anarchismus" zu treten. Selbst die antiautoritäre Fraktion im legendären "Sozialistischen deutschen Studentenbund" (SDS) flirtete in ideologischer Unbekümmertheit mal mit Stalin, mal mit Trotzki, die man ja wohl mit einigem Recht als "Anarchisten-Schlächter" bezeichnen darf.

Seit fast drei Jahrzehnten erscheint die Monatszeitung Graswurzelrevolution mit dem programmatischen Untertitel "Für eine gewaltfreie, herrschaftslose Gesellschaft." Auch ihr sind politische Orthodoxien unangenehm, eine sich immer stärker arrangierende und bürgerliche Züge annehmende Linke nimmt man hier eher gelangweilt und mit praktischer Ironie zur Kenntnis. Warum diese Kritik an diktatorischer Macht, ideologischem Geschwätz und bürokratischer Schinderei dennoch nicht mehr überzeugt, wird einem bei der Lektüre der Zeitung aber schnell klar. Auch bei den anarchistischen "Graswurzelrevolutionären" geht es inzwischen in erster Linie um den Kampf gegen "Rechts". Wie der aber nun mit "einer umfassenden Kritik aller Rechtfertigungen für Machtpolitik, aller Staatsphilosophie" zu vereinbaren ist, darüber schweigt man sich aus. Wenn aber "Graswurzelrevolution" bedeutet, "daß Hierarchie und Kapitalismus durch eine selbstorganisierte, sozialistische Wirtschaftsordnung und der Staat durch eine föderalistische, basisdemokratische Gesellschaft ersetzt werden" und "durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden", schließt dieser Ansatz zwar die kritische Musterung von etatistischen und nationalistischen Politikinhalten keineswegs aus, aber er verbietet es, sich in den Sog einer Staats-Antifa-Kampagne hineinziehen zu lassen.

Auf diese Weise zu Schröders libertären Wasserträgern degeneriert, dürfte es kaum gelingen "Herrschafts- und Gewaltstrukturen zurückzudrängen und zu zerstören" und "eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung" durchzusetzen. Insofern schließt die Graswurzelrevolution-Konzeption als dessen konsequente Verwirklichung an den umgefälschten Liberalismus des Bürgertums an, einen Verrat von Idealen, die nur im Vorgeschmack auf ihr Scheitern noch von Interesse sind.

Der Anarchismus war einmal ein eigener Kosmos voller Vitalität und Widersprüche, dessen ideologische Offenheit und Vielfalt auch den politischen Gegner faszinierte. Davon ist kaum etwas übriggeblieben. Daß dieser Niedergang in der moralischen Überwachung der Politik endete und allenfalls noch holzschnittartig etwas antifaschistisches Pathos zum Besten gibt, ist seine eigentliche Tragik.

Graswurzelrevolution-Vertrieb, Straßburger Str. 24, 10405 Berlin. Einzelpreis: 4 Mark, Jahresabo: 40 Mark


 
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