© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Für Macht oder Geld
Die Hintergründe des tschechischen Fernsehkriegs
Carl Gustaf Ströhm

Das Drama um das öffentlich-rechtliche tschechische Fernsehen, in dem seit Tagen die Mitarbeiter gegen den neuen Generaldirektor streiken, hat Legenden ins Kraut schießen lassen, die kritisch untersucht werden sollten. Was da als "Kampf um Demokratie und Meinungsfreiheit" stilisiert wird – unter Assistenz westlicher TV-Kollegen –, ist in Wirklichkeit ein Kampf um die Macht, das heißt: um den Zugang zu den Kameras.

Ähnliche Machtkämpfe wurden (und werden) auch im Westen ausgetragen – nur sind hier die Mittel subtiler als in Prag mit seiner postkommunistischen Erblast. Was war geschehen? Die regierenden Sozialdemokraten des Premiers Milos Zeman und die sie stützende konservative ODS des Parlamentspräsidenten Václav Klaus haben mehrere wichtige staatliche Posten untereinander per Absprache aufgeteilt: darunter auch den des Fernseh-Chefs. Ein solcher Vorgang entspricht vielleicht nicht gerade ästhetischem Empfinden, aber er ist in den heutigen Demokratien durchaus normal. Ämter werden zwischen den Parteien – und oft auch innerhalb einer Partei – von den Mächtigen ausgehandelt. Im öffentlich-rechtlichen deutschen Fernsehen und Rundfunk etwa geschieht das nach der Parole: Du bekommst den Intendanten, dafür gibst du mir den Chefredakteur – du bekommst diesen Hauptabteilungsleiter, dafür gibst du mir jenen Redaktionsposten. Wer nicht das Wohlwollen der in den jeweiligen Bundesländern herrschenden Partei(en) genießt, hat dort keinerlei Aufstiegschancen.

Dem vom zuständigen Gremium gewählten tschechischen Fernsehchef Jirí Hodac kann niemand mangelnde Qualifikation vorwerfen. Er war jahrelang im tschechischen Programm von BBC London tätig – und die Briten achteten dabei stets auf Qualität und demokratische Gesinnung.

Was Hodac jetzt von den Streikenden und von Zehntausenden Demonstranten vorgeworfen wird, die auf dem Prager Wenzelsplatz gegen ihn demonstrieren, ist etwas anderes: Er habe eine "Naheverhältnis" zum nicht links-, sondern eher bürgerlich-rechtsstehenden Ex-Premier Klaus – und das sei untragbar. Aber: Gibt es nicht eine ganze Reihe deutscher öffentlich-rechtlicher Intendanten mit einem ausgesprochenen Naheverhältnis etwa zu Kanzler Schröder oder zu SPD-Landespolitikern? Und würden in Prag die Redakteure Sitzstreiks veranstalten, wenn der unglückliche Hodac sich nicht in der politischen Nähe der Konservativen, sondern etwa der tschechischen Linken angesiedelt hätte?

Wer hinter die Nebelwand der scheinheiligen Beschwörungen blickt, wird erkennen, daß neben der Macht über den Bildschirm auch viel Geld im Spiel ist. Da kämpft der mit den Parteien verfeindete Ex-Bürgerrechtler Havel um die Reste seiner Autorität und seines Ansehens als Staatspräsident. Da wird – angeblich im Kampf gegen den "Parteienstaat" – eine nebulöse "Bürgergesellschaft" beschworen, durch die das Fernsehen (neben anderen Lebensbereichen) "demokratisiert" werden soll. Hodac steht im Weg – und folglich muß man ihn mit sanfter Gewalt hinwegdemonstrieren. Die große Illusion, die jetzt (nicht nur in Prag) verbreitet wird, lautet: Nach dem Verschwinden des Hodac und seiner Mannschaft wird das Fernsehen wirklich "frei", "demokratisch" und "pluralistisch" sein – im Gegensatz zur jetzigen "rechtslastigen" Finsternis. Aber die Geschichte vom "demokratischen", "offenen", "unmanipulierten" Fernsehen ist und bleibt leider ein Märchen.

Wenn Hodac geht, wird man nach der Devise verfahren: "Stehe du auf, damit ich mich setzen kann." Das Fernsehen verfügt über solch suggestive Möglichkeiten, daß es letztlich unter allen Systemen dazu verdammt ist, entweder der Macht oder dem Geld oder beiden zu dienen. Das Geld spielt dann im Privatfernsehen die noch größere Rolle. Es ist klar, daß sich die Exponenten besonders des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gern mit dem Mäntelchen des Pluralismus umhüllen und die "Offenheit" für alle propagieren – etwa in Sendungen, in denen Zuhörer auf alberne Art animiert werden, telefonisch "Fragen" zu stellen. An den Schaltstellen aber wird knallhart entschieden, wer sich zu welchen Themen äußern darf und wer nicht. Wäre es denkbar, daß im WDR ein Kommentator die Regierung Schröder oder Ministerpräsident Clement frontal angreift? Hat man ja erlebt, daß der bayerische Ministerpräsident vom Münchner Fernsehen ernsthaft kritisiert wurde?

Wenden wir uns wieder den "postkommunistischen" Fernsehpraktiken zu: Also vor einem Jahr in Zagreb die Wendekommunisten über die "Nationalisten" siegten, wurde als erstes das kroatische öffentliche Fernsehen gesäubert – und zwar mit einer Radikalität, die durchaus KP-Praktiken entspricht. Heute ist das Zagreber TV "links" gleichgeschaltet, geführt von "bewährten Genossen". Hier aber gibt es keine Streiks – und kein westliches Medium interessiert sich für diese Art von "Demokratie".

Der Prager "Fernsehkrieg" ist eine Mischung aus Tragödie und Posse. Man erinnere sich, was der FAZ-Journalist Paul Sethe in den fünfziger Jahren schrieb: Pressefreiheit sei nichts anderes als die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu veröffentlichen. Heute ist diese Zahl vielleicht noch geschrumpft. Und was das Prager TV betrifft, bleibt die Befürchtung, daß am Ende nicht mehr, sondern weniger Freiheit herausschauen wird.


 
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