© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
"Die wollten uns treffen"
Der Polizeibeamte Horst Breunig über die Bilder des prügelnden Joseph Fischer und das, was sie nicht zeigen
Moritz Schwarz

Herr Breunig, Sie waren bei der Demonstration der Frankfurter Spontis am 10. Mai 1976 – deren Bilder in diesen Tagen durch die Medien gingen und die auch Joschka Fischer zeigen – als Hundertschaftsführer der Polizeieinsatzbereitschft im Einsatz. Der Polizeibeamte Jürgen Weber wurde bei diesem Einsatz in Brand gesteckt – direkt neben Ihnen.

Breunig: Ich hatte den Auftrag, mit meiner Hundertschaft verbotene Demonstrationen in die Frankfurter Innenstadt zu verhindern. In der Bockenheimer Landstraße haben wir eine Sperrkette gebildet und verhindert, daß ein Demonstrationszug, der von der Universität kam, in die Stadt hinein gelangen konnte. Die Demonstranten haben daraufhin einen anderen Weg gewählt und haben uns umgangen und im Laufschritt überholt. Wir haben zum Goetheplatz verlegt, um den Zug dort aufzulösen. Als unsere Fahrzeugkolonne dort eintraf, waren die Demonstranten schon da. Ich ließ anhalten, stieg zusammen mit meinem Truppführer aus und drehte mich nur für einen Moment um, um den Beamten den Befehl zum Absitzen und zum Formieren zu geben. Als ich nach einer Sekunde den Blick zurückwandte, sah ich bereits Wurfgeschoße, wie wir sie zuvor noch nicht gesehen hatten, auf uns zufliegen. Das waren die berühmten "Molotow-Coktails", sechs bis sieben an der Zahl, die neben uns zerplatzten und in heißen Stichflammen aufgingen. Meinem Truppführer und mir blieb nichts übrig, als uns hinter das Fahrzeug zu retten und uns dort zu Boden zu werfen.

Ein Molotow-Cocktail traf Ihr Fahrzeug direkt – in dem noch der Fahrer, Jürgen Weber, saß?

Breunig: Eine Brandflasche landete genau im Fahrzeug und zerbarst, sofort hatte eine Feuerwolke das Fahrzeuginnere eingehüllt, in dem sich noch immer JürgenWeber befand. Er hatte versucht, sich mit einem Hechtsprung aus der offenen Beifahrertür zu retten, war aber unglücklicherweise mit den Füßen hängengeblieben. Mein Truppführer und ich sprangen auf und zogen den brennenden Körper aus dem Fahrzeug. Weber schrie wie am Spieß und wand sich. Er flehte uns an, ihm zu helfen, und wir warfen uns auf ihn, um die Flammen zu ersticken, denn wir hatten ja keinerlei Löschgerät. Schließlich versuchten wir ihm die schwelende Hose auszuziehen, doch dabei löste sich die Haut vom Leib, denn die Hitze hatte Hose und Haut miteinander verschmolzen. Weber hielt die Schmerzen nicht mehr aus und bat seinen Kollegen, ihn zu erschießen.

Hätte er nicht rechtzeitig zum Sprung angesetzt, hätten ihn die Flammen ganz und gar erfaßt?

Breunig: Er hing ja zur Hälfte aus der offenen Beifahrertür haraus, er hatte es nur wegen der verhakten Füße nicht ganz geschafft. Der Molotow-Cocktail verbreitete sein Feuer im Fahrzeug, dieses stand voll in Flammen. Weber entkam nur knapp dem Tod, sechzig Prozent, so die Ärzte, seiner Haut waren verbrannt. Eine Woche lang rang er in der Ludwigshafener Spezialklinik mit dem Tod.

Hätte es Sie genauso erwischen können?

Breunig: Ja, wir waren völlig überrascht und nahmen hinter dem Fahrzeug Deckung. Ich nenne diesen Tag, den 10. Mai 1976, heute noch meinen zweiten Geburtstag.

Hat es von seiten der Demonstranten eine Warnung oder Androhung vor dem Einsatz der Brandflaschen gegeben, die darauf hinweisen würde, daß sie deren Einsatz tatsächlich nur als Selbstverteidigung empfunden haben?

Breunig: Nein. Die wollten uns treffen. Das belegt nicht nur der Ablauf des Angriffs, sondern auch die Planung der Demonstration am Abend zuvor, nachzulesen im Buch von Christian Schmidt "Wir sind die Wahnsinnigen".

War denn der Angriff der Demonstranten in irgendeiner Art zuvor "provoziert" worden?

Breunig: Natürlich sind wir dort hingefahren, um den Demonstrationszug aufzulösen. Aber ich lege ganz großen Wert darauf, daß es zuvor keinerlei Kontakt mit den Demonstranten gab, nicht einmal verbal. Es kann also gar keinen Grund für Rache an der Polizei an diesem Tag gegeben habe. Dies sage ich, weil Herr Fischer heute behauptet, "wir sind immer verprügelt worden und haben uns nur gewehrt" – so nennt er das, was ich eben beschrieben habe.

Aber gab es nicht zuvor auch durchaus überharte Gewaltreaktionen der Polizei gegen linke Demonstranten?

Breunig: Wir waren eingesetzt, die Stadt Frankfurt und – wenn Sie so wollen – den Staat zu schützen. Herr Fischer und seine Putzgruppe sind losgezogen, um den "Schweinestaat" zu zerstören, dessen Chef er inzwischen mit ist und auf dessen Verfassung er inzwischen geschworen hat. Das sind die Voraussetzungen, von denen man alles weiter beurteilen muß. Es gab sicher auch auf unserer Seite Fehlleistungen in Einzelfällen, aber man darf nicht Ursache und Wirkung verwechseln.

Wie haben sich dann die Demonstranten nach der Brandflaschen-Salve verhalten?

Breunig: Sie sind weggelaufen.

Sie haben keine Erste Hilfe geleistet, nachdem sie gesehen haben, was sie angerichtet haben?

Breunig: Nein, sie haben gejohlt und sich über den Erfolg gefreut.

Alle?

Breunig: Ich weiß nicht, aber ich glaube, es gab auch andere darunter. Am Abend zuvor gab es auch Leute, die dagegen waren, Brandflaschen einzusetzen, mit Rücksicht auf die Menschen. Aber die wurden angeblich niedergeschrien, nach dem Motto: Das ist doch egal! So ist es bei Schmidt nachzulesen.

Wie haben sich Ihre Beamten nach dem Angriff verhalten?

Breunig: Es kamen einige, um Jürgen Weber zu helfen. Dann kamen auch Anwohner mit Decken und einem Eimer Wasser. Irgendwann traf dann der Notarzt ein, und wir haben unseren Kollegen übergeben. Dann sammelte ich meine Hundertschaft und setzte den Demonstranten nach. An verschiedenen Straßenkreuzungen formierten sich die Demonstranten neu und empfingen uns mit Steinwurf-Angriffen. Doch dann mischte man sich unter die Passanten oder entkam auf andere Weise. In einem Fall gelang uns eine Festnahme.

Gab es noch weitere Verletzte?

Breunig: Den ein oder anderen durch Steinwürfe, das damals übliche.

Was wäre – ganz ehrlich – passiert, hätten Ihre Männer diese Leute zu fassen gekriegt?

Breunig: Sie wären festgenommen worden und zur Sammelstelle gebracht worden.

Wie war die Stimmung anschließend, nachdem Sie wieder in die Unterkunft zurückverlegt hatten?

Breunig: Oh, sehr schlimm. Das war hart und deprimierend.

Haben die Beamten von nun an Angst gehabt?

Breunig: Die Beamten reagierten mit großem Unverständnis. Sie hätten so etwas nie für möglich gehalten.

Haben Sie gesehen, wer die Molotow-Cocktails geworfen hat?

Breunig: Nein. Alles,was ich erkennen konnte, war: Sie wurden nicht von vorn, sondern aus der zweiten oder dritten Reihe geworfen.

Erschien Ihnen der Angriff spontan oder vorausgeplant?

Breunig: Das war offensichtlich vorbereitet. Man wollte uns eins auswischen, weil die Polizei zuvor ein Haus geräumt hatte, was man offensichtlich als Demütigung empfunden hatte. Christian Schmidt schildert in seinem Buch die Vorbereitung der Aktion am Abend zuvor. Da war die Stimmung offenbar so: "Der Tod von Ulrike muß gerächt werden, morgen zeigen wir es denen, jetzt müssen die Dinger fliegen". Stolz wähnte man sich im Besitz einer neuen "Wunderwaffe", wie sie es offenbar tatsächlich genannt hatten. Und tatsächlich hatten wir dem zunächst nichts entgegenzusetzen, ja nicht einmal einen Schutz davor.

Joschka Fischer ist bei dieser Demonstration dabeigewesen. Haben Sie ihn gesehen?

Breunig: Nein.

Denn Sie kannten ihn ja damals gar nicht?

Breunig: Richtig.

Was werfen Sie Joschka Fischer genau vor?

Breunig: Er war angeblich der Versammlungsleiter an jenem Abend davor. Er hätte solche Pläne unterbinden müssen, aber statt dessen hat er, soweit ich informiert bin, noch dazu aufgestachelt.

Sie haben ihm schließlich einen Brief geschrieben. Zweiundzwanzig Jahre später, warum?

Breunig: Nachdem ich in Christian Schmidts Buch, das erst 1998 erschienen ist, von der wahren Rolle Fischers bei der Planung am Abend zuvor erfahren habe. Allerdings muß man sagen, Schmidt war selbst auch nicht dabei, aber er hat es recherchiert.

Joschka Fischer hat Ihren Brief nie beantwortet. Im "Spiegel" wirft er Ihnen Polemik vor.

Breunig: Ich verstehe nicht, worin die Polemik liegen soll, ich habe dort lediglich geschildert, was ich gelesen habe und das auch kenntlich gemacht. Lesen Sie den Brief doch selbst. Ist er polemisch? Ich sage doch: Wenn es sich so verhält wie dort dargestellt ... Ich weiß es ja letztendlich nicht, ich war nicht dabei. Deshalb kann Fischer dem Brief doch auch widersprechen. Aber das tut er ja eben nicht.

Fischer sagt, Sie behaupteten in dem Brief, er selbst habe Molotow-Cocktails geworfen.

Breunig: Unsinn. Ich habe doch gerade vorhin auf Ihre Frage klar geantwortet, daß ich zum einen nicht gesehen habe, wer die Cocktails im einzelnen geworfen hat, zum anderen, daß ich Fischer damals weder gesehen noch überhaupt gekannt habe. Außerdem, wo steht das in meinem Brief? Ich meine, wenn Schmidts Darstellung stimmt, dann hat Fischer, entsprechend der beschriebenen Situation, eine moralische Verantwortung gehabt, die er nicht wahrgenommen hat.

Was empfinden Sie heute, wenn Sie Joschka Fischer im Fernsehen sehen?

Breunig: Gar nichts.

Fordern Sie seinen Rücktritt als Vizekanzler und Außenminister?

Breunig: Nein. Was ich mich aber natürlich frage: Was soll die junge Generation denken? Ich versetze mich in die Lage eines Sechzehn- oder Siebzehnjährigen von heute: der den uns allen bekannten Unsinn auf unseren Straßen veranstaltet. Was soll ich dem angesichts der Fischer-Bilder im Stern sagen? Ich fordere seinen Rücktritt nicht, aber ich kann mich nur wundern. Das muß der Herr Fischer schon mit sich selbst abmachen bzw. die Gesellschaft mit ihm.

Wie haben Sie seine öffentliche Entschuldigung empfunden?

Breunig: Als zu einfach und pauschal. Sie scheint das Nachdenken zu ersetzen, statt dessen Ergebnis zu sein.

Was ist aus Jürgen Weber geworden?

Breunig: Er ist, soweit ich weiß, noch im Polizeidienst. Er müßte jetzt 55 sein. Ich habe ihn aus den Augen verloren.

 

Polizeihauptkommissar a.D. Horst Breunig geboren 1936 in Mainz, aufgewachsen in Hochheim am Main. Nach einer Dreherlehre bei Opel und sieben Jahren im Beruf trat er 1958 in den hessischen Polizeidienst ein. Dort absolvierte er die Polizeifachhochschule und schloß als Diplomverwaltungswirt ab. Er leitete mehrere Polizeidienststellen im Main-Taunus-Kreis und in Frankfurt. Heute lebt er als Pensionär in Hochheim.

 

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