© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Das Schweigen der Basken im Norden
Frankreich: Die französisch-spanische Grenze trennt ein Volk / Die "Revolutionssteuer" des Fußballmillionärs
Charles Brant

Die ETA hat Bixente Lizarasu aufs Korn genommen. Inzwischen sind die Schlagzeilen schon vergessen, und die Aufregung um die Drohungen gegen den baskischen Fußballer hat sich gelegt. Zurück bleibt das Schweigen der Nordbasken.

Mitte Dezember sorgte die Affäre für viel Aufsehen. Bixente Lizarasu, der WM-Star, der beim 1. FC Bayern München unter Vertrag steht, hatte einen Brief von der baskischen Untergrundorganisation ETA erhalten, die ihn aufforderte, eine "Revolutionssteuer" zu entrichten. Französische ETA-Experten stellten schnell die Authentizität des Dokumentes fest, während ihre spanischen Kollegen ankündigten, die ETA würde ihre Tätigkeit demnächst auf ganz Europa ausweiten.

Die "Revolutionssteuer" gehört im Baskenland bekanntlich ebenso zur schmerzlichen Realität wie die Methoden der ETA. Aber wie glaubwürdig sind die Aussagen der französischen und spanischen Polizei? Es fällt schwer, die emotionsgeladene Reaktion auf die Drohungen gegen den Fußballspieler Bixente Lizarasu nicht mit dem Antiterrorpakt in Zusammenhang zu bringen, den die Volkspartei des spanischen Ministerpräsidenten José-Maria Aznar mit der sozialistischen Opposition geschlossen hat. Baskische und katalanische Nationalisten bezeichneten diesen Pakt als "Wahlkampfmanöver", das dazu dienen soll, die Nationalistische Baskenpartei (PNV) aus wichtigen politischen Ämtern im Baskenland zu vertreiben.

Warum hat sich die ETA gerade Bixente Lizarasu als Zielscheibe ausgesucht? Frankreichs Premierminister Lionel Jospin sprach von einer "Absurdität", und in der Tat mutet die ganze Affäre sehr seltsam an. Bixente Lizarasu kam 1969 in Hendaye an der Grenze zwischen Frankreich und Spanien zur Welt. Als Fußballer hat er mit Politik nichts am Hut. Andererseits hat er seine baskische Herkunft nie verleugnet. Er hat sich bewußt für den Namen "Bixente" anstatt für die französische Version "Vincent" entschieden. Er hat für den baskischen Fußballverein in Bilbao gespielt und sich dort zu Hause gefühlt. Er hat sich sogar nach einer siegreichen Partie mit der Ikkurina, der baskischen Fahne, im Stadion sehen lassen. Bixente Lizarasu sieht sich als Baske und zugleich als Franzose. Er ist eben ein Nordbaske.

Den französischen Staat interessiert das Baskenland nicht weiter. Verwaltungstechnisch geht es in der Region Aquitaine auf. Ansonsten gilt es als traditionelles Urlaubsziel – der Badeort Biarritz wurde von Napoléon III. gegründet, und schon Otto von Bismarck war dort zu Gast; heute laden auch Saint-Jean-de-Luz, Hendaye, Bidart und die schönen Atlantikstrände der Region zum Verweilen ein – oder einfach als Zwischenstation auf dem Weg nach Spanien. Über die baskische Identität weiß man wenig mehr, als daß sie sich in einer geheimnisvollen Sprache ausdrückt.

Man kennt gerade noch den Schinken aus Bayonne, die Baskenmütze und die Sportbegeisterung der Basken, hauptsächlich für Rugby und das baskische Ballspiel Pelote.

Die Nordbasken – eine Bevölkerungsgruppe, die um die 270.000 Menschen umfaßt – wollen vor allem in Ruhe gelassen werden. Sie mögen es gar nicht, wenn man sich in ihre Angelegenheiten mischt. Die alljährliche Sommerinvasion dulden sie, weil sie ihr wirtschaftliches Überleben sichert. "Ein Schwein für den Winter, einen Pariser für den Sommer", lautet eine vielzitierte Weisheit.

Die Nordbasken pflegen ihre Traditionen und sprechen ihr Euskara, die älteste Sprache Europas, die zugleich die geheimnisvollste ist, da nichts genaues über ihre Herkunft erwiesen ist. Im Baskenland gibt es schon seit Jahrzehnten Privatschulen – "Ikastola" genannt –, in denen der gesamte Unterricht auf Baskisch stattfindet. Aus baskischer Sicht beruht die Grenzziehung von jeher auf einer Fiktion. Wenn sie zwischen "Euskadi Nord" und "Euskadi Süd" unterscheiden, so heißt das nur, daß ihr Volk zwischen zwei Staaten aufgeteilt ist. Natürlich wissen sie, daß ihre Brüder im Süden eine autonome Regierung haben. Der Vergleich zwischen ihrer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung und der der Südbasken ruft eine gewisse Bitterkeit hervor. Selbst die bescheidensten Forderungen der Nordbasken stoßen auf die unerschütterliche Mauer des französischen Jakobinismus. Die von François Mitterrand versprochene Schaffung eines eigenen baskischen Verwaltungsbezirkes kam nie zustande.

Die Nordbasken sind sich bewußt, daß sie weder Gaskogner noch Béarnaiser sind. Sie kennen die wirkliche Geschichte von Roncesvalles, wo nicht etwa die Mauren Roland, den Neffen Karls des Großen, besiegten, sondern ihre eigenen Vorfahren. Sie haben auch nicht vergessen, daß sie einst ein großes freies Volk waren, aus dem Persönlichkeiten wie Ignazius von Loyola und Miguel de Unamuno hervorgingen. Genauso wie ihre südlichen Brüder reisten sie einst ans Ende der Welt, und viele von ihnen haben noch heute Verwandtschaft in Südamerika.

Ihre Heimat, die Euskadi Nord, besteht aus drei Provinzen – Labourd (800 Quadratkilometer), Basse-Navarre (1.284 Quadratkilometer) und Soule (785 Quadratkilometer) –, um die sich weder die Landesregierung in Paris noch die Regionalverwaltung in Bourdeaux, beide weit entfernt, kümmert. Das baskische Bewußtsein ist hier stark ausgeprägt. Die Traditionen leben fort, sei es in der Architektur, dem Tanz, dem Gesang oder dem Theater. Die Nordbasken haben eine nationalistische Bewegung namens "Abertzale", eine eigene Presse mit dem altehrwürdigen Titel Enbata, die aber selber erst seit September 1960 besteht, und militante Aktivisten, die Jahr für Jahr den Festtag "Aberri Eguna" – Tag der Heimat – begehen und kein Hehl daraus machen, daß sie "die Vereinigung der sieben Provinzen des baskischen Volkes" anstreben.

Während der Franco-Diktatur und noch lange danach diente die Euskadi Nord den Brüdern aus dem Süden als Rückzugsstützpunkt. Viele Südbasken flüchteten nach Hendaye oder Saint-Jean-de-Luz. Im März 1970 lösten die Vertreibungen der Südbasken in die Euskadi Nord den ersten Hungerstreik am Bayonner Dom aus. Vier Jahre später folgte ein zweiter Hungerstreik am selben Ort – aus Solidarität mit den von der spanischen Polizei verfolgten Basken. Viel Aufsehen erregte der Prozeß von Burgos, als General Franco dem Druck des französischen Ministers Saint-Siège nachgab und die zum Tode Verurteilten begnadigte.

Nicht selten gereichte diese Vermittlerrolle den Nordbasken zum Nachteil. So haben die spanische und die französische Polizei seit 1984 ihre Zusammenarbeit stetig verstärkt. In jenem Jahr hatte das damals sozialistisch regierte Frankreich unter Mißachtung des Asylrechtes und seiner üblichen Handhabung sämtliche baskischen Flüchtlinge an Spanien ausgeliefert, mit der fadenscheinigen Begründung, Spanien sei inzwischen eine Demokratie. In der Euskadi Nord herrscht seitdem ein eigenartig angespanntes Klima. Die illegalen Machenschaften mancher spanischen Polizisten, die aktiv von der französischen Regierung unterstützt wurden, kompromittierten auch die sozialistische Regierung des spanischen Ministerpräsidenten Felipe Gonzales.

Heute scheint die ETA ihre Stützpunkte außerhalb der Euskadi Nord zu finden. Vielleicht in der Bretagne, wie die offiziellen Stellungnahme der Polizei zu dem Diebstahl von acht Tonnen Sprengstoff in Plèvin nahelegt. An dieser Operation soll die militante bretonische Unabhängigkeitsbewegung Emgann beteiligt gewesen sein. Dennoch ist deren Stabschef inzwischen heimlich, still und leise wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Was halten die Nordbasken von der ETA? Sicherlich mißfällt ihnen, daß die Untergrundorganisation im öffentlichen Bewußtsein immer wieder mit dem Baskenland gleichgesetzt wird. Zu spüren ist auch ein gewisser Überdruß, ein Bedauern darüber, daß die Autonomie verspielt wird, die sich unter der Ägide des PNV in drei der vier baskischen Provinzen auf spanischem Staatsgebiet anbahnte. Ist es bloße Vorsicht oder eine bewußte Weigerung, die die Nordbasken davon abhält, die Aktivitäten der ETA zu verurteilen? Ihre Stummheit scheint eher einer abwartenden Haltung zu entspringen.

Die ETA – Euskadi Ta Askatasuna (Euskadi und Freiheit) – beruft sich wie die IRA auf die sozialistische Revolution, den Klassenkampf und die nationale Befreiung. Entstanden ist sie 1958 aus den Forderungen junger militanter Nationalisten, die die Zurückhaltung des PNV satt hatten. Zunächst tat die ETA sich im bewaffneten Kampf gegen die Franco-Diktatur hervor. Die gesamte Linke feierte sie als Schwert des Antifaschismus. Ihr größter Erfolg ist bis heute unvergessen geblieben: die Ermordung Admiral Luis Carrero Blancos, Premierminister unter Franco und dessen rechte Hand, mitten in Madrid am 20. Dezember 1973. Der Kampf der ETA gegen das Franco-Regime wurde von beiden Seiten mit extremer Gewalttätigkeit geführt. Im Namen der spanischen Einheit duldete seine Regierung keinerlei Opposition – schon gar nicht seitens baskischer "Separatisten", die während des Bürgerkriegs für die Republik gekämpft hatten. Daher behandelte sie die ETA mit einer Brutalität, die an Unmenschlichkeit grenzte.

Die heutige ETA gefällt sich im Nachruhm dieser Schlachten. Sie besteht auf ihrer Forderung nach Unabhängigkeit und weigert sich, sich mit dem Autonomiestatus zufriedenzugeben, die die Madrider Regierung dem Baskenland zugesteht. So ist sie sich auch nicht zu schade, die vom PNV gestellte baskische Regierung in Mißkredit zu bringen, die sie von jeher der "geistigen Kleinbürgerlichkeit" bezichtigt. Im Dezember 1999 brach sie den unbefristeten Waffenstillstand von Lizarra, den ihr politisches Aushängeschild Herri Batasuna mit den gemäßigten Parteien, darunter dem PNV , ausgehandelt hatte, um ihre blutigen Attentate fortzusetzen. Handelt es sich um einen aus dem Ruder gelaufenen revolutionären Anachronismus? Oder etwa doch um Manipulation? Nichts ist leichter, als Untergrundorganisationen zu manipulieren.

Aber was sind dann die wahren Ziele der ETA? Mit Madrid zu verhandeln, um die Souveränität zu erreichen? Die Analysten verrennen sich in bloße Spekulationen. Nur eins scheint sicher: Die Organisation, die ständig ausgehoben wird, hat keinerlei Mühe, Nachwuchs zu rekrutieren. Zu stark ist die Anziehungskraft, die sie auf die baskische Jugend ausübt. Auch um diese Faszination wissen die Nordbasken.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen