© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Ratifizierung auf der langen EU-Bank
Schweiz: Die EU bestraft den potentiellen Nettozahler und EU-Beitrittsverweigerer mit sanftem Druck
Ulrich Schlüer

Während die Schweiz die bilateralen Verträge mit der EU per Referendumsabstimmung bereits vor sieben Monaten genehmigt hat, verschleppt sich der Genehmigungsprozeß innerhalb der EU weiter. Ursprünglich wollte die Schweiz die bilateralen Verträge per 1. Januar 2001 in Kraft setzen. Inzwischen ist dieser Termin auf den 1. Juli 2001 verschoben worden.

Trotzdem kann er nicht eingehalten werden. Einige EU-Staaten verzögern das Ratifizierungsverfahren demonstrativ. Die Schweiz wird noch Monate auf Brüssel warten müssen.

Es gehört zu den Eigenheiten der bilateralen Verträge, daß das Dossier "Freier Personenverkehr" von den 15 EU-Staaten einzeln genehmigt werden muß – was einzelne EU-Länder dazu zu verführen scheint, taktische Spiele zu Lasten der Schweiz zu inszenieren. Einige EU-Mitglieder haben Bern bereits wissen lassen, daß sie frühestens in der zweiten Jahreshälfte 2001 Zeit finden würden, sich mit den Schweizer Verträgen zu befassen.

Die offensichtliche Verzögerungstaktik läßt in der Schweiz zunehmend Befürchtungen wach werden, es könnten – bis die EU-Bereitschaft zur Ratifizierung endlich gegeben sei – noch einige Forderungen nachgereicht werden. An politische Erpressung mahnende Manöver könnten in Gang kommen.

Ungutes wird vor allem bezüglich des Bankkundengeheimnisses befürchtet. Daß diese schweizerische Einrichtung – dem Einzelnen umfassende Entscheidungsfreiheit bezüglich der Anlage seines Vermögens sichernd – den nach zusätzlichen Steuereinnahmen gierenden EU-Ländern ein Dorn im Auge ist, ist nicht neu. Ob die Ratifizierungsverzögerungen bezüglich der bilateralen Verträge tatsächlich mit einer sich in Vorbereitung befindenden EU-Attacke auf das Schweizer Bankkundengeheimnis in Zusammenhang stehen, kann zwar (noch) nicht bewiesen, aber auch nicht von der Hand gewiesen werden.

Auch die ostentative Arroganz, die deutsche Stellen in Sachen Landeanflüge zum Flughafen Zürich-Kloten via süddeutschen Luftraum gegen die Schweiz an den Tag legen, wird zunehmend mit der Verzögerung der Ratifizierung der Bilateralen in Zusammenhang gebracht: Will Deutschland mit dem Hinausschieben der Unterzeichnung der bilateralen Verträge von der Schweiz Zugeständnisse erpressen, für die es im internationalen Luftfahrtsrecht so keine Grundlage gibt?

Nichts anderes als offene Feindseligkeit schlägt der Schweiz gegenwärtig von seiten Italiens ins Gesicht. Dies, weil die Schweiz schon ab 1. Januar 2001 die Schwerverkehrsabgabe LSVA von in- und ausländischen Lastwagen erheben will, obwohl die bilateralen Verträge erst später in Kraft treten können. Italien erachtet diese einseitig von der Schweiz getroffene Maßnahme als Verstoß gegen EU-Recht. Weshalb der Schweiz bereits Straßenblockaden angedroht werden. Damit nicht genug: Schweizer Lastwagen mit bereits eingebautem LSVA-Erfassungsgerät würden, weil Italien diese Geräte als "rechtswidrig" einstuft, angehalten. Italien würde den Ausbau der "illegalen" LSVA-Geräte anordnen und das "illegale Gut" beschlagnahmen. Wahre Raubritter-Methoden, den Geist europäischer Verbrüderung eindrücklich dokumentierend.

Erneut werden schwere Fehler deutlich, welche der Schweiz in den Verhandlungen über die bilateralen Verträge mit Brüssel unterlaufen sind. Es gehört doch zum A und O jeder professionellen Verhandlungsführung, die Termine betreffend Ratifizierung und Inkraftsetzung eines ausgehandelten Vertrags im Vertrag selbst abzusichern. Das getraute sich die Schweiz gegenüber dem "großen Brüssel" offensichtlich nicht. Sie ging davon aus, mittels liebedienerisch-devoter Vorausleistung Brüssel gegenüber der Schweiz milde und zuvorkommend zu stimmen. Jetzt muß die Schweiz erfahren, wie Brüssel unser Land unwürdig zappeln läßt, bis es demnächst die eine oder andere Forderung wohl noch nachreicht.

Noch immer hat die Schweizer Regierung nicht erfaßt, daß Außenpolitik für Brüssel knallharte Interessenwahrung ist. Verhandlungsgegner, die naiv sind , werden skrupellos ausgenommen.

 

Dr. Ulrich Schlüer ist Schweizer Nationalrat aus Flaach (Kanton Zürich) und Herausgeber der Wochenzeitung Schweizerzeit.


 
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