© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Gefangene
Zeitzeugenberichte: Deutsche Soldaten hinter Stacheldraht
Wolfgang Müller

Es hätte schlimmer kommen können. Schließlich erwartet man, daß sich ein Werk über deutsche Kriegsgefangene, gedacht als Begleitbuch zur im Herbst ausgestrahlten ARD-Dokumentation, wieder einmal den allein TV-kompatiblen volkspädagogischen Vorgaben unterordnet. Doch Rüdiger Overmans, Mitarbeiter am Militärgeschichtlichen Forschungsamt Potsdam, hat sich davon wenigstens partiell freimachen können.

Trotzdem ist er bedenklich oft bereit, im einführenden Teil zu völkerrechtlichen Aspekten der Kriegsgefangenschaft BRD- Stereotype zu verwenden. Liest man etwa: "Am 10. Mai 1940 griff das Deutsche Reich Frankreich an", so ist das nicht weit entfernt von der schon gebräuchlichen Formulierung vom "deutschen Überfall" auf ein Land, das Deutschland am 3. September 1939 den Krieg erklärte.

Vollends ins Schwimmen kommt Overmans, wenn er die kriegsvölkerrechtlichen Beziehungen zwischen dem Reich und der Sowjetunion erläutert. Overmans meint, daß es, obwohl die UdSSR weder der Haager Landkriegsordnung von 1907 noch der Haager Kriegsgefangenenkonvention von 1929 beigetreten war, gleichwohl verbindliche Normen, etwa die "allgemeinen Regeln des Kriegsvölkerrechts" gab, über deren Anwendung man sich nur nicht einigen konnte. Zumal eben ein "Vernichtungsfeldzug" geführt werden sollte, was nichts besser belege als Hitlers "Kommissarbefehl". Die schon in den ersten "Barbarossa"-Tagen an deutschen Gefangenen verübten Greueltaten und die 1940 angeordnete Ermordung polnischer Offiziere (Katyn) zeigen aber, daß sich Stalin nie "an allgemeine Regeln" hielt. Verharmlosend heißt es dazu bei Overmans: "Auch auf russischer Seite war es zur Ermordung deutscher Kriegsgefangener gekommen. Die russischen Befehlshaber versuchten allerdings solche Vorkommnisse zu verhindern ..."

Wer solche Kommentare überliest, ist mit Overmans’ Opus gut bedient. Denn zumeist bietet es nicht des Autors Meinungen, sondern ausführliche Zeitzeugenberichte: eindrückliche Stacheldrahterfahrungen der Kriegsjahrgänge 1918 bis 1926. Wolfgang Müller

 

Rüdiger Overmans: Soldat hinter Stacheldraht. Deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs. Propyläen, Berlin 2000, 288 Seiten, 135 Abb., Karten, 39,90 Mark


 
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