© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    03/01 12. Januar 2001

 
Österreich, Haider und die FPÖ
von Norbert Leser

Der Hauptvorwurf, der gegen Haider und die von ihm geführte und groß gemachte FPÖ von allen Seiten erhoben wird, ist der, einen autoritären bis faschistischen Kurs zu steuern, der mit der Demokratie westlichen Zuschnitts unvereinbar ist. Doch wenn man sich nicht nur mit Schlagworten begnügen, sondern der Sache auf den Grund gehen will, ergibt sich ein viel differenzierteres Bild. Wenn man fragt und ernstlich prüft, wie es denn in der SPÖ mit der Demokratie bestellt ist, kann man nicht übersehen, daß die Willensbildungsprozesse in ihr von oben nach unten verlaufen und durch die Vorentscheidungen einer kleinen Oligarchengruppe, zu der Heinz Fischer als ständiges und alle, aber auch alles überdauerndes Mitglied gehört, präjudiziert werden. Unter Vranitzky und seinem Nachfolger Klima ist die SPÖ zu einem Kanzlerwahlverein herabgesunken, der dem obersten Stimmenbringer akklamierte.

Kenner der Situation berichten, daß es in den letzten Jahren, ja im letzten Jahrzehnt, so gut wie keine Kampfabstimmungen, ja überhaupt keine formellen Abstimmungen in den Gremien mehr gab, sondern die Berichte des "großen Vorsitzenden" einfach zur Kenntnis genommen wurden. Eine so entscheidende Frage wie die des Beitritts zur EU wurde nie ausführlich diskutiert und nach einem der Bedeutung der Entscheidung angemessenen Willensbildungsprozeß angenommen, ganz im Gegenteil: sobald sich die Führung der SPÖ zur Bejahung dieses Schrittes durchgerungen hatte, übte sich die Gefolgschaft in Gehorsam, kritische Stimmen wurden durch die Überrumpelungstaktik der Führung im Keime erstickt und erhoben sich denn auch in weiterer Folge nicht, so daß Persönlichkeiten, die mit dem Beitritt zur EU nicht einverstanden waren, innerhalb der Partei aber keine Möglichkeiten der Artikulation ihres abweichenden Standpunktes hatten, die Partei verließen, wie der Professor der Nationalökonomie Erwin Weissel, der Sohn des legendären Helden und Schutzbundführers Georg Weissel im Februar 1934, der damals sein Leben lassen mußte. Die Abstimmung über den Beitritt zur EU im Juni 1994 ergab zwar eine Zweidrittelmehrheit für den Beitritt, unter dem ablehnenden Drittel und den Nichtwählern befanden sich aber überdurchschnittlich viele Sozialdemokraten, die vorher keine Möglichkeiten hatten, ihrer Ablehnung Ausdruck zu verleihen.

Jörg Haider, obwohl selbst ein erklärter Gegner des Beitritts unter den damaligen Bedingungen, ging mit der heiklen Materie so um, daß er einen außerordentlichen Parteitag nach Villach einberief, wo es in geheimer Abstimmung die Möglichkeit gab, sich für oder gegen den Beitritt auszusprechen. – Wer hat nun die innerparteiliche Demokratie besser behandelt und ihr wenigstens eine formelle Chance gegeben? Es ließen sich noch andere Beispiel anführen, um darzutun, daß die SPÖ nicht weniger, sondern mehr eine Führerpartei war als die FPÖ. Im übrigen ist es für die Aufbauphase einer Partei wichtig und günstig, wenn die Entscheidungen in einer Person zusammenlaufen und sich noch nicht jene zentrifugalen Tendenzen zeigen, mit denen jede Partei früh genug konfrontiert wird. Der Unterschied zwischen SPÖ und FPÖ liegt also nicht in der demokratischen bzw. autoritären Struktur, sondern darin, daß die SPÖ zunehmend erfolglos praktizierte, die FPÖ aber immer mehr vom Erfolg begünstigt war. (…)

Im Falle Jörg Haiders kommt freilich ein komplizierendes Moment hinzu, nämlich die Tatsache, daß Haider nicht nur autoritäre Züge aufweist, sondern für seine Anhänger eine Art charismatische Persönlichkeit ist, eine Persönlichkeit, die sich mit Recht für erkoren halten darf, als positive und negative Symbolfigur zu fungieren. Max Weber unterscheidet in seiner Typologie der Herrschaft drei Typen der Legitimation: die traditionelle, die legal-rationale und die charismatische. In der Demokratie existiert im allgemeinen nur das legal-bürokratische Element, das sich in einem modernen Rechtsstaat mit Gewaltentrennung verkörpert. Die charismatische Herrschaft steht quer zur demokratischen Struktur und stellt ein besonderes Problem für sie dar. Denn die charismatische Herrschaft kann tatsächlich zur Diktatur führen und das demokratische System ersetzen, wie es im Faschismus der Fall war. Es besteht aber auch die Möglichkeit, als Enklave und Ergänzung in einer funktionierenden Demokratie zu existieren und deren Schwächen positiv zu kompensieren. Solche charismatischen Persönlichkeiten treten in Demokratien immer wieder auf und müssen ihnen nicht zum Unheil ausschlagen. (…)

Ich habe schon vor drei Jahren, am 12. August 1997, in der FAZ einen Vergleich angestellt, den ich nach wie vor für richtig halte, ja der sich heute unter neuen Aspekten bestätigt. Ich habe die Persönlichkeit und das Wirken Jörg Haiders mit denen Martin Luthers verglichen. Bei aller Unterschiedlichkeit der historischen Größenordnung gibt es doch Parallelen, die zum besseren Verständnis Haiders, aber auch der gegenwärtigen Situation beitragen. Die Vergleichsmomente liegen meines Erachtens zunächst schon in den Voraussetzungen der historischen Wirksamkeit und des Wirksamwerdens. Luther wäre nie groß geworden, wenn ihm der Ablaßhandel, der in der katholischen Kirche neben vielen anderen Mißständen und Mißbräuchen florierte, nicht die Handhabe für einen Kampf zur Erneuerung der Kirche geboten hätte. Wäre Luther etwas demütiger und die Kirche etwas weitblickender und nachgiebiger gewesen, wäre Luther mit all seinen Qualitäten zu einer Leuchte der katholischen Theologie und später vielleicht sogar heiliggesprochen worden. Auch Haider hätte sich in die bestehenden demokratischen Strukturen integriert und hätte eine große, systemkonforme Rolle spielen können, wenn die Strukturen nicht so erstarrt und verkrustet gewesen wären, wie sie es in der großen Koalition aber eben waren. Der nächste vergleichbare Punkt ist die Demagogie, die Luther wie Haider als Waffe einsetzen mußten, um sich überhaupt Gehör zu verschaffen und eine Gefolgschaft um sich zu scharen. Luther wäre ohne dieses derb-demagogische Element nie massenwirksam geworden, sondern wäre in engen Kreisen etablierter Theologen geblieben und vielleicht auch noch verbrannt und nicht bloß verbannt worden. Auch Haider mußte sich einer starken Sprache bedienen, um die lethargischen Massen aufzurütteln und auf die Fehler des Systems aufmerksam zu machen.

Luther haben die päpstlichen Bannflüche und kaiserlichen Edikte, die gegen ihn erlassen wurden, ebensowenig geschadet wie Haider die Ausgrenzungen seiner leichtgewichtigen politischen Gegner. Luther zog sich auf die Wartburg unter dem Schutz eines Landesfürsten zurück und führte den Decknamen Ritter bzw. Junker Jörg. Haider ist in der besseren Lage, als Landeshauptmann von Kärnten sein eigener Schutzschild zu sein.

Luther wie Haider haben das Land gespalten und dennoch, ja gerade deswegen den Einzug in die Arena des Erfolges geschafft. Das Problem, vor dem Haider jetzt steht, ist dem, mit dem auch Luther gerade aufgrund seiner Erfolge konfrontiert war, ähnlich. Es ist schwer, den Erfolg zu erringen, aber noch schwerer, ihn zu erhalten und nicht in fremde Hände abgeben zu müssen oder zusehen zu müssen, wie sich neue Kräfte vom Ursprung emanzipieren. Jeder erfolgreiche Führer sieht sich vor das Dilemma gestellt, entweder von der Eigendynamik der entfesselten Bewegung abgelöst zu werden, mit dem Risiko, daß das geschaffene Werk und die es begleitenden Personen ganz andere Wege gehen als vordem, oder die Zügel so lange wie möglich in der Hand zu behalten, mit dem Risiko, nach dem eigenen Abgang eine kopflose Partei zurückzulassen. In der konkreten österreichischen Situation könnte dies bedeuten, daß Haider die Größe haben müßte, das erwachsen gewordene Kind ziehen und seine eigenen Wege gehen zu lassen oder die Koalition zu gefährden, mit der Wirkung, daß die FPÖ auf unabsehbare Zeit nicht mehr Regierungsmacht ausüben kann. Dem politischen Genius oder Dämon Haiders ist es zuzutrauen, das scheinbar Unmögliche zustande zu bringen: der FPÖ die große Stärke zu erhalten, die sie in die Regierung gebracht hat, ohne daß es zu einem Koalitionsbruch kommt. Die Koalition zwischen FPÖ und ÖVP ist hauptsächlich von innen her gefährdet, sie kann nur zerbrechen, wenn einer der beiden Partner die Geduld mit dem anderen verliert. Dies könnte der Fall sein, wenn die FPÖ auf einen Konfrontationskurs mit der EU drängt, den die ÖVP nicht mitmachen kann. Jedenfalls verspricht die Zukunft sehr spannend zu werden und für Überraschungen gut zu sein. (…)

Eine nicht unerhebliche Komponente, die die Sachlage bis zur Undurchschaubarkeit kompliziert, ist die durch die Sanktionen der EU geschaffene Verquickung von Innenpolitik und Außenpolitik. Durch die Sanktionen gegen Österreich und die Debatte darüber ist das Problem, das sich seit der Regierungsbeteiligung der FPÖ stellt, kein auf Österreich beschränktes mehr. Um zum Vergleich mit Luther zurückzukehren: Der Funke der Reform und ihrer Abwehr ist auch auf andere Länder übergesprungen und hat damit eine europäische Dimension erreicht, die wiederum mit der Verbreitung der Reformation in anderen Ländern als dem Ursprungsland verglichen werden kann. Es bleibt zu hoffen, daß sich die Organe der EU flexibel zeigen und nicht alle Bestrebungen, der direkten Demokratie in ihrem Bereich mehr Geltung zu verschaffen, im Keime zu ersticken versuchen, so wie der päpstliche Zentralismus im Zeitalter der Reformation, aber auch später und gerade heute nicht zu einer Stärkung, sondern zu einer Schwächung der Kirche führte. Jörg Haider ist kraft dieser Globalisierung möglicherweise eine neue, europäische Rolle zugefallen, als Katalysator nationaler Sonderbestrebungen in den einzelnen Ländern zu fungieren. Der Konflikt zwischen Haider und der EU ist nicht bloß der vordergründige des angeblichen Rechtsradikalismus, sondern der idealtypische einer zentralen Bürokratie, die sich durch jede charismatische und nationale Erscheinung herausgefordert und bedroht sieht.

Die Gefahr einer solchen Entwicklung ist, das erreichte europäische Einigungswerk in Frage zu stellen und partikularen Interessen zu opfern, die Chance besteht umgekehrt darin, der direkten Demokratie und der Vielfalt, die durch die Brüsseler Bürokratie erstickt zu werden drohen, einen Weg zu bahnen, der das europäische Einigungswerk nicht rückgängig macht, aber mit neuem Geist und Inhalt erfüllt. (…)

Der italienische Historiker Angelo Tasca hat in einem Werk über den italienischen Faschismus dessen Großwerden und Sieg 1918 – 1920 aus dem Versagen der sozialistischen Kräfte, die ihre Chance nicht genutzt hätten, abgeleitet. An der Person des einstigen Sozialdemokraten und späteren Faschistenführers Benito Mussolini ist dieser Prozeß der Abwendung von dem politischen Ursprungsort festzumachen, denn Mussolini war schließlich Chefredakteur des sozialistischen Zentralorgans Avanti. Tasca geht so weit, in dem Wirken des Faschismus eine "Ersatzvornahme" dessen zu erblicken, was vorher versäumt wurde und so erst die Rechte auf den Plan gerufen hat. Auch für Österreich bieten sich solche Vergleiche an, die zwar die freiheitliche Bewegung nicht zum Faschismus stempeln, aber erklärlich machen, warum einige ihrer Züge mit dem Faschismus parallelisiert werden können. Ein konkretes Beispiel für diese "Ersatzvornahme" ist der Versuch Jörg Haiders, in seiner Partei eine Gehaltsbegrenzung der Funktionäre nach oben durchzusetzen. Eigentlich wäre es schon längst die Aufgabe der Sozialdemokratie gewesen, eine solche Regelung in den eigenen Reihen herbeizuführen, ist die Sozialdemokratie doch unter dem Banner der Gleichheit und der Aufhebung des Unterschiedes zwischen arm und reich angetreten. (…)

Hat die FPÖ nur von allen diesen Fehlern profitiert, ohne in der Lage zu sein, auf Dauer etwas Besseres zu bieten und zu machen? Sollte dies der Fall sein, würde sie bald aus der Parteienlandschaft verschwinden wie der Poujadismus in Frankreich oder gespalten werden wie die Steuerpartei Glistrups in Dänemark.

Was jedoch zu der Hoffnung berechtigt, daß sich die FPÖ neben den anderen Parteien auf Dauer etabliert und im politischen Spiel bleibt, ist die Tatsache, daß Haider – was viele seiner Kritiker, die ihn nach wie vor ins rechtsradikale Eck stellen wollen, übersehen – das Lager, das er bei seinem Antritt als Parteiobmann vorgefunden hat, zu einer ganz neuen Kraft eigener Art transformiert hat, die man nicht mehr als "rechtsradikal" abtun kann. Denn Haider hat, wie schon gezeigt wurde, auch durchaus linke Forderungen, wie die Begrenzung des Einkommens der Funktionäre, aufgegriffen. Die alten Nazis und Ewiggestrigen, die ihn nicht allein, aber doch wesentlich beteiligt, an die Spitze der Partei gebracht haben, stellten einen Machtfaktor dar, den Haider nicht ignorieren konnte, wenn er überhaupt Fuß fassen wollte, bevor es zur Verbreiterung seiner Basis kam. Er hat viele Signale an diese Personengruppe ausgesendet, was nicht nur politischer Opportunität, sondern wohl auch seiner damaligen Überzeugung entsprach.

Aus einem nationalsozialistisch gefärbten Elternhaus stammend und in deutschnationalen Burschenschaften sozialisiert, hat Haider viele Vorurteile dieses Lagers übernommen. Dies erklärt einige seiner Aussprüche, die ihm immer wieder vorgehalten werden und die im Interesse seiner Langzeitwirkung besser unterblieben wären. Es scheint mir aber unfair zu sein, einem Politiker lebenslänglich Sager vorzuwerfen, die längst nicht mehr seinem Erkenntnisstand und auch nicht seinem politischen Wollen entsprechen. Mir hat sehr gut gefallen, als Haider vor Jahren in einer Radiosendung, in der er Hörerfragen beantwortete, auf die Frage, warum er sich nicht von seinen nationalsozialistisch gesinnt gewesenen Eltern distanziere, erwiderte, daß seine Eltern eben seine Eltern blieben, zu denen er stehe, und sie den Irrtum, der der Irrtum einer ganzen Generation gewesen sei, gebüßt hätten. Er sagte nicht, daß seine Eltern im Recht gewesen seien, sondern sprach deren Irrtum sehr deutlich an. Auch seine schriftlichen Stellungnahmen zum Dritten Reich lassen meines Erachtens an Deutlichkeit der Ablehnung nichts zu wünschen übrig. Mir ist kein österreichischer Politiker bekannt, der sich so eindeutig vom Nationalsozialismus distanziert hätte, wie dies Haider mit folgenden Worten tat: "Der Nationalsozialismus ist durch nichts zu rechtfertigen. Kein normaler Mensch, der im Besitz seiner fünf Sinne ist, würde dies auch nur versuchen. Keine politische Partei hat diesbezüglich ein so klares Programm wie die Freiheitlichen."

Doch wichtiger als diese Aussagen, die auch zur Irreführung der Öffentlichkeit bestimmt sein könnten, sind die konkreten Taten, die zeigen, daß die nazistische Vergangenheit und ihre Doktrin nicht mehr nachwirken. Oder wäre es in einer völkischen Partei traditioneller Prägung vorstellbar gewesen, daß ein Sprößling aus einer alten jüdischen Familie eine maßgebliche Funktion erhält? Und auch was den Deutschnationalismus anbelangt, der die Punze des alten großdeutschen Lagers, das dann fast restlos in der NSDAP aufgegangen ist, war, hat Haider der "Deutschtümelei" den Kampf angesagt. Der als Reaktion gegen die Sanktionen der EU neu erwachte österreichische Patriotismus hat das seine dazu beigetragen, die Reste des Deutschnationalismus hinwegzuschwemmen …

Ein Schatten, der auf die FPÖ fällt und den man nicht bagatellisieren darf, ist der der Fremdenfeindlichkeit, der vor allem im letzten Wiener Wahlkampf unangenehm aufgefallen ist und der FPÖ viele Stimmen gebracht, sie aber auch einige gekostet hat. Die FPÖ ist im Recht und erfüllt ihre Pflicht, wenn sie die Besorgnisse der Bevölkerung, vor allem in Bezirken, in denen viele Ausländer wohnen, ernst nimmt und auf die Probleme, die sich aus dem Zusammenleben verschiedener Mentalitäten auf engem Raum ergeben, aufmerksam macht und sich zum Anwalt dieser Besorgnisse und Anliegen macht. Sie setzt sich aber ins Unrecht, wenn sie negative Emotionen erweckt und einen schon latent vorhandenen Haß schürt, statt ihm entgegenzuwirken. (…)

In Österreich ist es zum Glück so, daß die Ausländerfeindlichkeit nur zu vereinzelten Gewalttaten geführt hat, und man kann mit Franz Olah sogar ein Verdienst Haiders darin erblicken, einem eigentlichen Rechtsradikalismus den Boden entzogen zu haben. Doch man sollte auch nicht verkennen, daß verbale Ausritte die Hemmschwelle gegen ausländerfeindliche Gefühle gesenkt haben. Die FPÖ sollte im eigenen Interesse alles tun, um den Vorwurf des Rechtsradikalismus nicht zu bestätigen und sich so Scharten ins eigene Schwert schlagen. Umgekehrt sollten auch die Gegner der FPÖ vorsichtig sein und den Vorwurf des Rechtsradikalismus nicht bestätigen. Wenn die FPÖ ihre Stärke nur Gefühlen der Fremdenfeindlichkeit verdankte, wäre es schlecht um ihre moralische Legitimation und um ihre Dauer bestellt.

Allerdings hat auch die Toleranz gegenüber Ausländern, die sich in Österreich aufhalten, Grenzen, die durch das Recht geregelt werden müssen und durch die Gewohnheit modifiziert werden können. So widerspricht die in einigen arabischen Ländern existierende Ehe mit mehreren Frauen unserem ordre public der Einehe und dem Verbot der Bigamie. Des weiteren ist aber zu erwarten und zu fordern, daß sich in Österreich lebende Ausländer, auch nach deren Einbürgerung, den hiesigen Verhältnissen anpassen und sich kulturell akklimatisieren. So hat man in Frankreich, das sich gerne als Hüterin der Menschenrechte aufspielt, den Frauen das Tragen von Kopftüchern in der Schule als Zeichen der Verweigerung der Akkulturation verboten. Außerdem darf religiöse Toleranz nicht bedeuten, daß man den Expansionsbestrebungen, vor allem des Islams, keinen Widerstand entgegensetzt und diese Bestrebungen auch noch fördern soll. (…)

Österreich braucht, da ÖVP und SPÖ in vieler Hinsicht versagt haben, eine dritte Volkspartei, da die Grünen auch ihrem Selbstverständnis nach keine Massen- und Integrationspartei sind. Hätten sich die Parteien der alten großen Koalition rechtzeitig auf ein System, das eine Ablösung von Mal zu Mal garantiert, geeinigt, müßten sie sich über die Präsenz und Konkurrenz eines Dritten Lagers keine Sorge machen. Da aber dieses Lager nicht zuletzt durch die Versäumnisse der alten Parteien groß geworden ist, kann man es weder durch Ausgrenzung noch durch andere Maßnahmen ungeschehen machen. ÖVP und insbesondere die SPÖ wären gut beraten, nicht wie gebannt auf verbliebene "braune Flecken" am Kleid der FPÖ zu starren und sich damit einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den von der FPÖ entwickelten Vorstellungen zu entziehen. Auch die wirklichen dunklen Flecken, die die FPÖ aufweist, sollten kein Hindernis sein, sie ernst und für voll zu nehmen. Denn mit einigem Wohlwollen kann man die Rosenstingl-Affäre und ähnliche Erscheinungen als Wachstumserscheinungen und Kinderkrankheiten betrachten, während sie bei den anderen Parteien bereits Alterserscheinungen darstellen und gleichsam zum System gehören. (…)

 

Norbert Leser ist österreichischer Parteienkritiker. Bei seinem Text handelt es sich um einen stark gekürzten Auszug seines Beitrages in dem von Lothar Höbelt herausgegebenen Buch "Republik im Wandel. Die große Koalition und der Aufstieg der Haider-FPÖ", das soeben im Universitas Verlag, München, erschienen ist.


 
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