© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
Politikerkarrieren
Die richtige Seite der Barrikade
Dieter Stein

Joschka Fischers Zeugenvernehmung im Prozeß gegen den mutmaßlichen Terroristen und Fischer-Weggefährten Hans-Joachim Klein in Frankfurt am Main hat das Thema "Biographien und Jugendsünden" zum beliebten Diskussionsstoff werden lassen. Es werden literweise Krokodilstränen vergossen über harte Jugendtage, von denen man sich nun meilenweit entfernt haben will.

Warum sollte Joschka Fischer schließlich in unserer lustigen Republik über hie und da vermöbelte Polizisten stürzen? Er ist doch nur Außenminister und nicht der Bundestrainer der Fußballnationalmannschaft! Na, und der von einem Molotow-Cocktail am 10. Mai 1976 lebensgefährlich verletzte Polizist Jürgen Weber wird sich unter dem sanften Druck der kritischen Öffentlichkeit vielleicht noch dazu freundlich nötigen lassen, die vom größten Sponti-Feldherren aller Zeiten, Fischer, über Medien verbreitete Pauschalentschuldigung anzunehmen, wie es auch schon der verdroschene Polizist getan hat – ein nach wie vor offenes Strafverfahren wegen versuchten Mordes gegen Unbekannt hin oder her. Hauptsache ist wohl nicht, ob Fischer seine Gewalttaten eingesteht und was er dazu sagt, sondern daß er inzwischen auf der richtigen Seite der "Barrikade" (Ex-Bild-Chef Peter Boenisch) steht. Joschka Fischer steht zur "westlichen Wertegemeinschaft", mit anderen Worten erkennt die amerikanische Vorherrschaft in Europa an, schickte die Bundeswehr auf dem Balkan in ihren ersten Angriffskrieg – das muß als Wiedergutmachungsmaßnahme genügen. Also steht das Establishment, die Repräsentanten des "Schweinesystems" (Sponti-Jargon der siebziger Jahre) zum Überläufer Fischer.

Besagter Bild-Kempe Boenisch, zu Zeiten der Studentenunruhen Chef der Springer-Boulevardzeitung, die als Inbegriff des "faschistischen Schweinesystems" der BRD angegriffen wurde, deren Druckereien und Redaktionen überfallen und angezündet wurden, erklärt nun die damaligen Auseinandersetzungen fröhlich zu einem Armdrücken zwischen gleichwertigen Kontrahenten: "Ich will sagen, daß wir von verschiedenen Punkten aus das gleiche Ziel hatten. Er hat Steine genommen. ich war nicht sehr wählerisch mit meinen Worten. Ich zähle nicht seine Steine und widerkäue nicht meine Worte."

Es sind Personen des öffentlichen Lebens schon über läppischere Dinge gestolpert und auf Nimmerwiedersehen von der Bildfläche verschwunden. Auch wenn sie noch so überzeugend dargetan haben, daß sie sich geändert haben, und begangene Fehler überzeugend verurteilen. Ja, es sind schon Politiker zum Rücktritt gezwungen worden, obwohl sie sich überhaupt nichts haben zuschulden kommen lassen. Nehmen wir den Bundestagspräsidenten Philipp Jenninger, der 1988 wegen einer von der Opposition und linken Medien absichtlich mißverstandenen Rede zum Volkstrauertag gemobbt und von seiner Partei, der CDU, wie eine heiße Kartoffel fallen gelassen worden war. Mal sehen, was aus Fischer wird ... Nato-Generalsekretär?


 
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