© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
Wenn ein gutgemeinter Aufkleber zum Eigentor wird
Sachsen-Anhalt: Aufkleber der "Aktion Noteingang" soll das US-Außenministerium zu einer Warnung vor dem Besuch neuer Länder bewogen haben
Steffen Königer

Was als antirassistische und antifaschistische Aktion in Brandenburg begann, wird nun in Sachsen-Anhalt mit staatlichem Segen versehen. Die "Aktion Noteingang", die von einer Bernauer Jugendgruppe gegründet wurde, sollte sich im Inhalt an eine Berliner Initiative anlehnen. Treibende Anlässe seien, läßt sich im Internet auf der Netzseite http://www.djb-ev.de/noteingang   nachlesen, vor allem im Sommer 1998 stattgefundene "rassistische und faschistische Angriffe auf Ausländer" gewesen. Dann sollten sich Laden- und Gaststätteninhaber, Tankstellenbetreiber, Filialleiter und Verantwortliche für Kultur-, Kirchen- und Sozialeinrichtungen Aufkleber in den Eingangsbereich heften, auf denen in deutsch, polnisch und französisch zu lesen ist: "Wir bieten Schutz und Information bei rassistischen und faschistischen Übergriffen." Denn, so heißt es weiter auf der Seite: "Viele Menschen, die nicht in das Weltbild der Neonazis passen, leben zur Zeit in ständiger Angst, auf offener Straße von diesen angegriffen zu werden ..."

Diese in großem Übereifer verklebten "Hinweise" scheinen nun das Gegenteil zu bewirken: Sie sorgen nicht nur für politisch-korrekte Aufmerksamkeit, sondern sorgten offenbar für besondere Warnhinweise von Reiseunternehmen in den USA. Dort wird bereits seit 1998 vor der "gewalttätigen Bevölkerung" der neuen Bundesländer gewarnt.

Im September vergangenen Jahres bekam die "Aktion Noteingang" den Aachener Friedenspreis zugesprochen, der jährlich an Personen oder Organisationen verliehen wird, die zur "Verständigung der Völker und Menschen untereinander" beitragen. Der Ministerpräsident von Brandenburg, Manfred Stolpe (SPD), bedankte sich in einem Schreiben anläßlich dieser Preisverleihung bei dem Mitinitiator Knut-Sören Steinkopf für dessen "Engagement zum Schutz bedrohter Mitmenschen".

Am 9. Januar hat sich nun auch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt mit dieser Initiative beschäftigt. Nach Angaben von Ministerpräsident Reinhard Höppner (SPD) erachtet man es für notwendig, auch an öffentlichen Gebäuden solche Aufkleber anbringen zu lassen. Die Aktion sei wichtig im Kampf gegen den Rechtsextremismus, denn "Bürger zu schützen, die von Schlägern akut bedroht werden, ist ein Gebot der Menschlichkeit", so Höppner verteidigend.

Auch die evangelische Kirche beteiligt sich an der Aktion, wie Superintendentin Waltraut Zachhuber verkündete. Dem widersprach der Stadtrat Wolfgang Kupke (CDU) aus Halle vehement, seien Kirchen doch immer Noteingänge, und das Kreuz das Zeichen dafür, welches jeder verstünde. In der Stadt Halle sorgte die SPD-Oberbürgermeisterin Ingrid Häußler als Schirmherrin dafür, daß die Plakate und Aufkleber mittlerweile an fast 150 Geschäften zu sehen sind. In Sachsen-Anhalt sind diese in vier Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch und Russisch) ausgestaltet.

Darauf reagierten die Jungen Liberalen in der Saale-Stadt. Der Landesvorsitzende der JuLis, Peter Kehl, hat mit einem Internetartikel auf der Hallensischen Internetseite der FDP die Aktion als Ausuferung von linkem Aktionismus bezeichnet, der einen touristischen Schaden für das ganze Land bedeute. Denn seit Beginn dieser Aktion, so der JuLi-Chef, warne das US-Außenministerium vor einem Besuch der Städte Magdeburg und Halle, so der JuLi-Chef.

Demnächst ist auch Dessau auf dieser Liste, wie ein Sprecher der Stadtverwaltung vor kurzem dem MDR mitteilte. Dabei kam auch das Bedauern der Stadt zum Ausdruck, daß die Resonanz unter Ladeninhabern bisher so gering gewesen sei.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende und vormalige Ministerpräsident Sachsen-Anhalts, Christoph Bergner, zeigte Verständnis für die Kritik der Jungen Liberalen. Dadurch schade man dem Ansehen Sachsen-Anhalts und suggeriere bürgerkriegsähnliche Zustände, die es nicht gebe, so Bergner. Dies nahm der 28jährige PDS-Fraktionsvorsitzende Matthias Gärtner zum Anlaß, Bergner vorzuwerfen, er würde rechtsextreme Parteien "im Schnellzugtempo rechts überholen" wollen und auch das Ansehen des Landes gefährden.

Es bleibt stark in Zweifel zu ziehen, daß sich Gewalttäter an Öffnungszeiten von Läden oder Ämtern halten. Unklar ist auch, ob künftig denen, die "nur" einem "ganz normalen" Raubüberfall zum Opfer fallen, dieselbe Aufmerksamkeit gewidmet wird.


 
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