© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
Lech Walesa wäre jetzt überflüssig
Schiffbaukrise: Die Danziger Werft will sich gesundschrumpfen
Paul Leonhard

Danzig – Trennschleifer kreischen ohrenbetäubend. Hammerschläge erklingen. Es knirscht, rattert und funkt. Dann schrillt plötzlich, alles andere übertönend, ein Klingeln über den Kai. Einer der grünen Monsterkräne setzt sich langsam in Bewegung und rollt auf Schienen zum Rumpf eines Schiffes. Die Männer an den Preßlufthämmern unterbrechen ihre Arbeit und treten schweigend beiseite, schauen fasziniert dem herannahenden Riesen entgegen.

In der Danziger Werft werden gegenwärtig nicht nur neue Schiffe gebaut, sondern es wird auch abgerissen. Man paßt sich den neuen Erfordernissen an. Und die heißen vor allem Konzentration. Rund 140 Hektar groß ist gegenwärtig der Schiffbauplatz von Danzig. Ein unübersichtliches Gelände. Kopfsteinpflaster führt an leerstehenden Backsteinbauten vorbei. Unkraut wuchert. Schienenstränge führen ins Nichts.

In den siebziger Jahren war die damalige Lenin-Werft der Arbeitsplatz für 17.000 Männer und Frauen. Fischereitrawler für die Sowjetunion und andere RGW-Staaten wurden hier gebaut. Sehr teuer und wenig effektiv. "Das ändert sich bald", verspricht der heutige Werftdirektor Bogumil Banach. Er deutet auf eine große Karte in seinem Büro. Auf ihr haben technische Zeichner die Zukunft entworfen: Die Werft soll sich auf die 65 Hektar große Insel konzentrieren. Und auf dem anderen bisherigen Betriebsgelände soll ein neuer Stadtteil entstehen. Eine Symbiose aus denkmalgeschützten Industriegebäuden und postmodernen Neubauten im amerikanischen Design stellt sich Banach vor. Er schwärmt von Hotels, Boutiquen und einem Konferenzzentrum. Behörden, Banken, Versicherungen und Technologiezentren sollen sich hier ansiedeln. Und vor allem Kultur. Die staubigen Werksstraßen sollen in geschwungene Spazierwege verwandelt werden. "In die alte Schmiede könnte eine Kneipe einziehen", sinniert Banach. Und natürlich werde es einen Jachthafen.

Erste Entwürfe lägen bereits in den Schubladen, versichert der Direktor. Die einzige offene Frage sei, ob sich genügend finanzkräftige Investoren finden, um die polnischen Pläne Wirklichkeit werden zu lassen. Denn nur mit dem Verkauf des Geländes an Bauherren läßt sich der "Rückzug" der Werft und die notwendige Modernisierung finanzieren. Ungefähr hundert Millionen Dollar werde das Vorhaben kosten, hat Banach ausrechnen lassen: Dann aber werde die Stocznia Gdanska wieder im internationalen Wettbewerb mitreden können.

Lange Zeit hat sich die Danziger Werft schwergetan, den Anschluß an die neue Zeit zu finden. Hier, wo die Entlassung der Arbeiterin und Solidarnosc-Mitgründerin Anna Walentynowicz am 14. August 1980 zu einem Ausstand der Werftarbeiter geführt hatte und der Elektriker Lech Walesa sich an die Spitze des Streiks stellte, der letztlich zum Zusammenbruch der sozialistischen Staatengemeinschaft führen sollte, hier verhinderte die freie Gewerkschaft den Fortschritt. "Die Solidarnosc hat alle notwendigen Modernisierungsschritte verhindert", sagt Banach, der selbst von 1980 bis 1981 Gewerkschaftsmitglied war. Die Entwicklung der polnischen Werften Danzig, Gdingen und Stettin im vergangenen Jahrzehnt sei vor allem von der Einstellung der jeweiligen örtlichen Gewerkschaftsleitung zur Marktwirtschaft abhängig gewesen, sagt der Sejm-Abgeordnete und frühere Privatisierungsminister Lewandowski. In Stettin und Gdingen hätte die Solidarnosc mit ihren Führern Janusz Sniadek bzw. Longin Komatowski (bis vor kurzem stellvertretender Ministerpräsident) bei der Umgestaltung kooperiert und sogar radikale Entlassungen mitgetragen. In Danzig dagegen habe man lange Jahre mit der Regierung gestritten, erinnert Banach. Das Ergebnis sei der Niedergang der Werft gewesen.

Vor vier Jahren mußte das traditionsreiche Schiffbauunternehmen schließlich Konkurs anmelden. Im August hatte es einen Schuldenberg von 140 Millionen Dollar angehäuft. Die Werft wurde schließlich von der Grupa Stocni Gdynia SA übernommen. Denn die Werft Gdingen war inzwischen nicht nur erfolgreich privatisiert, sondern auch stark genug, die Danziger Werft zu übernehmen. Das Bravourstück ist vor allem das Werk von Janusz Szlanta. Der ehemalige Wojewode von Radom, einer Industriestadt südlich von Warschau, hatte sich mit der Logistik vergleichbarer europäischer Werften beschäftigt. Als der erste Privatisierungsversuch in Gdingen zu scheitern drohte, nutzte er seine Beziehungen zu verschiedenen Banken und übernahm mit ihrer Hilfe die Werft. Szlanta habe auch Anteile an die Werftarbeiter verkauft, erzählt Ex-Minister Lewandowski: "Die Mitarbeiter sind auch Mitbesitzer." Inzwischen ist die Grupa Stoczni Gdynia SA so stark, daß sie die finnische Massaja-Werft übernehmen will. Deutsche und polnische Banken seien bereit, Kredite auszureichen, versichert Lewandowski: "Die Expansion läuft."

Den eigentlichen Durchbruch in der polnischen Werftindustrie haben aber die Stettiner ausgelöst. Ihnen ist etwas gelungen, an das zuvor niemand geglaubt hat; "Die haben uns vorgemacht, daß Schiffbau auch ohne staatliche Subventionen möglich ist", sagt Banach voller Anerkennung. Als nächste gingen die Schiffbauer von Gdingen diesen Weg. Damals sei er sehr skeptisch gewesen, ob dieses Vorhaben auch in der hochspezialisierten Werft an der Danziger Bucht gelingt, räumt der Schiffbauingenieur ein. An einen rentablen Schiffbau ohne staatliche Unterstützung habe er nicht geglaubt. Aber das Problem wurde gemeistert. Banach, der zwei Jahrzehnte in Gdingen gearbeitet hat, soll nun das Tochterunternehmen in Danzig auf den richtigen Kurs bringen. "Hier soll künftig allein die Ökonomie regieren", sagt der Mann, der sich vom Meister über den Produktionsleiter zum Danziger Vorstandschef emporgearbeitet hat. Die Vorgaben für die Werft, in der derzeit 3.500 Menschen arbeiten, sind streng. "Im kommenden Jahr müssen wir den Break-even erreichen", sagt Banach ernst. Noch übernimmt die Mutter in Gdingen das Marketing mit und liefert Material wie Schweißelektroden. Bald muß aber die Werft Danzig auf eigenen Füßen stehen, und dafür benötigt sie dringend Investoren. Der Manager setzt auf den schnellen Beitritt Polens zur Europäischen Union. Ein vereinigtes Europa sei auf Dauer die einzige Chance, gegen die ostasiatische Konkurrenz zu bestehen. Die Werften Europas müßten sich die Nischen teilen, was eine hohe Spezialisierung und Qualität verlange. Die Nische für Danzig lautet Massengutfrachter und Containerschiffe. Er könne sich beispielsweise die Zusammenarbeit mit einer finnischen Werft vorstellen, betont Banach: "Wir übernehmen die Stahlkonstruktion, die den Hightech-Bereich." Schon heute liefere man komplett ausgestattete Aufbauten an deutschen Werften. Und die Dänen würden in Estland Lukendeckel kaufen.

Die Voraussetzungen für die neue, moderne und spezialisierte Danziger Werft entstehen gegenwärtig in Sichtweite der alten. Unter insgesamt sieben Hektar Hallendächern soll auf der Insel künftig Stahl gebogen und geschmiedet werden sowie die Vormontage von Schiffssektionen erfolgen. Auch die Kais sind fertig, und mächtige Portalkräne stehen bereit. Die Generalstabskarte von Banach unterteilt das Werftgelände in die Sektoren A, B und C.

Während mit dem letzteren Sektor die Werftinsel gemeint ist, sind die beiden anderen Teile bald "sehr begehrte Bauplätze", wie Banach versichert. Das traurige sei nur, daß die ausländischen Investoren nur zögerlich Interesse für den geplanten neuen Stadtteil bekunden. Lewandowski weiß auch, warum: "Die haben immer noch Angst vor den Gewerkschaften."


 
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