© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
"Die Sponti-Szene war von Haß erfüllt"
Hadayatulla Hübsch über Joschka Fischer, Daniel Cohn-Bendit und die gewalttätigen siebziger Jahre in Frankfurt
Moritz Schwarz

Herr Hübsch, die jüngst präsentierten Straßenkampf-Bilder von Joschka Fischer haben erneut die Frage nach seinem Charakter auftauchen lassen. Sie haben ihn persönlich gekannt, wie kam es dazu?

Hübsch: Das war zu der Zeit, als in Frankfurt um die Verhinderung der Startbahn West gekämpft wurde. Damals sah es fast so aus, als stünde ein Bürgerkrieg bevor. Ich hatte versucht, zwischen der bürgerlichen und der alternativen Seite zu vermitteln. Man konnte ja in Frankfurt mit ungewöhnlichem Aussehen gar nicht normal auf die Straße gehen, weil man sonst durchbohrt wurde von den Blicken der Bürger. Und umgekehrt war es ähnlich. Die Fronten waren völlig verhärtet! Bei den Diskussionszirkeln der Pflasterstrand-Szene, dem "Zentralorgan" der Sponti-Bewegung, habe ich Joschka Fischer kennengelernt. Ich habe auch mit ihm diskutiert und gesprochen und ihm geschrieben.

Welche Rolle haben Sie damals gespielt?

Hübsch: Ich hatte mich bei den Ostermärschen engagiert und dann führende Rollen in der Apo-Szene innegehabt. Doch dann habe ich mich von der politischen Tätigkeit abgewandt, weil ich den Widerspruch zwischen Theorie und Praxis, der dort bestand, erkannt hatte. Ich war dann Mitbegründer der deutschen Hippie-Bewegung. Später habe ich für das Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gearbeitet und während der Startbahn-West Unruhen dort angeregt, man möge doch versuchen, etwas zur Versöhnung zu tun. Ich bin aber mit meinem Vermittlungsversuch kläglich gescheitert. Ich sei eine das Abendland sprengende Persönlichkeit, sowohl vom Aussehen wie vom Verhalten her, hieß es in einem Brief an mich, und solle mir keine weitere Gedanken über die Gestaltung der FAZ machen. Fortan durfte ich dort nicht schreiben.

Wie war Ihr erster Eindruck, als Sie Joschka Fischer kennengelernt haben?

Hübsch: Er stand total im Schatten von Daniel Cohn-Bendit. Cohn-Bendit hat ihn auf diesen Veranstaltungen manchmal dermaßen fertiggemacht, daß ich mich wirklich wunderte, wie ein Mensch so etwas hinnehmen kann. Er hat ihn gemaßregelt, von oben herab behandelt, ihn in die Ecke gedrängt. Die Brisanz und auch die Präsenz seines geistigen Ziehvaters Cohn-Bendit war so dominant, daß er dessen Meinung meist vasallenhaft total hinnahm.

Hat er sich Cohn-Bendits Überlegenheit einfach wohl oder übel beugen müssen, oder hat er sie aus innerer Einsicht heraus freiwillig akzeptiert?

Hübsch: Ich denke, man muß diese Haltung verstehen vor dem Hintergrund der Tatsache, daß Cohn-Bendit als übermächtige Figur durch seinen Mai 68/Frankreich-Mythos in Frankfurt einfach die herausragende Persönlichkeit gewesen ist und gerade in der Szene, aus der Joschka Fischer kam, die Bereitschaft da war, sich ihm mehr oder weniger zu fügen. Joschka Fischer hat, wenn dann Cohn-Bendit ausgebrochen ist und seine Tiraden von sich gegeben hat, das als verdikthafte Meinung und Urteil von jemandem akzeptiert, der es wohl besser weiß. Andererseits hatte ich nicht den Eindruck, daß er sich so gefügt hat, seine Meinung völlig aufzugeben, also sklavenhaft geworden wäre. Vielmehr hat er seinen Dickkopf behalten. Aber er hat all das, was er zu hören bekam, sich erst mal setzen lassen, hat es in seinem Gemüt bewegt und später etwas daraus entwickelt. Das Ganze war eine merkwürdige Mischung von Unterwerfung und Weisheit.

Dann übte Cohn-Bendit eine Form von geistiger Herrschaft aus?

Hübsch: Nicht wirklich, Cohn-Bendit ist niemals so ausgeflippt, daß er größenwahnsinnig geworden wäre. Er hat zwar seine Meinung mit der Faust auf den Tisch dargebracht, aber dennoch war er auch lernfähig: Es war diese Art von überzeugtem Auftreten, das dann trotzdem im Kopf behält, daß es auch sein kann, daß man doch nicht ganz Recht hat. Es war ein Abwarten, wie die andere Seite reagiert. Ich nenne das eine Art "Denken ins Blaue" hinein. Das war wohl damals die Atmosphäre in der Szene um den Pflasterstrand.

Wenn Fischer als der Kronprinz nun gegenüber anderen als übergeordnete Instanz aufgetreten ist, hat er dann seinen unduldsamen Meister nachgeahmt, oder hat er einen anderen Stil gepflegt?

Hübsch: Nein, er hat schon einen anderen Stil gepflegt, er war umgänglicher, er hat auch eine andere Art zu überzeugen gehabt: eben nicht seine Gedanken blockartig, sozusagen als Monument, in den Raum zu stellen. Sondern er hat schon stets versucht, andere für sich einzunehmen. Es hat fast eine Form von Freundlichkeit gehabt. Es kam wohl schon vom Herzen.

Wie nah sind Sie ihm eigentlich gekommen?

Hübsch: Ich war ja schließlich in Frankfurt in der Szene ziemlich bekannt. Man sprach sich eben sofort mit Du an, sonst hätte ich ihm auch nie einmal einen langen Brief geschrieben. Aber eine enge Tuchfühlung, etwa daß man miteinander befreundet gewesen wäre, die gab es nun auch wieder nicht.

Nun haben wir in den letzten Tagen die Bilder gesehen, wie Fischer in Straßenschlachten kämpft. Wie beurteilen Sie diese Bilder?

Hübsch: Man kann das nur aus der damaligen Zeit heraus beurteilen. Man kann Geschichte und das Verhalten von Menschen in einem bestimmten historischen Abschnitt nicht ausschließlich an den Maßstäben der Epoche danach, messen. Die Situation damals war geprägt von dem Gefühl "Wir können die Welt erobern". Das war eine größenwahnsinnige Vorstellung, sicher. Und sie beinhaltete, daß man glaubte, jetzt für die Revolution – was auch immer das sein mochte – kämpfen zu können. Man überlegte sich einfach nicht, was in einem oder zwei Jahren sein wird, sondern "machte halt mal". Man lebte von Tag zu Tag. Und in diesem Überschwang der Gefühle und vor allem gestärkt durch die Erfolge, die man gehabt hatte, etwa durch das Bekanntwerden der Taten durch die Medien, wurde alles ungeheuer aufgeputscht. In diesem Überschwang hat man fast schon bedingungslos die Auseinandersetzung mit den anderen gesucht, und das eskalierte dann natürlich. Der zweite Punkt ist, daß Drogen eine große Rolle gespielt haben. Ich will nicht sagen, daß Joschka Fischer Drogen genommen hat, das weiß ich nicht. Aber in bezug auf seine Generation, glaube ich fest, daß die Allmachtsphantasien, die es auf einem LSD-Trip zum Beispiel gab, erhebliche Folgen gehabt haben. Man glaubte wirklich, man könnte die Welt aus den Angeln heben. In einer solchen Situation einen kühlen Kopf zu bewahren, politisch zu denken und auch abzuschätzen, was für eine Wirkung das haben kann was man tut, das war einfach nicht drin. Das war zuviel verlangt von 18- bis 20jährigen – damals.

Sie mögen das für reaktionör halten, aber wahrscheinlich ist es nur schlicht "ewig wahr": Jugend braucht Erziehung. Wird sie von ihren Eltern im Stich gelassen, hat sie unter den von Ihnen eben beschriebenen Phänomenen zu leiden. Spätestens mit Alexander dem Großen ist diese Erkenntnis in die abendländische Kulturgeschichte eingegangen. Auch die "Generation Fischer" hätte das also erkennen können, wenn es auch – da haben Sie sicher recht – wirklich viel verlangt ist.

Hübsch: Man ist damals unterschwellig in dem Bewußtsein aufgewachsen, wir, also unser Land, seien moralisch erbärmlich verraten worden durch die Führungsspitze im Dritten Reich. Man will gerne in dem Eigenen etwas Gutes sehen, aber das wurde durch "das Regime der Elterngeneration" und das anschließende moralische Schweigen unmöglich gemacht. Dies wiederum führte zu der unversöhnlichen Verbitterung dieser Generation gegenüber Deutschland. Man quittierte es mit beinahe tödlichem Haß, daß man das Eigene nicht lieben und darauf stolz sein konnte. So kam man dann auch nicht mehr dazu, differenziert und fair über das nachzudenken, was im Dritten Reich passiert ist. Also rebellierten viele – koste es, was es wolle.

Auf den Straßenkampf-Bildern ist zu sehen, daß Joschka Fischer erst zurücktritt und die anderen kämpfen läßt. Als der Polizist von einer Übermacht niedergestreckt ist, tritt er hinzu und schlägt auch noch auf ihn ein, um dann wiederum als erster zu fliehen. Sagt das etwas über seinen Charakter aus?

Hübsch: Nein, ich glaube nicht, daß das Kalkül gewesen ist oder eine schweinische Art, dem Verlierer noch mal nachzutreten, sondern es ist nur zu erklären aus der haßerfüllten Situation.

Dem Haß nachzugeben ist sicher menschlich, aber auch immer "schweinisch". Das ist eine der tiefen Einsichten des christlichen Abendlandes, dem sich Fischer und seine Generation offensichtlich moralisch so überlegen gefühlt haben.

Hübsch: Man sollte da genauer hinschauen. Die Sponti-Szene damals, die sich im Straßenkampf versucht hat zu bewähren, war von immensem Haß erfüllt auf all das, was sie zuvor an Mißhandlung und Verachtung erfahren hatte. Wenn man in einer moralischen Gesellschaft aufwächst, dann geht es vielleicht anders, aber das war nicht der Fall. Man glaubte dann, die Moral in die eigene Hand nehmen zu können. In der Situation, die die Bilder zeigen, war es einfach so, daß er in seinem Haßgefühl überwältigt wurde und sich abreagiert hat. Nur wenn er wirklich besinnungslos draufgeprügelt und den Polizisten mehrfach getreten hätte, dann könnte man sagen, der Mann ist charakterlich deformiert. Aber das, was er gemacht hat, war nicht Kalkül.

Bei diesen Straßenkämpfen wurden mehrfach gefährliche Wurfgeschosse und Molotow-Cocktails eingesetzt. Im Mai 1976 erlitt ein Polizist so schwere Verbrennungen, daß er bis heute unter den Folgen leidet. Da kann man nicht mehr damit argumentieren, das waren unerwachsene Jungs.

Hübsch: Nein, sowohl die Bürgerlichen als auch die rebellierende Jugend hatten Märtyrer. Ich erinnere mich daran, daß in der damaligen Zeit damit gerechnet wurde, daß es bei der Startbahn West Tote geben würde. Nicht Tote seitens der Polizei, wie es nachher tatsächlich passiert ist, sondern Tote unter den Demonstranten bei dem Versuch, die Streben und die Umzäunung der Startbahn niederzureißen. Und in der Tat hatte es ja auch schon Tote auf der alternativen Seite gegeben. Dieses Denken und Fühlen jedenfalls muß man beachten, wenn man über die damalige Zeit und ihre Menschen urteilt. Dieses Denken und Fühlen hat eine Polarisierung hervorgerufen, die bis zur Konsequenz ging, daß man schlicht argumentierte: wo gehobelt wird, fallen Späne.

Joschka Fischer gilt als Führungskader im Straßenkampf. Trägt er damit nicht auch die Verantwortung für das, was er nicht selber getan hat, was aber "unter seiner Führung" geschah, etwa die Verwendung von Molotow-Cocktails?

Hübsch: Ja sicherlich, aber das ist nicht nur eine Frage, inwieweit eine führende Persönlichkeit eine Verantwortung übernimmt, sondern auch eine Frage seitens derer, die sich in Verantwortung nehmen lassen. Ein Führer braucht immer Leute, die ihm folgen. Und diejenigen, die folgen, haben genausoviel Verantwortung. Die vielen, die folgen, wollen auch geführt werden, sonst würden sie sich nicht führen lassen. Es ist daher zu kurz gesehen, nur von der Machtposition aus zu denken und zu sagen: Du hast diese auf den schlechten Weg gebracht. Man muß auch sagen, die anderen haben sich verführen lassen.

Nach diesen Kämpfen wurde der Sieg gefeiert – nun gut. Dabei sollen aber auch allgemein beklatschte Aussagen gefallen sein wie etwa die,über den am 10. Mai 1976 von einem Molotow-Cocktail schwer verbrannten und für immer gezeichneten Polizisten: "Auch ein brennender Polizist ist eine Propaganda der Liebe."

Hübsch: Wissen Sie, ich halte nicht viel davon, einseitig aufzurechnen. Ich habe immer auch im Blick die jeweils andere Seite. Die Polizisten etwa haben sich bisweilen unvorstellbar menschenverachtend benommen – ich habe das selbst miterlebt. Wenn man zum Beispiel versuchte, mit ihnen zu diskutieren, bekam man durchaus zu hören: "Du bis die Kugel nicht wert" oder ähnliches. Man ist von den Polizisten wie Dreck behandelt worden. Die Polizisten, da bin ich sicher, haben ihre Siege auch gefeiert – und bestimmt nicht nur bei Blümchentee. Und genauso ist es auf der Seite der Straßenkämpfer gewesen. Daß da niedere Motive und schweinische Charakterzüge offenbar geworden sind, das mag durchaus sein, aber es wäre zu billig, das heute alles als einen einzigen Sumpf darzustellen. Und natürlich gerade dann, wenn getrunken und geraucht worden ist und die Emotionen freie Bahn bekommen, darf man nicht mehr jedes Wort auf die Goldwaage legen.

 

Hadayatulla Hübsch, geboren am 8. Januar 1946, lebt als zum Islam konvertierter Schriftsteller (Prosa, Lyrik, Satire, Roman, Sachbücher über Islam) in Frankfurt am Main und war bis Juli 2000 Vorsitzender des hessischen Schriftstellerverbandes.

 

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