© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    04/01 19. Januar 2001

 
Eiskalter Engel
Kino: "The Watcher" von Joe Charbanic
Ellen Kositza

FBI-Agent Joel Campbell (James Spader aus "Sex, Lügen und Video")galt einst als Spezialist für Serienmörder, jahrelang löste er bravourös sämtliche derartige Fälle. Doch ein Mann will ihn nun zur Verzweiflung bringen: Allen Griffin (Keanu Reeves), der bereits vor Jahren Campbells damalige Freundin tötete, legt eine blutige Spur durch Chicago.

Dorthin war Campbell eigentlich von Los Angeles ausgewichen, um seiner traumatischen Vergangenheit zu entfliehen, doch unnachgiebig fordert der Mörder den Agenten zu einem makabren Katz-und Maus-Spiel heraus. Die Regel, die er vorgibt: Jeweils 24 Stunden vor dem nächsten Mord erhält Campbell auf unterschiedliche Weise ein Foto des Opfers. Stets sind es junge Frauen, die von Griffin auf charmante Art, gleich flüchtigen Zufallsbekanntschaften, angesprochen wurden.

Chicago ist groß, die einzelnen Opfer zu unwichtig, um binnen Tagesfrist ausfindig gemacht werden zu können: Trotz enger Kooperation mit Fernsehsendern kommen Campbell und seine Männer wiederholt zu spät. Campbell ist mit seinen Kräften am Ende, einen Halt bieten ihm allein starke Psychopharmaka sowie seine hübsche Therapeutin Polly (Marisa Tomei). Eine dramatische Zuspitzung erfährt die Geschichte, als Campbells Mannschaft ein neues Foto empfängt, das ausgerechnet Polly zeigt.

Natürlich weiß man lange vorher, wie diese Geschichte enden wird. Man ahnt sogar ziemlich genau die einzelnen Zutaten, die dem erwarteten Showdown beigemengt werden; rasant werden Handlung und Filmmusik anschwellen, Hubschrauber werden kreisen, eine Uhr wird unerbittlich ticken, es wird zu einer Verfolgungsjagd kommen, die haarscharf und dennoch glasklar ausgehen wird.

Natürlich kommt alles, wie es kommen muß in amerikanischen Psycho-Thrillern, natürlich wird von Anfang bis Ende jedes Klischee aufgefahren, als sei Originalität publikumsfeindlich. Das beginnt schon mit der Besetzung der FBI-Mannschaft, die wie üblich streng nach Hautfarbe und Geschlecht quotiert ist, es geht weiter mit den gewohnten bombastischen Actionszenen (rücksichtslose Verfolgung per Auto durch amerikanische Großstadtstraßen, gewaltige Explosionen, die Menschen durch die Luft wirbeln, und sonstige Stunts, die man schon hundertmal gesehen zu haben glaubt) und zeigt sich ebenfalls im immer wieder gern genommenen Grundgerüst der Handlung: Ein intelligenter Serienkiller, der zu dem Ermittler in einer persönlichen Beziehung steht, verzwickte Rätselaufgaben aufgibt und ihm, als dem auserkorenen Rivalen, dabei immerhin eine Fünfzig-Fünfzig-Chance läßt. Der Killer, der seine Taten überschaut, das Verbrechen als durchgehend inszeniertes Gesamtkunstwerk – solches ist im realen Leben fast ohne Beispiel, wird von Hollywood jedoch regelmäßig aufgetischt. Bemerkenswert ist dabei, daß trotz aller Vorhersehbarkeit der Handlung samt ihren Details und den Charakteren diesen austauschbaren Actionkrimis eine erhebliche Spannung selten abgeht, so berechenbar ist seinerseits also der Zuschauer. In jedem Fall hervorragend ist einmal mehr das Spiel Reeves’, bizarr der mimische Wechsel zwischen sonnigem Engelsgesicht und eiskalter Killervisage.

Daß es sich hierbei um das Spielfilmdebüt von Regisseur Charbanic handelt, besitzt wenig Aussagekraft, es existieren schlichtweg keine Bedingungen, die je einen innovativen Film von den Vereinigten Staaten in heimische Kinos gebracht hätten. Dem – nebenbei auch sicher nicht niedrig budgetierten – Werk haftet weder ein experimentelles Flair an, das europäische Filmhochschulabsolventen gelegentlich aufweisen, noch verfügt er über eine sonstige Ausprägung, die ihn als Erstwerk kenntlich machen würde. Ein durchgestylter Film mit Spitzenbesetzung, gekonnt, arriviert, unterhaltsamer Mainstream.


 
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