© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
"Den Völkern Frieden bringen"
Brigadegeneral Wolf-Dieter Löser über die Infanterieschule des deutschen Heeres und die Zukunftsaufgaben der Infanterie
Moritz Schwarz

Herr General, Sie sind Leiter der Infanterieschule der Bundeswehr in Hammelburg.Welche Aufgaben hat die Schule?

Löser: Die Hauptaufgabe der Infanterieschule ist es, den Nachwuchs der Offiziere und Unteroffiziere der Infanterie auszubilden. Außerdem sind wir das Zentrum der Bundeswehr für die Ausbildung im Waldkampf und im Orts- und Häuserkampf. Dafür haben wir unter anderem eine besondere Übungsanlage, das Übungsdorf "Bonnland". Dort üben übrigens auch die Sicherungstruppen von Luftwaffe und Marine den Schutz ihrer Basen. Weiterhin findet bei uns die Ausbildung "Kampf gegen irreguläre Kräfte" statt: besondere Fallschirmjägereinheiten werden trainiert, im Auslandseinsatz befindlichen Bundeswehrtruppen, die in Bedrängnis geraten, zur Hilfe zu eilen. Ebenfalls sind wir das Zentrum für die Ausbildung der Reservisten in der Bundeswehr. Und nicht zuletzt läuft in Hammelburg die wichtige Vorbereitungsausbildung für deutsche Auslandseinsätze, wie S-FOR in Bosnien, K-FOR im Kosovo oder UN-Einsätze, wie damals in Somalia oder Kambodscha. Sie sehen also die zentrale Bedeutung unserer Schule für die ganze Bundeswehr.

Welche Bedeutung hat Ihre Schule international?

Löser: Die Schule genießt international einen guten Ruf. Im vergangenen Jahr hatten wir bei uns Soldaten aus sechzig Nationen zur Ausbildung und aus sechzehn Nationen zu Besuch. Soldaten aus Afrika, Asien oder auch aus Ländern wie Kroatien, die bei uns militärisches Fachwissen vermittelt bekommen, das in diesen Ländern oftmals so nicht vorhanden ist. Vor allem für die Staaten Ost- und Südosteuropas bieten wir Aufbauhilfe an. Oder es sind Verbündete, die in unseren Anlagen üben, weil sie selbst solche nicht haben. Zum Beispiel zieht die Übungsanlage "Bonnland" viele Soldaten aus fremden Armeen an. Wir werden international um eine Anlage wie "Bonnland" beneidet. Auch in anderen Armeen wächst inzwischen die Erkenntnis, daß künftige Konflikte sich zu achtzig Prozent in bebautem Gelände abspielen werden. So bauen jetzt auch andere Nationen solche Anlagen. Frankreich etwa plant einen solchen Bau, aber bis zu dessen Abschluß kommen noch ganze Kompanien französischer Soldaten, um bei uns zu üben.

Wie hat man sich diese Übungsanlage "Bonnland" vorzustellen?

Löser: Bonnland ist ein altes fränkisches Bauerndorf, das in den dreißiger Jahren für die Wehrmacht evakuiert wurde. Es gibt hier eine Kirche, eine Schule, ein Rathaus, Wohnhäuser und Gehöfte. Hier dürfen – außer in geschützten Bereichen – Panzer fahren und Hubschrauber landen. In den Straßen des Ortes können die Truppen, die Polizei oder die Hilfsdienste also unter realistischen Bedingungen üben.

An der Schule üben also nicht nur Soldaten?

Löser: Nein, auch die Polizei nutzt unsere Übungseinrichtungen. Aber auch die Feuerwehr, etwa die Berufsfeuerwehr München. Ebenso Grenzschutz, Rotes Kreuz oder das Technische Hilfswerk.

Ein weiterer Grund, warum ausländische Soldaten nach Hammelburg kommen, ist die führende Stellung der Schule im Bereich der Schießsimulation.

Löser: Ja, etwa mit unserem "Ausbildungsgerät Simulator Handwaffen/ Panzerabwehrhandwaffen", kurz AGSHP, genannten Simulator kann das Schießen mit Handwaffen, etwa Maschinengewehren oder Panzerfäusten, realistisch simuliert werden. Der Computer überwacht dabei den Schützen und teilt ihm Fehler, die er macht – etwa das Verkanten der Waffe –, mit. Interessant ist auch die "computerunterstützte Ausbildung", kurz CUA, in der sich die Soldaten selbst anhand von interaktiven Computerprogrammen weiterbilden können. Wir planen das auch noch auszubauen, zu einem "distant learning"-Programm, das in Zukunft auch eine Art "Fernstudium" für theoretische Inhalte an der Infanterieschule ermöglichen wird.

Sehen Sie nicht die Gefahr, daß die Bundeswehr, auch unter dem gegenwärtigen Kostendruck, die praktische Ausbildung im Gelände zugunsten von High-Tech-Simulation immer weiter vernachlässigen wird?

Löser: Nein, bis jetzt nicht. Aber natürlich darf es dazu auch nie kommen, denn nichts ersetzt wirklich den scharfen Schuß draußen im Gelände.

Weiterhin haben Sie an der Schule eine Abteilung für Entwicklung, die aus den praktischen Erfahrungen an der Schule Waffen und Gerät weiterentwickelt und erprobt.

Löser: Ja, die "Gruppe Weiterentwicklung" beschäftigt sich derzeit zum Beispiel mit dem neuen Patrouillenfahrzeug "Dingo", einem leicht gepanzerten, zweiachsigen Kraftfahrzeug, entwickelt für die Bedürfnisse der Truppe in Bosnien und im Kosovo. 56 Exemplare gehen jetzt in die Truppe.

Sie sind nicht nur Kommandeur der Schule, sondern auch noch der General der Infanterie.

Löser: Ja, ich bin sozusagen der oberste Infanterist des deutschen Heeres. In dieser Funktion trage ich Verantwortung für die Jäger-, Fallschirmjäger- und Gebirgsjägertruppe, und es untersteht mir nicht nur die Infanterieschule in Hammelburg, sondern auch die Luftlandeschule in Altenstadt und die Gebirgs- und Winterkampfschule in Mittenwald. Die Panzergrenadiere gehören leider inzwischen nicht mehr zur Infanterie, sondern zur Panzertruppe.

In der Zeit des Kalten Krieges litt die Infanterie unter einem Bedeutungsverlust, da nicht mehr ihr, sondern der Panzerwaffe die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit galt. Erleben wir mit den neuen Anforderungen der Auslandseinsätze eine Renaissance der Infanterie?

Löser: Auf jeden Fall hat die Infanterie einen neuen Stellenwert erhalten, und tatsächlich – Sie haben recht – einen herausgehobenen. Denn all die Situationen, die die Deutschen aus den Nachrichten kennen: Kontrollpunkte, Patrouillen, Trennen von Konfliktparteien, Evakuierungsoperationen etc. sind eben in erster Linie Aufgaben der Infanterie. Andere Truppengattungen können diese Aufgaben nur bedingt wahrnehmen. Diese Entwicklung wird sich weiter fortsetzen. Wir sehen das auch bei unseren Verbündeten.

Nachdem die technische Revolution in der Wehrtechnik den Infanteristen, im Gegensatz zu den meisten anderen Truppengattungen, weitgehend unberührt gelassen hat, wird mittlerweile auch an einer High-Tech-Infanterie-Ausrüstung geforscht. Wie sieht der deutsche Infanterist der Zukunft aus?

Löser: So ganz ist die High-Tech auch an der Infanterie nicht vorbeigegangen. Jedoch wird die Zukunft neue Herausforderungen für den Infanteristen bringen und so die Infanterie durchaus verändern. Die Technik wird ihm neue Möglichkeiten verschaffen: das Stichwort ist hier "Digitalisierung", das heißt der Führer der Infanteristen, zum Teil auch der Kämpfer selbst, wird künftig in engerem Kontakt mit den Gefechtsständen, also der übergeordneten Führung, stehen. Er wird ein weit besseres Lagebild in Echtzeit zur Verfügung haben und diese Daten vielleicht sogar direkt vor sein Auge auf ein Helmvisier projeziert bekommen. Er wird das Feuer anderer Waffen unmittelbar und genau lenken können und wird direkt Anschluß haben an neuartige Aufklärungsmittel, wie etwa Mikro-Drohnen, winzige fliegende Aufklärungsgeräte. Auch seine persönlichen Waffen und seine Schutzausrüstung werden effektiver werden. Dadurch wird ein anderer Einsatz der Infanterie möglich, etwa in größeren Räumen – wie es ja heute schon, etwa auf dem Balkan, notwendig ist. Die Entwicklung geht weg von der klassischen Massen- und Einheitsinfanterie vergangener Kriege und des Kalten Krieges, hin zu einer spezialisierten Infanterie.

Inwiefern hat das Einsatzprofil friedenserhaltender und friedensschaffender Engagements, das Sie ansprechen, den Infanteristen verändert – denn oft muß er sich heute genau gegenteilig zu dem verhalten, was über Jahrzehnte gelehrt wurde?

Löser: Ja, ein einfaches Beispiel: Normalerweise bilden wir unsere Soldaten zur Aufklärung durch Spähtrupps folgendermaßen aus – leise, heimlich und unentdeckt. Im Rahmen der neuen Einsätze hat die Patrouille ebenfalls einen Aufklärungsauftrag, aber völlig anders geartet: Dieser Trupp muß offen vorgehen, Präsenz demonstrieren und sogar den Kontakt zur Bevölkerung suchen.

Haben viele Soldaten damit Schwierigkeiten?

Löser: Das ist natürlich eine große Umstellung. Der Soldat muß schnell umschalten können und in der Lage sein, trotz einer vielleicht vertrauensvollen Atmosphäre jederzeit mit Gefahren, wie etwa Heckenschützen, zu rechnen.

Die deutschen Soldaten im Kosovo gelten als vorbildlich unter den dort eingesetzten K-FOR-Verbänden. Woran liegt das?

Löser: Einerseits stellt das unsere intensive Ausbildung sicher. Es liegt aber auch an unserer deutschen Mentalität: Wenn die Soldaten der Bundeswehr mit Ausländern umgehen, versuchen wir uns in sie hineinzuversetzen und ihre Lage zu verstehen. Zudem haben wir ein starkes Bewußtsein dafür, und das vermitteln wir auch in der Ausbildung, daß wenn wir in einem fremden Land sind, dieses Land nicht unseres, sondern das Land der Einheimischen ist.

Existiert denn ein ausreichendes Bewußtsein in unserem Volk, daß es mit solchen Einsätzen auch den Tod unserer Soldaten riskiert? Die Bürger fürchten sich offenbar kaum vor dem unweigerlich kommenden Tag, an dem einmal etwa eine ganze Kompanie Bundeswehr-Soldaten auf einmal fallen wird.

Löser: Ich glaube, ein Bewußtsein dafür existiert heute mehr denn je. Es ist eine schwierigere Situation als je zuvor, weil unsere Soldaten aus dem Frieden zu Hause in einen Einsatz gehen müssen. Um so mehr kommt es darauf an, daß wir unsere Soldaten vor Schaden im Einsatz beschützen.

1999 sind auf dem Balkan zwei Infanteristen der Fallschirmjägertruppe von Minen verstümmelt worden. Abgesehen von der Sensationsmeldung am Tag des Geschehens haben Medien und Öffentlichkeit dem Unglück – das diese Männer immerhin für die Bundesrepublik Deutschland erlitten haben – kaum Aufmerksamkeit geschenkt. Bemängeln Sie das nicht?

Löser: Ich bemängele das nicht. Bei uns jedenfalls war die Aufmerksamkeit sehr hoch. Und wir haben sofort untersucht, was wir daraus in bezug auf unsere Ausbildung für Lehren ziehen müssen. Ich glaube schon, daß die Öffentlichkeit begriffen hat, daß diese Einsätze mit Gefahren verbunden sind, die man beim Wehrdienst hier zu Hause in Deutschland bisher nicht kannte.

Wenn wir aber einmal vergleichen: Als vor einigen Wochen wieder ein Ausländer, diesmal in einem Park in Dessau, erschlagen wurde, besucht kurz darauf der Bundeskanzler den Gedenkstein – Medien und Öffentlichkeit nahmen intensiven Anteil. Wo aber blieben sie alle im Falle der verstümmelten Fallschirmjägerpioniere?

Löser: Dem kann ich nicht zustimmen: Von seiten unseres Ministers gab es da eine hohe Aufmerksamkeit, und gerade für diese Soldaten hat er sich persönlich eingesetzt, als es Probleme wegen der weiteren Versorgung gab. Gerade in dieser Sache ist die gesamte politische und militärische Führung sehr aufmerksam und auch mehrmals im Jahr vor Ort.

Seit dem 1. Januar können auch Frauen in der Infanterie dienen. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Löser: Die Entscheidung ist getroffen. Wir müssen jetzt versuchen, sie positiv umzusetzen und unsere Soldaten, wie auch die jungen Frauen bestmöglich vorzubereiten. Dazu wurde ein Programm am "Zentrum Innere Führung" aufgelegt, um die militärischen Führer im sogenannten "Gender Training" zu sensibilisieren.

Gibt es darüber nicht viel Unmut in der Truppe?

Löser: Keinen Unmut, eher unterschiedliche Meinungen und gespannte Erwartungen.

Sehen Sie nicht Gesellschaftstheoretiker im "Biotop Bundeswehr" ihre ideologischen Vorstellungen exerzieren? Die Bundeswehr soll Truppe zur Erfüllung eines Auftrags sein, ihre Aufgabe ist es nicht, die Gesellschaft zu perfektionieren.

Löser: Die Entscheidung ist von der Politik nun so getroffen worden, da hilft es nicht nachzukarten.

Spüren Sie den Sparkurs im Wehretat?

Löser: Nicht als Kommandeur der Infanterieschule, wohl aber als General der Infanterie. In der Tat gibt es in der Ausrüstung der Infanterie Defizite, so fahren wir zum Beispiel immer noch den Unimog 2-Tonner, der inzwischen schon älter ist als die Soldaten, die ihn fahren.

Droht uns die Zwei-Klassen-Armee, mit bestbewaffneten Krisenreaktionskräften (KRK) für den Auslandseinsatz und restbewaffneten Hauptverteidigungskräften (HVK) für die Landesverteidigung?

Löser: Nein, denn die neue Bundeswehrstruktur wird keine Unterscheidung mehr zwischen KRK- und HVK-Einheiten machen. Statt dessen werden die Einheiten in sich Einsatz- und Ausbildungsgliederungen haben. Zum Beispiel wird ein Bataillon dann einige Kompanien für den Einsatz und einige nur zur Ausbildung haben. So sind die Teile, die für den Einsatz vorgesehen sind, stets zusammen mit den übrigen Teilen organisiert und die Truppe kann nicht in verschieden geartete Verbände / Bataillone zerfallen. Das Problem der Zwei-Klassen-Armee habe ich übrigens auch mit der derzeitigen Struktur nie so kraß gesehen.

Steht da kein Problem mit den Wehrpflichtigen ins Haus, die doch nicht in Einsatzbataillonen dienen müssen sollen?

Löser: Die kommen dann eben vorwiegend in die Ausbildungskompanien. Oder auf Funktionsdienstposten in den Einsatzkompanien, die gibt es ja auch. Und dafür reicht auch die verkürzte Wehrdienstzeit aus, da die Wehrpflichtigen nicht mehr vollausgebildete einsatztaugliche Soldaten werden müssen, sondern nur noch bestimmte Funktionen erfüllen.

Herr General, warum sind Sie Soldat geworden?

Löser: Ich bin 1968 Soldat geworden, im Jahr der Niederschlagung des Prager Frühlings, wo wir alle damit rechneten, daß auch die Freiheit unserer Gesellschaft auf dem Spiel stand. Dazu kam der Umstand, daß auch mein Vater Soldat war und ich einen Einblick in diesen äußerst interessanten, abwechslungsreichen, aber auch fordernden Beruf gewann.

Haben Sie die Bundeswehr damals verstanden als eine Armee, die ihr Vaterland verteidigt?

Löser: Ja.

Wie ist das heute?

Löser: Heute ist sie eine Armee, die das Vaterland nicht mehr an den Grenzen, sondern im Bündnis verteidigt, vor allem aber ist sie eine Armee, die unsere Werte der Demokratie dort mit hinträgt, wo diese Werte nicht vorhanden sind, um den Völkern Frieden zu bringen.

 

Brigadegeneral Wolf-Dieter Löser ist General der Infanterie des deutschen Heeres und Kommandeur der Infanterieschule der Bundeswehr in Hammelburg. Geboren 1949 im niedersächsischen Wahrenholz, trat er 1968 in die Bundeswehr ein. Der Offiziersausbildung an der Heeresoffizierschule in München folgten Verwendungen u.a. als Zugführer und später Kompaniechef verschiedener Panzergrenadierbataillone. Nach der Generalstabsausbildung an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg war er in diversen Stäben sowie als Kommandeur eines Gebirgsjägerbataillons eingesetzt. Danach folgten Verwendungen als Referent im Planungsstab des Verteidigungsministeriums (1990) und als Adjutant beim Generalinspekteur der Bundeswehr (1991). 1994 war er International Fellow an der National Defense University in Washington. Von 1995 bis 1998 war er Kommandeur einer Gebirgsjägerbrigade.

 

weitere Interview-Partner der JF


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen