© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
"Menschenverachtend ist das richtige Wort"
Affären: Ein Gespräch mit dem ehemaligen Göttinger Universitätspräsidenten Hans-Ludwig Schreiber über Jürgen Trittin
Moritz Schwarz

Herr Professor Schreiber, nun ist auch Umweltminister Jürgen Trittin wegen seiner fragwürdigen Haltung zur Gewalt in seiner Jugend in die Kritik geraten. Sie waren 1977 Professor an der juristischen Fakultät der Universität Göttingen, an der damals auch Trittin studierte, und haben die Unruhen infolge der Buback/ Mescalero-Ereignisse miterlebt.

Schreiber: Es war eine ungeheuer aufgeheizte und aggressive Atmosphäre. Die Universität trat dem "Mescalero"-Papier, das "klammheimliche Freude" über den Buback-Mord zum Ausdruck brachte, entgegen. Auf der anderen Seite organisierten Studenten Solidaritätskundgebungen mit dem anonymen Verfasser "Mescalero".

Welche Rolle spielte dabei Trittin?

Schreiber: Er hat sich von "Mescalero" nicht distanziert, sondern er hat sich solidarisiert. Er steht ja heute noch dazu, sich nie distanziert zu haben. Aber er hat wohl vergessen, daß er damals "Mescalero" deutlich verteidigt hat. Er war keinesfalls eine Randfigur, er war vielmehr ein militanter Anführer seiner Gruppe. Und die gehörte zu den führenden an der Universität.

Wie hat man sich seine Militanz vorzustellen: Hat er Gewalt legitimiert, oder war es lediglich ein aggressiver Gestus?

Schreiber: Ich kann nur letzteres berichten – aber es ging bis zu dieser Gratwanderung in der "Mescalero"-Sache, die Gewalt für sich ablehnt, sich aber nicht qualitativ von ihr distanziert. Trittin wollte eben die Revolution, er betrachtete uns immer als elende Reformisten.

Die "FAZ" wirft ihm eine Mitverantwortlichkeit für das "Mescalero"-Papier vor, da er Mitglied des AStA – verantwortlich für das Papier – gewesen sei. Er bestreitet diese. War er Mitglied?

Schreiber: Trittin war möglicherweise selbst nicht Mitglied des AStA, aber er gehörte zu der Studentengruppe, die den AStA trug.

Tatsächlich lehnt das Papier Gewalt ab, warum sollte sich Trittin also distanzieren?

Schreiber: Trittin argumentiert doch wirklich, es handle sich im Grunde um ein pazifistisches Papier. Das halte ich für nicht richtig: Es wird dort zwar gesagt, man wolle nicht "killen", doch der Sache nach war es eine Billigung des Mordes an Siegfried Buback. Ja, es bagatellisiert gar den Mord, den "Abschuß" "dieser Visage". Es ist wahr, es ist kein Killer-Text, es ist wahr, der Text ist ambivalent – aber dieses scheußliche Machwerk "pazifistisch" zu nennen, halte ich für einen geschmacklosen Witz. Trittin hat also allen Grund, sich zu distanzieren.

Der Trick ist Gewalt abzulehnen, Buback aber dennoch als "Systemschwein" zu entmenschen, das man lediglich nicht tötet, weil man sich zu schade dafür ist.

Schreiber: Menschenverachtend ist das richtige Wort. Der Pazifismus ist aufgesetzt. Ein übler Stil. Die Intellektualität ist nur überhöht, dahinter schimmert durch, daß es keine echte Distanzierung von der Gewalt gibt.

Muß man aber auf der anderen Seite nicht anerkennen, daß hier ein Radikaler einen Weg aus der Gewalt sucht? Und es muß auch gesagt werden, daß damals versucht wurde, das ganze Papier undifferenziert abzustempeln.

Schreiber: Ja, es wurde eine Erregung erzeugt, die dann die isolierte Zustimmung zu einzelnen Punkten des Papier sofort kriminalisierte. Infolgedessen kann ich verstehen, daß Trittin sagt: "Ich distanziere mich nicht von allem." Ich habe auch die Massivität der Polizei bei der Durchsuchung der Uni erlebt, die tatsächlich geeignet war, in mir anarchistische Gefühle zu provozieren. Man hat sich damals schließlich ebenso gefragt: "Wer schützt uns vor Polizei?" Man gewinnt dann Verständnis für die Seite der Studenten. Aber all das legitimiert den "Mescalero" nicht. Nicht mal in Teilen – weil es so ein zerschlissener und schmieriger Pseudo-Pazifismus ist, der nur aus Gründen der Zweckmäßigkeit keine Gewalt will.

Trittin gehört heute zu jenem Establishment, das in jeder Hakenkreuzschmiererei schon eine Tatbeteiligung am Ausländermord sieht. Ist er da angesichts seiner eigenen Vergangenheit nicht einäugig und ungerecht?

Schreiber: Das ist richtig, man muß schon die eine wie die andere Seite gleich behandeln.

Fordern Sie Trittins Rücktritt?

Schreiber: Nein, das nicht. Aber es ist nötig, sich zu distanzieren. Wenn er das nicht tut, gut, dann ist das sein moralisches Problem. Man kann eben von Politikern nicht so viel Moral verlangen.

 

Prof. Dr. Hans-Ludwig Schreiber, geboren 1933, war ab 1971 Professor an der juristischen Fakultät der Universität Göttingen, von 1992 bis 1998 war er ihr Präsident. Unter Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) war er von 1987von 1991 Staatssekretär im niedersächsischen Wissenschaftsministerium.

 

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