© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Eindeutiger Beweis steht noch aus
Bundeswehr: Diskussion um den Einsatz von Uranmunition spitzt sich zu / Hysterie oder Gefahr?
Michael Wiesberg

Wer immer in diesen Tagen den Versuch unternimmt, sich ein Bild über das Thema "Uranmunition" zu machen, sieht sich schon bald mit einer Vielzahl von einander ausschließenden Meinungen konfrontiert. Während die eine Seite nicht müde wird, auf einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Uranmunition und Krebserkrankungen ("Balkan"- oder "Golfkriegssyndrom") hinzuweisen, behauptet die andere Seite, daß diese Behauptung nichts anderes als "Hysterie" sei. So gab Verteidigungsminister Scharping (SPD) am 14. Januar im ZDF zu Protokoll, in der Medizin werde "abgereichertes Uran als Schutz vor gefährlichen Strahlen eingesetzt". Er beobachte ein "Hysterie-Syndrom" in der Öffentlichkeit. Gegenüber dem Deutschlandfunk erklärte Scharping am 8. Januar, daß es "keinen Hinweis auf ein Strahlungsrisiko" gebe.

Diese Aussagen liegen ganz auf der Linie der US-Regierung, die jeden Zusammenhang zwischen Auswirkungen von Resten der Munition mit abgereichertem Uran und Krebs oder anderen Krankheiten kategorisch abstreitet. Ähnlich äußerte sich auch der EU-Beauftragte für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana. "Wir müssen uns dabei auf Fakten stützen, nicht auf Annahmen", sagte der ehemalige Nato-Generalsekretär am 17. Januar vor den EU-Abgeordneten in Straßburg. Bislang gebe es keine eindeutigen wissenschaftlichen Belege, daß die in Bosnien und im Kosovo-Krieg von der Nato verschossene uranhaltige Munition Leukämie bei den Soldaten auslöse.

Daß der ehemalige "Sozialist" Solana vor den EU-Parlamentariern sogar vehement den Einsatz von uranhaltigen Geschossen durch die Nato auf dem Balkan verteidigte, verdient eine besondere Erwähnung. Solanas Begründung spricht für sich: "Auch viele Ihrer Kollegen hatten damals ein entschiedeneres Auftreten gegen Milosevics Aggression auf dem Balkan gefordert", hielt er den EU-Parlamentariern entgegen.

Scharping, Solana und auch die US-Regierung können sich auf eine Reihe von Wissenschaftlern berufen, die ihre Position stützen. So erklärte zum Beispiel der Züricher Nuklearmediziner Prof. Gustav K. von Schultheß gegenüber den Schaffhauser Nachrichten am 17. Januar, daß die Strahlung von Uranmunition viel zu gering sei, um zu Krebserkrankungen zu führen. Ähnlich äußerte sich der Direktor des Münchner Forschungszentrums für Umwelt und Gesundheit, Herwig Paretzke, als er im Deutschlandfunk erklärte, daß er "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschließen kann, daß die Uran-Geschosse irgendetwas mit den beobachteten Leukämieerkrankungen zu tun haben".

Uranstaub dringt tief in die Lungenflügel ein

Demgegenüber behauptete der Vorsitzende der Hilfsorganisation Gelbes Kreuz International, Siegwart-Horst Günther, am 11. Januar gegenüber der der Jungen Welt, daß Scharping "keine Ahnung" habe. Für Günther sprechen seine einschlägigen Erfahrungen im Irak. Rund 260 Tonnen der Überreste von im Golfkrieg eingesetzter Uranmunition lägen immer noch südlichen Irak herum. Günther macht für das Leiden der dortigen Bevölkerung und die "unbekannten Krankheitsbilder", auf die er gestoßen sei, die Uranmunition direkt verantwortlich. Günther, der von ihm aus dem Irak mitgebrachte Geschosse und Geschoßhülsen in der nuklearmedizinischen Abteilung des Universitätsklinikums Berlin-Charlottenburg 1992 untersuchen ließ, mußte erfahren, welch heißes Eisen er offensichtlich angefaßt hatte. Während der Analyse dieser Geschosse drang nämlich ein Polizeitrupp in ABC-Schutzkleidung in das Labor ein und beschlagnahmte Günthers Materialien. Günther selbst mußte wegen Verstosses gegen das Strahlenschutzgesetz eine Gefängnisstrafe absitzen. Bereits dieser Fall macht deutlich, daß hinter die von interessierter Seite behauptete "Harmlosigkeit" der Uran-Munition zumindest ein Fragezeichen zu setzen ist.

Ähnlich kritisch wie Günther sieht der Spiegel den Einsatz von Uranmunition. Interessant an den Ausführungen sind die Aussagen von Wissenschaftlern des Battelle Pacific Northwest Laboratory, die neben dem Strahlenrisiko noch eine andere gravierende Gefahr sehen. Über die Hälfte des Uranstaubes, der durch den Aufprall oder die Verbrennung der Munition entstehe, sei "atemfähig", d.h. so "mikroskopisch fein gekörnt, daß es nicht in den Bronchialhärchen hängenbleibt, sondern tief in die Lungenflügel eindringt. Dort aber lösen sich rund 43 Prozent der Giftpartikel in der Lungenflüssigkeit auf". Mit anderen Worten: Neben einer möglichen Strahlengefahr gibt es auch ein Vergiftungsrisiko, das bis heute bei allen Untersuchungen augenscheinlich vernachlässigt worden ist.

Scharf geht der Physiker und frühere US-Armee-Experte Doug Rokke mit dem US-Verteidigungsministerium ins Gericht, dem er im Spiegel Informationsunterdrückung bzw. "Verbrechen gegen die Menschheit" vorwirft. Rokke wörtlich: "Weil das Pentagon breite medizinische Untersuchungen unterdrückte und verschleppte, fanden sich keine Hinweise auf Gesundheitsrisiken für Militärs, die sich der Strahlung von Uran-Munition aussetzten. Solch ein Bezug wird bis heute vom Verteidigungsministerium geleugnet."

Welche Motive das Pentagon für diese Politik hat, liegt auf der Hand: Wird eindeutig nachgewiesen, daß der Einsatz von Uranmunition erhebliche Gesundheitsrisiken mit sich bringt, stehen Schadensersatzerforderungen von betroffenen US-Soldaten in Millionenhöhe im Raum.

Gesundheitsschädliche Auswirkungen beim Einsatz von Uranmunition hat eine der bisher fundiertesten US-Studien zum Thema immerhin eingeräumt. Diese Studie, die den Titel "Die Gefahr, die von abgereicherter Uranmunition ausgeht" ("The Hazard posed by depleted Uranium Munitions"; Science&Global Security 1999) stammt von den beiden Wissenschaftlern Steve Fetter und Frank N. von Hippel, die der renommierten "Federation of American Scientists" (FAS) angehören. Darin kommen sie zu dem Fazit, daß diejenigen Soldaten, die gepanzerte Fahrzeuge betraten, die von Uranmunition getroffen wurden, oder diejenigen Soldaten, die bei der Dekontaminierung entsprechender Fahrzeuge ohne entsprechende Schutzkleidung beteiligt waren und damit hinreichend lange einer entsprechenden Strahlung ausgesetzt waren, Vergiftungen erlitten haben könnten.

Plutoniumspuren in der Uranmunition entdeckt

Auch die Neue Züricher Zeitung (NZZ) kommt am 5. Januar zu dem Ergebnis, daß "abgesehen von der direkten Zerstörungswirkung" der Uranmuniton "sich mögliche Gesundheitsgefährdungen daraus ergeben, daß das Material durch Aufprall und Verbrennung pulverisiert und als Staub eingeatmet wird". Damit werde, so die NZZ, "der Körper direkt der Strahlung ausgesetzt".

Aber auch dieser Sicht der Dinge ist inzwischen widersprochen worden. So wies Udo Ulfkotte in der FAZ am 5. Januar darauf hin, daß Panzer und anderes Kriegsgerät nicht aufgrund von Treffern durch Uran-Munition, sondern wegen zusammengeschmolzener Metall-Legierungen oder Kunststoffbestandteilen "wahre Giftcocktails" seien.

Unterdessen ist die Diskussion in eine neue Runde eingemündet. Wissenschaftler der Vereinten Nationen haben in der Uran-Munition aus dem Kosovo Spuren von Plutonium gefunden. Ein Sprecher des UN-Umweltprogramms (UNEP), Pekka Haavisto, erklärte, ein sehr kleiner Teil des eingesetzten Materials stamme aus Wiederaufarbeitungsanlagen. In einer Stellungnahme des UNEP hieß es am 16. Januar, die Forscher hätten Spuren von Uran-236 gefunden, das in der Natur nicht vorkomme. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) soll die Bedeutung der Entdeckung weiter untersuchen. Demgegenüber hat die NZZ am 17. Januar festgehalten, daß es in den USA "relativ strenge Vorschriften zum zulässigen Plutoniumgehalt" in der Uranmunition gebe. In diesem Zusammenhang von einer "neuen Dimension" zu reden, so die NZZ, erinnere "eher an ein Communiqué von Greenpeace". Festgehalten werden kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt also nur, daß ein eindeutiger Beweis über der gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Uranmunition aussteht.

Es gibt aber eine Reihe indirekter Hinweise, die darauf hindeuten, daß dieser Munition mit äußerster Vorsicht begegnet werden sollte. So ließ die US-Armee inzwischen zwei umfangreiche Handbücher für den Umgang mit uranhaltiger Munition drucken. Wäre diese Munition so unbedenklich, wie Scharping bisher immer behauptet hat, wären diese Handbücher wohl kaum so umfangreich ausgefallen. Nachdenklich sollte auch der Verzicht der englischen Armee auf den Abschuß von Uranmunition im Vorfeld des Kosovokrieges stimmen. Dieser Verzicht weist darauf hin, daß es innerhalb der beteiligten Nato-Staaten eine Diskussion über dieses Thema gegeben haben muß. Wenn Italien und Deutschland über diese Diskussion nicht informiert gewesen waren, kann als Schlußfolgerung nur gezogen werden, daß diese von den USA als Nato-Staaten zweiter Klasse eingestuft werden.

Verteidigungsminister Scharping will von all dem nichts gewußt haben. Dessen Verhalten erinnert inzwischen mehr an die Desinformationspolitik, die Scharping bereits im Kosovokrieg (Stichwort: "Hufeisenplan") an den Tag gelegt hat. Am 17. Januar vollzog Scharping angesichts des steigenden medialen Druckes eine radikale Kehrtwendung, als er den Geschäftsträger der US-Botschaft zum Gespräch einbestellte. Man muß sich die Bedeutung dieses Vorgangs klar machen: Scharping, der vor kurzem noch von "Hysterie" sprach, fordert die Amerikaner jetzt – nach jahrlanger Diskussion! – auf, "endlich" alle Informationen zu uranhaltiger Munition offenzulegen. Offensichtlich wußte Scharping in der Vergangenheit nicht, worüber er eigentlich genau redet. Er ist damit seiner Fürsorgepflicht gegenüber den im Kosovo eingesetzten deutschen Soldaten nicht nachgekommen, weil er die Amerikaner nicht frühzeitig nötigte, eine klare und unmißverständliche Informationspolitik gegenüber den Bündnispartnern zu betreiben. Die Amerikaner machten mit ihrem unterkühlten Hinweis darauf, daß alle Informationen zum Thema im Internet zu finden seien, unmißverständlich deutlich, was sie von Scharping halten. Nämlich nichts. Geradezu peinlich wird es, wenn dieser bei einem Besuch bei deutschen "Friedenstruppen" auf dem Balkan herumpoltert, er werde sich nicht mit "seitenlangen Informationen aus dem Internet" begnügen, die ihm über mögliche Gefährdungen gegeben worden seien. In der Vergangenheit hat sich Scharping mit viel weniger, sprich: mit wohlfeilen Beschwichtigungserklärungen seitens der USA abspeisen lassen. Auf die Idee, sich die "Field Manuals" der US-Armee zu besorgen, ist im Verteidigungsministerium offensichtlich niemand gekommen.


 
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