© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
"Ich habe die Steine einfach in die Luft geworfen, ja"
Wie Außenminister Joseph Fischer im Bundestag der CDU/CSU-Opposition Rede und Antwort steht und wie die "FAZ" ihn in Schutz nimmt
Thorsten Thaler

Auch die klügsten Köpfe, die hinter einer Zeitung stecken, können irren. Zu diesen Köpfen gehört Florian Illies. Der erst 29jährige FAZ-Redakteur leitet seit September 1999 (gemeinsam mit Axel Wermelskirchen) die Hauptstadt-Beilage "Berliner Seiten" und gilt als große Nachwuchshoffnung.

In einem Feuilletonbeitrag befaßte er sich am 19. Januar mit der Debatte über die militante Vergangenheit Joseph Fischers und dem Aufklärungsinteresse insbesondere einiger jüngerer Unionsabgeordneter in der Bundestagsdebatte am Vortag. "Wer hörte und sah", schrieb Florian Illies und meinte sich selbst, "mit welchem gnadenlosen Anständigkeitspathos gestern die gleichaltrigen oder jüngeren CDU-Bundestagsabgeordneten Bonitz, von Klaeden, Pflüger und Hohmann den Außenminister für den Rest seines Lebens unter Sittlichkeitsverdacht stellen wollten, dem wurde wirklich ganz sonderbar zumute." Die Opposition sei wieder "ganz in der Zeit um 1970 angekommen, ohne nennenswerten reflexionsbedingten Erfahrungsgewinn". Man habe den Eindruck, so Illies, daß es nicht darum geht, über die Gewalt von 1968 zu reden. Vielmehr scheine es darum zu gehen, "in einer Gesellschaft, die endlich den ideologischen Frieden gefunden hat, neue Gewalt zu säen, neue Kriegs- und Frontlinien zu ziehen". Bei dem "eigentlich interesselosen Nachgeborenen" (Illies über Illies) erwecke "die merkwürdige Selbstgerechtigkeit der christdemokratischen Tugendwächter" jedenfalls Argwohn.

Das ist starker Tobak. Man muß das ohne Zweifel vorhandene parteipolitische Interesse der Unionsparteien nicht kleinreden wollen, um festzustellen, daß sich der FAZ-Redakteur hier schwer vergaloppiert hat. Was Illies bei seiner Verteidigung der Diskontinuitäten in Fischers Biographie diffamiert, ist nichts weniger als das Recht der Opposition auf vollständige Aufklärung – und zwar auf eine Aufklärung, die jenseits der um Verständnis für die damalige Zeit heischenden Entschuldigungen des früheren Straßenkämpfers überhaupt erst stattfinden kann. Denn daß Fischer jetzt öffentlich Reue zeigt, ist nur selbstverständlich und entspringt der Logik eines Machtmenschen. Jede andere Reaktion hätte ihn wahrscheinlich sofort das Amt gekostet.

Ärgerlich an der Attacke gegen Unionsabgeordnete ist vor allem, daß Florian Illies den Verlauf der Bundestagsbebatte um Fischers Vergangenheit einfach auf den Kopf stellt. Nicht der Außenminister soll detailliert Auskünfte geben müssen, sondern seine Kritiker sollen gefälligst verzeihen. Wer dagegen genaueres von Fischer wissen will, muß sich von dem FAZ-Redakteur der "intellektuellen Armut" bezichtigen lassen. Wie hanebüchen diese Verkehrung ist, zeigen einige Momentaufnahmen aus der Fragestunde des Deutschen Bundestages.

Da will zum Beispiel der CDU-Abgeordnete Eckart von Klaeden (35) wissen, ob ein Fischer-Zitat von 1978 stimmt. In der Sponti-Zeitschrift Pflasterstrand  hatte Fischer nach der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback, des Bankiers Jürgen Ponto und des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer durch Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) erklärt: "Bei den drei hohen Herren mag in mir keine rechte Trauer aufkommen, das sag ich, ganz für mich."

Fischer antwortet ausweichend. Das Zitat sei "völlig aus dem Zusammenhang gerissen". Bei der Debatte 1978 sei es um eine "grundsätzlich andere Orientierung, die auf Rückzug abstellte", gegangen. Dann wird er patzig: "Sie versuchen hier ein Zerrbild des damaligen Joschka Fischer darzustellen, das nichts mit dem zu tun hat, wie ich damals gedacht habe." Eckart von Klaeden hakt nach: Ob dieses Zitat nun stimme oder nicht? Und er bittet Fischer, den Zusammenhang zu erläutern, in dem dieses Zitat "einen Sinn macht". Der Außenminister weigert sich: "Ich müßte dieses Zitat im Zusammenhang des ganzen Artikels sehen."

An dieser Stelle verzeichnet das Plenarprotokoll einen Zwischenruf des CDU-Abgeordneten: "Sie sprechen von einem Zusammenhang, aus dem das Zitat gerissen ist! Dann müssen Sie ihn doch kennen!" Daraufhin Fischer kaltschnäuzig: "Entschuldigung, ich habe Ihnen meine Position erläutert, und ich bin gerne bereit, gemeinsam mit Ihnen den ganzen Artikel durchzugehen. Dann unterhalten wir uns noch einmal."

Ähnlich schnodderig abgefertigt wird der CDU-Parlamentarier Martin Hohmann (52), der Fischer fragt, ob er ausschließen könne, bei seinen Steinwürfen Menschen getroffen und verletzt zu haben. Fischer antwortet gedrechselt, ihm sei davon nichts bekannt. "Es müßte mir bekannt sein, wenn ich es bejahen sollte." Auf die Nachfrage Hohmanns, warum er denn dann die Steine geworfen habe, reagieren die rot-grünen Regierungsfraktionen amüsiert. Das Protokoll vermerkt: Heiterkeit bei der SPD und dem Bündnis 90/Die Grünen. Hohmann bohrt weiter: Ob Fischer die Steine einfach in die Luft geworfen habe? Antwort des Außenministers: "Ich habe die Steine einfach in die Luft geworfen, ja." Kein Wort mehr, Ende der Durchsage.

Es ist diese herablassende Arroganz Fischers, sein Nicht-verstehen-Wollen, worum es im Kern der Auseinandersetzung um seine Militanz geht, die provozieren. Steinwürfe auf Menschen sind kein Kavaliersdelikt; sie lassen sich auch nicht mit jenem revolutionären Eifer entschuldigen, auf den Fischer sich so gern beruft. Und es sind diese "Ja, aber"-Erklärungen des Außenministers, die nachhaltig irritieren. Ja, ich war militant. Ja, ich habe etwas falsch gemacht. Ja, ich stehe dazu. Ja, ich übernehme Verantwortung. (Worin besteht die eigentlich?) Ja, ich habe mich zu entschuldigen. Aber, so Fischer im Bundestag: "1968 und das Folgende hat zu mehr Freiheit und nicht zu weniger Freiheit in diesem Lande geführt." Daß zumindest jene Teile der 68er Generation, die Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer gesellschaftlichen Ideale propagiert und praktiziert haben, damit den antitotalitären Konsens der Bundesrepublik aufgekündigt und erst den Nährboden auch für gegenwärtige politisch verbrämte Gewaltexzesse bereitet haben, will jemandem wie Fischer bis heute nicht in den Sinn kommen.

Diese störrische Haltung des zu Amt und Würden gelangten Polit-Rockers bekommt in der Fragestunde des Bundestages auch die CDU-Abgeordnete Sylvia Bonitz (34) zu spüren. Sie will von Fischer wissen, ob er in einem Interview am 4. März 1998 gesagt hat: "Ich war nie gewaltfrei. Ich bin es heute noch nicht in meinen Überzeugungen. Ich war nie gewaltfrei und in dieser Zeit schon gar nicht." Brüsk kanzelt der Vize-Kanzler die Fragestellerin ab: "Als nächstes kommt sicherlich die Frage: Schlagen Sie Ihre Frau?"

Spätestens hier entlarvt sich die Behauptung des FAZ-Redakteurs Florian Illies, die Opposition wolle Fischer unter "Sittlichkeitsverdacht" stellen, als groteske Verzerrung der Wirklichkeit. "Joschka Fischer selbst ist es, der hohe moralische Meßlatten an alle anlegt, der immer wieder großartig Rücktritte gefordert hat, der sich aufgrund seiner angeblichen Tugendhaftigkeit immer wieder das Recht herausnimmt, andere zu zensieren und der sich immer wieder in einer entsprechenden Pose präsentiert. Das fällt jetzt auf Sie, Herr Kollege Fischer, ein bißchen zurück."

Die Sätze stammen von dem linksliberalen CDU-Abgeordneten Friedbert Pflüger (45), vorgetragen ebenfalls in der Bundestagsdebatte vergangenen Donnerstag und von Florian Illies in der FAZ als "gnadenloser Anständigkeitspathos" verunglimpft. Dabei hätte Pflüger sogar getrost auf die Einschränkung "ein bißchen" verzichten können.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen