© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Die Trümmer von Babel
Kino: "Code: Unbekannt" von Michael Haneke
Ellen Kositza

Mit "Funny Games", seinem letzten Kinofilm, war dem Münchner und Wahlösterreichers Michael Haneke vor fast vier Jahren ein genialer, wenngleich überaus umstrittener Wurf gelungen: Zelebriert wurde dort der Tod einer zivilisationsdegenerierten, golfspielenden Einkindfamilie durch die Hand kaltblütiger Mörder, die den Themen "Macht" und "Gewalt" selbstherrlich eine sehr eigene Definition zuwiesen. Ein merkwürdiger Film, fesselnd, nichtsdestotrotz recht unausgegoren.

Zumindest letzteres, das Unrunde, im Stocken Verweilende, trifft auch auf Hanekes neues Werk, die französische Produktion "Code Inconnu" zu. Es handelt sich dabei um die Zusammenschau einiger Episoden aus dem Leben verschiedener Menschen, Geschichten, die einander an ihren Rändern, bisweilen auch in ihrem Kern berühren.

In Paris lebt die Schauspielerin Anne (Juliette Binoche), deren Freund Georges als Kriegsfotograf im Kosovo tätig ist. Jean wiederum ist Georges’ jüngerer Bruder, der es auf dem Bauernhof seines Vaters nicht mehr aushält und in die Großstadt flieht. Dort wirft Jean achtlos eine Papiertüte in den Schoß einer Bettlerin und gerät dadurch in einen Konflikt mit dem jungen Schwarzen Amadou. Aus jeder dieser Personen entspinnt sich nun der Faden eines eigenen Schicksals; Schauplatz ist einmal das öde Landgut, dann die Taubstummenschule, an der Amadou unterrichtet, außerdem Paris als Sammelpunkt der Geschehnisse, das verwüstete Kosovo und Rumänien, die Heimat der Bettlerin.

Passend zu diesen Parallelgeschichten teilt sich der Film in verschiedenen Sprachen mit, die eine Verständigung im Grunde von vornherein ausschließen, und dies meint wohl der Titel, dies deutet auch das eigentliche Thema des Films an – die Unmöglichkeit nicht nur der Kommunikation, materiell als Sprachwirrwarr gefaßt, sondern zugleich die Unmöglichkeit wahren Verständnisses von Mensch zu Mensch. So gelingen auch die Dialoge zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Sohn, unter Nachbarn allenfalls an der Oberfläche, während sich darunter Abgründe öffnen, die das Gerüst der Welt, in der Kommunikation längst als grenzenlos gilt, mit einem Mal äußerst zerbrechlich erscheinen lassen.

Insofern schürft der Film recht tief, bleibt aber letztlich vage und reiht sich in die längst unzählbaren literarischen wie filmischen "Bestandsaufnahmen" unserer Zeit ein, die jegliche Stellungnahme scheuen und somit in einer Sprachlosigkeit verharren. Auch das Episodenhafte liegt im Trend, den Blick auf ein Ganzes erspart man sich, hier in doppelter Hinsicht: Sowohl der Regisseur als auch seine Figuren meiden ihn. Vielleicht wird er vermißt, gelegentlich; wirklich bewußt machen sich die Handelnden diesen Mangel jedoch nie. Hat das Bruchstückhafte doch die entscheidenden Vorteile, erstens ein wenig Abwechslung zu garantieren im Mahlwerk des Alltags, zweitens die Frage nach der Verbindlichkeit von Worten und Handlungen gar nicht zu stellen. Begegnungen sind flüchtig und verlieren ihr Gewicht mit dem Augenblick, der vergeht – und nicht einmal Liebe und Schmerz sind noch hinlängliche Gründe, dem Einhalt zu gebieten. Beklagt wird dies allenthalben nicht – man stellt es fest und ist ernüchtert.

Michael Haneke, der zur Zeit "Die Klavierspielerin" von Elfriede Jelinek verfilmt und in Interviews freilich bedauert, daß in seiner Heimat nun "Xenophobie und Diffamierung Andersdenkender regierungsfähig geworden" seien, verbleibt auch mit "Code Inconnu" im unauffälligen Mittelmaß.


 
Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen