© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    05/01 26. Januar 2001

 
Hinter der entleerten Welt
Zwei neue Bücher beleuchten die zivilisationskritische Harmlosigkeit der "Neuen Deutschen Härte"
Claus-M. Wolfschlag

Aufmerksamen Lesern der JUNGEN FREIHEIT dürften die Auseinandersetzungen um einige Musikgruppen aus dem Bereich des "Dark Wave" bzw. der sogenannten "Neuen Deutschen Härte" noch in lebendiger Erinnerung sein. Vor allem die Formationen Forthcoming Fire und Weissglut um den Sänger Josef Klumb hatten unter den Vorwürfen von "Antifaschisten" zu leiden, sie strebten eine "rechtsextreme" Infiltration des Rockmusik-Spektrums an. Die etablierte Presse bis hin zur FAZ übernimmt bis heute unkritisch jene "antifaschistischen" Deutungsmuster.

Um etwas Licht ins Dunkel dieser Szene zu bringen, hat der Journalist und Promoter Wolf-Rüdiger Mühlmann kürzlich eine umfangreiche Darstellung des subkulturellen Phänomens der "Neuen Deutschen Härte" vorgestellt. Zahlreiche Musikgruppen werden in ausführlich recherchierten, bebilderten Kapiteln vorgestellt: Vorläufer wie DAF, Laibach, Kraftwerk und Die Krupps werden eingehend behandelt. Sich streitende Antagonismen – wie die Toten Hosen und die Böhsen Onkelz – erscheinen ebenso wie Witzgruppen vom Schlage Knorkator oder Stalin. Schlicht Gestricktes à la Stahlhammer wird eher intellektuellen Ansätzen, wie denen von Schwanensee, gegenübergestellt. Ebenso wird ausführlich auf Hauptprotagonisten wie Rammstein eingegangen, die durch die Verwendung von Leni Riefenstahl-Bildern in einem Videoclip die "Antifa"-Kulturkritik auf sich zogen.

Mühlmanns Intention liegt in der Abwehr "antifaschistischer" Angriffe gegen seine Musiker-Freunde. So analysiert Mühlmann mit erstaunlich kritischer Schärfe die erdrückende Macht "antifaschistischer" Kampagnen und deren Einfluß in der Musikbranche. Sehr ausführlich wird dabei auch auf den Werdegang des Sängers Josef Maria Klumb eingegangen. Dabei werden die Machenschaften des Duisburger Institutes für Sprach- und Sozialforschung (DISS) um Siegfried Jäger ausführlich beleuchtet. Das DISS dürfte durch die offenkundig unseriösen Aktivitäten seines "antifaschistischen" Mitarbeiters Alfred Schobert ein irreversibles Eigentor geschossen haben. Niemand kann hier auch nur noch ansatzweise von Wissenschaft sprechen.

Aufschlußreich ist auch ein Interview mit dem 33jährigen Chefredakteur des Magazins der Süddeutschen Zeitung, Ulf Poschardt, der sich als linkgerichteter Popkultur-Kämpfer outet: "Popkultur wirkt dann positiv, wenn sie den gesellschaftlichen Diskursen den reaktionären Saft entziehen kann oder wenn sie das Reaktionäre gesamtgesellschaftlich so weit ausgrenzt, daß es für die Leute unattraktiv wird."

Zwar analysiert Mühlmann im Detail die "antifaschistischen" Kampagnen gegen Musiker und setzt diese scharfer Kritik aus. Letztlich bleibt diese Kritik aber hilflos, weil sie die Stereotypen und Vorurteile des "Antifaschismus" immer wieder selber übernimmt und akzeptiert, diese nur nicht auf die eigenen Freunde angewendet sehen möchte: "Fakt ist: Die Neue Deutsche Härte und ihre Protagonisten haben mit diesem faschistischen Mob nichts, aber auch gar nichs gemein." Nein, die musizierenden Freunde seien nur harmlose, nette Jungs, die ein bißchen auf der Gitarre klimpern wollten, wären da nicht die "Antifas", die ihnen Böses unterstellen würden, und die "Nazis", die sich an die Welle anzuhängen versuchten.

Mühlmanns Arbeit ist mit dieser Argumentationslinie ein Paradebeispiel der hilflosen "Antifa"-Kritik. Er verarbeitet die Erfahrungen mit der "antifaschistisch" motivierten Vereinnahmung nicht intellektuell, sondern bleibt im Stadium der affektbehafteten Abwehr stecken. Aus diesem Grund anerkennt und reproduziert er genau jene bornierten Klischees und Propagandabilder, deren Zweifelhaftigkeit er zwar selber erkennt, aber mangels intellektueller Stringenz nicht konsequent auf den Müllhaufen des Diskurses wirft.

Zweifel an einem natürlichen Tod des Hitler-Stellvertreters Hess werden so als "miefiger Mythos" unhinterfragt abgetan, die Proteste gegen die mittlerweile abgesetzte Anti-Wehrmachtsausstellung werden pauschal "Braunhemden" angelastet. Hessens Ministerpräsident Roland Koch wird wegen seiner Unterschriftenaktion gegen die Einführung der generellen doppelten Staatsbürgerschaft als "CDU-Gauleiter" und "Volltrottel" beschimpft. Nach der Walser-Rede in der Paulskirche hätte die "rechtsradikale Presse" "Wir sind wieder wer!" und "Wir sind stolz, Deutsche zu sein!" "trompetet", wobei Mühlmann keine Belege für derartige Schlagzeilen erbringt. Zudem verbreitet der Journalist, daß sich "die gewählten DVU- und REP-Abgeordneten immer als dumme, faule, Geld veruntreuende Stammtisch-Idioten geoutet haben, die zu Hause ihren deutschen Schäferhund und/oder ihre Frau verprügeln". Solche pauschalen Geschmacklosigkeiten gehören eben zum Stil derjenigen, die sich vor Widerspruch zu sicher wähnen.

Letztlich liefert Mühlmann damit ein Spiegelbild der deutschen Rock-Musikszene. Dort ist man meist geistig etwas einfacher gestrickt und möchte – trotz allen Rebellengehabes – Schwierigkeiten möglichst aus dem Wege gehen. Im Grunde treibt einen die Liebe zur Musik an, man ist "unpolitisch", zittert aber davor, in die Schußlinie linksgerichteter politischer Tugendwächter zu geraten, die einem die Karriere verderben könnten. Die Knie sind weich und bibbern, wenn es darum geht, 500 CDs mehr an den Mann bringen zu können. Und so erklärt man zwar, im Grunde mit Politik nichts zu tun zu haben – trotzdem verstehe man sich aber als "eher links" und sei zumindest eindeutig gegen jeglichen "rechten Abschaum". Substanzlose Partizipations- und Abwehrrituale also. Menschlich verständlich, aber fatal für die politische Kultur. Antifaschistische Kontrolleure vom Schlage Alfred Schoberts dürfte es freuen.

Interessant zum Abschluß dann wieder Mühlmanns Zukunfts-Prophezeiung, daß in der Musikszene ein "neues deutsches Mittelalter" bevorstünde, wie es bereits bei den Gruppen Subway to Sally oder In Extremo anklänge.

Dasselbe Problem mit der Politik stellt sich aus Sicht eines Betroffenen ganz anders dar. Josef Klumb, Sänger der Formation Forthcoming Fire, schildert in seiner autobiographischen Abhandlung Erfahrungen mit dem Musikgeschäft. Der Leser erfährt von Saufexzessen, wilden Konzertauftritten, Treffen mit allerlei Schönheiten, bekannten und eher unwichtigen Personen – und immer wieder von den Auseinandersetzungen mit "antifaschistischen" Kontrolleuren der Popkultur.

In der Popszene könne man heute Schweine schlachten, Frauen schänden, den Papst oder den Bundeskanzler verhöhnen, sich aber nicht als deutscher Patriot bekennen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, so Klumb. Und so schreibt er gegen die Unbill an, als einer, dessen Karriere vernichtet wurde und der gar nichts schlimmeres mehr befürchten muß: "Die Revolte dieser im Kielwasser der 68er-Aufklärung Fahrenden hat sich doch selbst gefressen, als sie übers Ziel hinausschießend vor lauter Verneinung sich im Nichts verloren hat. Unsere schwarze Musikszene aber mit allen ihren Anstößigkeiten aus Vergangenheiten ist durch die Aufklärer mit Sicherheit nicht zu vereinnahmen. Sie wird immer ein Bollwerk gegen die Moderne sein (...) Der Kurs des unbedingten ’dagegen sein Müssen‘ hat sich für uns erübrigt, solcher überholten Grundsätzlichkeit halten wir keine Fahnenstange. Wir sind dabei, das ’Dafür‘ zu entdecken, und statt einer Demontage bestehender Ordnungen und Werte bauen wir uns ein imaginäres, geheimes Reich (...)"

Der Sinn für Elitäres, für Schönheit und Ästhetik sei Antriebskraft der "Schwarzen Szene" und die Abwendung von gleichmacherischen Tendenzen ihr dadurch immanent. Da gäbe es gar nichts mehr zu unterwandern. Nein, eine ganze Subkultur suche nach der Wahrheit hinter den bröckelnden, geschminkten Fassaden der entleerten Warenhauswelt: "Soll die ganze Welt nach Auflösung aller Grenzen schreien. Wir haben die Grenzlosigkeit doch erlebt, erfahren, haben die Moderne und ihre Auflösungserscheinungen doch ausgekostet bis über den Untergang hinaus. (...) Wir kommen von ’links‘- und ’rechtsaußen‘, von oben und unten, und suchen doch nur die verlorene Mitte, die, von vielen benannt und von vielen beschworen, es im wirklichen Sinne noch nicht gibt, eine Mitte, die man uns verweigert, eine Mitte wie ein verheißendes Land, ein ’geheimes Deutschland‘ im Herzen Europas, eine Heimat jenseits der Verwüstung."

Klumb hat keine Scheu, sich mit seinen pathetischen Thesen und Prophezeiungen lächerlich zu machen. Freimütig bekennt er, den Ratschlägen von Freunden zum Trotz nicht "vernunftbegabt" zu sein. Kritische Selbstreflexion ist selten, Verbitterung, aber auch Schwärmerei und Lebensfreude häufiger anzutreffen. Mancher mag Klumbs Ausführungen stellenweise peinlich finden oder schmunzeln, aber das legt sich eher beim längeren Lesen des Buches und schlägt in Rührung um. Ein fast kindliches Gemüt begegnet einem, voller Seelen-Reinheit, Ehrlichkeit, ohne Künstlichkeit und Täuschung. Ein Mensch mit Herz und dem Hang zu dem, was die einen romantischen Schwärmgeist, die anderen kitschigen Seelenschwulst nennen mögen. Klumbs autobiographische Schrift ist ein gelungenes, anrührendes Zeitdokument über Jugendkultur vom Punk bis in die Gegenwart. Claus-M. Wolfschlag

Wolf-Rüdiger Mühlmann: Letzte Ausfahrt Germania. Ein Phänomen namens Neue Deutsche Härte, Berlin 1999, I.P.Verlag Jeske/Mader GbR, Paperback, 288 Seiten, zahlr. Abb., 34,90 Mark

Josef K.: Leicht entflammbares Material. Die Forthcoming-Fire-Biographie. Duisburg 2000, VAWS-Verlagsanstalt, Paperback, 424 Seiten, zahlreiche Abb., 39,90 Mark


 
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