© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de    06/01 02. Februar 2001

 
Botschafter beim großen Führer
Korea: Das geteilte Land steht vor großen Veränderungen / Auch Japan und China betroffen
Alexander Röhreke

Nordkorea, das der neue US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld noch vor einem Jahr als eine Bedrohung der Sicherheit Amerikas bezeichnete, wird derzeit von Anfragen zur Aufnahme der diplomatischen Beziehungen überhäuft. Seit dem Gipfeltreffen zwischen Nord- und Südkoreas Führern am 13. und 14. Juni 2000 in Pjöngjang stehen westliche Staaten, von Kanada bis Deutschland, in Pjöngjang Schlange. Noch 1999 hatte das Londoner Institut für Strategische Studien die Koreahalbinsel als einen der Orte ausgemacht, wo im Jahr 2000 kriegerische Konflikte drohten.

Die katastrophale Wirtschaftslage und das Massensterben der Nordkoreaner seit 1996 ließ eine Verzweifelungstat des nordkoreanischen Regimes befürchten. Der stalinistische Paria-Staat überließ nach eigenem Eingeständnis 300.000 Koreaner dem Hungertod (südkoreanische Geheimdienstschätzungen reichen gar bis zu drei Millionen Toten), um seiner ideologisch begründeten Autarkie-Politik zu folgen. Ursprünglich lag das industrielle Zentrum Koreas seit dem Zweiten Weltkrieg im Norden. Doch inzwischen ist der bäuerliche Süden industrialisiert, der Norden aber wurde zum Agrarstaat, in dem die Gesetzmäßigkeit vorindustrieller Konjunktur- und Hungerzyklen wieder zum Tragen kam.

Seit dem Nordkorea-Besuch der US-Außenministerin Madeleine Albright im Oktober 2000 ist die 47jährige politische Eiszeit auf der Halbinsel vorerst beendet. In Albrights Schlepptau wurden einige US-Geschäftsleute gesichtet, die die Vorboten einer ökonomischen Umkehr für den Norden Koreas bedeuten könnten.

Sogar die Möglichkeit eines Truppenabzugs der USA wurde bei diesem Besuch offenbar diskutiert. Sonst hätte Südkoreas Präsident Kim Dae Jung sich nicht bemüht, einen solchen Abzug während einer Pressekonferenz im Anschluß an Albrights Reise überhaupt zu thematisieren. Kim meinte, selbst für den Norden habe die US-Truppenpräsenz (etwa 30.000 Mann) am 38. Breitengrad eine stabilisierende Wirkung. Er verwies auf das deutsche Beispiel: US-Truppen hätten dort während des Wiedervereinigungsprozesses eine Art Rückversicherungswirkung auf die Nachbarn gehabt. Kim zielte offenbar auf China und Japan, wo aus unterschiedlichen Gründen der koreanischen Entwicklung gemischte Gefühle entgegengebracht werden.

China will seinen Einfluß in Korea langfristig sichern

China – bislang Nordkoreas einziger Verbündeter – konnte nach der Normalisierung seiner diplomatischen Beziehungen zu Südkorea vor wenigen Jahren eine Mittlerposition einnehmen, die es automatisch an allen Koreaverhandlungen beteiligte. Der privilegierte Zugang Pekings zu Pjöngjang könnte nun reduziert werden. Damit wird aber auch ein diplomatisches Druckmittel Chinas gegenüber den USA verringert. Bislang konnte Peking darauf verweisen, daß es kriegerische Handlungen Nordkoreas unterbunden habe. Je mehr sich Pjöngjang in die internationale Staatenwelt wiedereingliedere, um so eher wird es sich von der chinesischen Abhängigkeit lösen. Damit könnte aber auch die Bedeutung Pekings für Südkorea relativiert werden.

China hat bislang von der Normalisierung der Beziehung zu Südkorea wirtschaftlich profitiert. Es versucht sich seinen Einfluß in Korea langfristig zu sichern: Das wiedervereinigte Korea wäre nach Überwindung der finanziellen und wirtschaftlichen Belastungen eines der politisch und militärisch bedeutsamsten Länder Ostasiens. Könnte China das wiedervereinigte Korea zu seinem Verbündeten machen, hätte dies Konsequenzen für Koreas anderen Nachbarn: Japan.

Als im August vor zwei Jahren eine nordkoreanische Langstreckenrakete des nuklearfähigen Typs Taepo-Dong-1 von Wonsan an der Ostküste Nordkoreas startete und über japanischen Luftraum hinweg gen Süden flog, begann das seit Jahrzehnten sorgsam gepflegte japanische Bild vom sicheren Zuhause unter dem amerikanischen Atomschirm zu wanken.

Japan protestierte und sperrte seinen Anteil in Höhe von einer Milliarde Dollar an den Kosten der zwei Leichtwasserreaktoren, die Nordkorea aufgrund des Nuklearabkommens von 1994 geliefert werden. Danach unterzeichnete Japan noch im September ein Abkommen mit den USA, worin sich beide Parteien verpflichten, ein regionales Raketenabwehrprogramm (theater-missile defence, TMD) zu entwickeln. Tokio stellte Forschungsgelder in Höhe von 130 Millionen Dollar für ein zusätzliches, seegestütztes Raketenabwehrsystem bereit und hat seitdem die jährlichen Rüstungsausgaben kontinuierlich gesteigert. Die vielleicht wichtigste Auswirkung des Raketenschocks betrifft das japanische Staatsverständnis und die Rolle der japanischen "Selbstverteidigungsstreitkräfte": Erstmals ist in Regierungskreisen die Möglichkeit eines Präventivschlags gegen Nordkorea diskutiert worden. Ein Staatssekretär mußte seinen Hut nehmen, als er unvorsichtigerweise über eine Diskussion im Kabinett vor der Presse plauderte: Eine atomare Aufrüstung Japans sei erwogen worden.

Die Sicherheitsstruktur der Region basiert auf der US-Präsenz und dem Gleichgewicht zwischen der kleinen, aber hochtechnisierten japanischen Armee und der großen, aber technisch noch rückständigen chinesischen Armee. Würde der technisch fortschrittliche Süden Koreas mit dem mannschaftsstarken Norden vereinigt, würde in kurzer Zeit eine Armee in der Stärke von zwei Millionen Mann unter Waffen stehen. Der historische, durch die Kolonialzeit bedingte Widerwille Koreas gegenüber Japan könnte – so fürchtet Tokio – eine Anlehnung Koreas an China fördern.

So kommt es, daß das Überleben des nordkoreanischen Regimes im Interesse der USA und Japans ist. Nordkoreas Kollaps würde zur Wiedervereinigung der Halbinsel und – da der innenpolitische Konsens im Süden mit Bezug auf die US-Truppenpräsenz ausschließlich durch die nördliche Bedrohung erhalten wurde – zu einem unvermeidbaren Abzug der US-Truppen führen. Langfristig führte dies zum Einzug eines chinesischen Hegemons. Überlebt Nordkorea, verbleibt Südkorea unter US-Einfluß, und China wird daran gehindert, seine Beziehungen zu Seoul auszubauen wegen der Bündnisverpflichtungen gegenüber Pjöngjang. Ein wirtschaftlich desolates Nordkorea mindert zudem den Wunsch des Südens nach Wiedervereinigung. So muß es das Bestreben der USA und Japans sein, einen unkontrollierten Zusammenbruch des Nordens zu verhindern, eine ökonomische Wende jedoch nur hinhaltend zu unterstützen. Auf diese scheinbar paradoxe Weise decken sich die Interessen der Regierungen in Nordkorea, Japan und in den USA, denn auch Pjöngjang fürchtet sich vor einer raschen Öffnung und dem Verlust der Kontrolle.


 
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